1997 fragte Stern-Journalist Hans-Peter Schütz den CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, ob er sich die Kanzlerschaft zutraue. Eine schwierige Frage, Schäuble saß seit einem Attentat im Oktober 1990 im Rollstuhl. Schütz, der Augenzeuge des Anschlags auf Schäuble gewesen war, er stand knapp hinter diesem, als es passierte, zögerte und stotterte und traute sich nicht die Frage zuzuspitzen. Das tat dann der Mann im Rollstuhl: „Reden Sie nicht so drumrum,“ herrschte der CDU-Politiker den Stern-Journalisten an. „Wir kommen beide aus Baden, und da wissen Sie doch genau, wie ein Mensch im Rollstuhl heißt. Also fragen Sie mich jetzt endlich: Kann ein Krüppel Kanzler werden?“ Und Schäuble gab, wie Schütz erzählte, die Antwort selbst: „Ja, ich glaube, ich würde der Versuchung nicht widerstehen.“ Wochen später traf ich Schäuble zum WAZ-Interview in Essen und sprach ihn auf den brutal klingenden Stern-Titel an: „Ein Krüppel als Kanzler?“ Schäuble zuckte nur mit den Schultern und sagte: „Isch so.“ Am Sonntag wird Wolfgang Schäuble 80 Jahre alt.
Die Szene beschreibt ziemlich gut, dass Schäuble ein „harter Hund“ sein konnte, eine Formulierung, die ihn nicht weiter stören würde. Er war nie zimperlich, wenn es darum ging, den politischen Gegner, also die SPD, zu attackieren. Er hatte eine scharfe Zunge, so messerscharf, dass es eines Tages SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel zu viel wurde und Vogel dazwischenrief: „Sie sind ja noch schlimmer geworden…“ Mehr sagte Vogel nicht, er merkte selber, dass er verbal dabei war zu überziehen. Denn Vogel meinte natürlich, Schäuble sei seit seiner Behinderung durch das Attentat noch aggressiver geworden. Vogel hat sich später bei Schäuble entschuldigt. Aber der CDU-Mann konnte sehr bissig sein, ungnädig gegenüber Mitarbeitern, was er sie spüren ließ. Seinen Pressechef hat er mal öffentlich abgewatscht.
Er kann und kennt Politik
Wer immer Wolfgang Schäuble begegnet ist in all den Jahren, war aber auch von ihm beeindruckt. Das war vor dem Attentat so und danach nicht anders. Wolfgang Schäuble konnte man fragen, was man wollte. Er wusste Bescheid, nie erwischte man ihn auf dem falschen Fuß. Der kann und kennt Politik, Innen- wie Außenpolitik, Rente wie Kommunismus, Pflege wie Rechtsextremismus, Wirtschaft wie Kultur und Sport. Vor dem Anschlag war er ein ziemlich guter Tennisspieler.
Heute blickt Schäuble, der verheiratet ist und vier Kinder hat, auf 50 Abgeordneten-Jahre zurück, drei Ministerämter darunter das des Inneren wie der Finanzen, er war Chef des Kanzleramtes, Bundesminister für besondere Aufgaben, er war Partei- und Fraktionschef, Bundestagspräsident. Und wenn Helmut Kohl ihn gelassen hätte, wäre er vielleicht Kanzler geworden, Nachfolger von eben jenem Kohl, der eines Tages den Wolfgang Schäuble als seinen Mann fürs Kanzleramt benannte, um diese sensationelle Nachricht am folgenden Tag wieder zurückzunehmen. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob Schäuble es geschafft hätte, 1998 die Wahl gegen den jüngeren und dynamisch wirkenden Gerhard Schröder zu gewinnen. Jedenfalls hätte er mehr Chancen gehabt als der alte Amtsinhaber, der im Wahlkampf mehr so wirkte, als sei er auf Abschiedstour. Nein, Kohl und Schäuble waren keine Freunde. Schäuble mag das eine Weile so gedacht haben. Aber es war wohl eher so, dass Kohl Schäuble benutzt hat für seine eigenen politischen Interessen.
Nimm dich nicht so wichtig
Nimm dich nicht so wichtig. Der Satz stammt auch von ihm, er hat ihn früher mehrfach zitiert und auf Johannes XXIII verwiesen. Dabei war Schäuble oft wichtig, sehr oft. Selbstbescheiden, das wirkt aus seinem Mund etwas zu kokett, denn natürlich hat dieser Mann die deutsche Politik mit beeinflusst, er war am Einigungsvertrag aktiv beteiligt. Wer gedacht hatte, Schäuble würde sich nach der letzten von der Union verlorenen Wahl zurückziehen, weil er nicht mehr als Parlamentspräsident fungieren konnte, sah sich getäuscht. Ich habe es nie erwartet, der Mann ist geistig viel zu präsent. Das merkt man selbst im Rollstuhl. Und bloß kein Mitleid, das will er nicht. Niemals. Elder Statesman wird er durchgehen lassen, aber das mit dem Altenteil sollte man ihm ersparen. Natürlich weiß einer wie er um die Endlichkeit seines politischen Ausnahmelebens, das hat ihm vor vielen Jahren der beinahe tödliche Anschlag verdeutlicht, den er nur knapp überlebte. Er musste lange kämpfen. Den Machtverlust hat er als Demokrat selbstverständlich hingenommen, weil er das ja mehrfach in seinen Bundestagsjahren erlebt hatte. Glücklich hat es ihn nicht gemacht. Schäuble kann Opposition, und wie, aber noch lieber redet er mit, regiert, oder ist Präsident des Parlaments.
Der Mann ist streng, auch zu sich selbst, loyal, aber er ist auch stets ein Besserwisser gewesen, einer, der andere Politiker gern alt aussehen ließ, weil er es wirklich besser wusste, schneller reagierte. Er ist halt blitzgescheit. Gefürchtet ist seine intellektuelle Ungeduld. Einer wie er hatte in der Endzeit Kohls den Reformbedarf der Republik, der Gesellschaft längst erkannt und er hätte gern gehandelt. Kohl ließ es nicht gelten, ließ ihn abprallen. Zu Angela Merkel hatte er als Bundesfinanzminister ein loyales Verhältnis, er, der ja Finanzbeamter als junger Mensch gelernt hatte, sorgte als Bundesfinanzminister für geordnete Finanzen in Deutschland und in Europa.
Einmalige Leistung
Es zeichnet den alten(pardon!) Schäuble aus, wie er in seiner langen Karriere mit Niederlagen umging. Er hatte einiges einzustecken, musste für Merkel den Platz räumen, weil er in die Spendenaffäre verwickelt war, Bundespräsident wurde auch ein anderer und Regierender Bürgermeister durfte er auch nicht werden. Ja, der Mann ist ein harter Hund, keine Frage. Er hat das alles weggesteckt. Vor mehr als einem Jahr hat er einem Markus Söder die Grenzen aufgezeigt, als der CSU-Mann und bayerische Ministerpräsident sich als schlechter Verlierer im Kampf um die Kanzlerkandidatur erwies und statt Armin Laschet Kanzler werden wollte. Da zeigte Wolfgang Schäuble noch einmal seine ganze Autorität und wies den CSU-Mann in die Schranken. Dass Laschet nicht Kanzler geworden ist, ist eine ganz andere Geschichte. Schäuble kennt sich da aus.
„Eine einmalige Leistung“ hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas Wolfgang Schäubles politischen Weg gewürdigt. 50 Jahre im Deutschen Bundestag, 14 Mal direkt ins Parlament gewählt. Schäuble habe „unsere repräsentative Demokratie und unser Land in den vergangenen Jahrzehnten wie nur wenige mitgeprägt“, betonte die SPD-Politikerin. Schäuble habe Maßstäbe gesetzt. Das stimmt.
Bildquelle: Kuebi = Armin Kübelbeck, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
M.E. war nicht Kohl, sondern Merkel das Problem. Sie hat zunächst Schäuble, dann Merz abserviert. Ich behaupte mal, die Republik wäre mit Schäuble, wie er damals war eine andere, bessere. Merkel hat das Konservative und Christliche in der CDU gekillt und auch in Deutschland.