„Erdbeben in der Kirche.“ Kommentieren Medien das Rücktrittsgesuch von Reinhard Marx(67), das mehr als überraschend kam. Ich war sprachlos, als ich die Meldung im Radio hörte, der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, habe dem Papst geschrieben und um seinen Rücktritt gebeten. Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt angekommen“, heißt es in dem Schreiben von Marx an Papst Franziskus. „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“Man kann das Bild vom Erdbeben auch durch die berühmte Karikatur ersetzen, als Bismarck seinen Hut nahm. „Der Lotse geht von Bord. “ Ja, das ist es wohl, wenn einer wie Marx nicht mehr kann oder will, weil er müde ist, resigniert von der Entwicklung. Aber er ist nun mal eine herausragende Figur des deutschen Katholizismus. Er ist eine Autorität, angesehen, beliebt.
Schade, dass er geht. Verstehen kann ich es, dass der Mann müde geworden ist im Kampf um Reformen, die in dieser Kirche seit Jahren anstehen und die umzusetzen einer Hercules-Aufgabe ähnlich zu sein scheinen. Man nehme allein die Forderung, Frauen den Weg zum Priesteramt zu ermöglichen. Oder die Weigerung aus Rom, homosexuelle Paare zu trauen. Dazu ein Missbrauchsskandal, der es in sich hat, weil Priester Kinder missbraucht hatten. All das geschieht in einer Zeit, da der Kirche die Mitglieder in Scharen weglaufen, da die Gläubigen nur noch selten in ihrer Kirche Zuflucht suchen, sondern sich abwenden, weil sie Ekel empfinden angesichts der Horrorgeschichten, die Verbrechen sind.
Ich habe Kardinal Marx vor Jahren in Rhöndorf kennengelernt anläßlich einer größeren Geburtstagsfeier. Da stand er, rauchte eine Zigarre, hielt ein Glas Rotwein in der Hand und unterhielt sich mit uns Journalisten über Gott und die Welt. Ja, über Gott und die Welt. Marx war einer, der mit beiden Beinen auf dieser Welt und einigen Genüssen nicht fremd gegenüber stand.Der Mann war glaubwürdig, authentisch, kein Heuchler. Sein Auftreten und Wirken machte diesen hohen Kirchenmann menschlich. Mit ihm konnte man reden, diskutieren. Vor ein paar Jahren schrieb er mit an einem Buch, das ich zusammen mit meinem Kollegen und Freund Norbert Bicher herausgegeben habe: Presse unter Druck. Da ließ er sich nicht zweimal bitten, weil er die Medien für sehr wichtig hält in dieser Gesellschaft, die auseinanderdriftet. Man braucht Zeitungen, Funk und Fernsehen, Journalisten, um die Öffentlichkeit zu unterrichten, Journalisten, die durch den Wust von Meldungen und Nachrichten leiten.
2013 wurde Reinhard Marx Aalkönig von Bad Honnef, das Fest eine Erfindung von Bürgern der Stadt, die die Einnahmen dieses Balles dazu nutzen, die Sozialarbeit in dieser Kleinstadt am Rhein zu fördern. Zigtausende von Euro kommen Jahr für Jahr zusammen. Die Eintrittspreise sind hoch, aber sie sind auch für einen guten Zweck. Und Bad Honnef zählt nicht zu den armen Gemeinden dieser Republik. Aalkönig von Bad Honnef, das muss man sich mal vorstellen. Gut, Marx ist befreundet mit Friedhelm Ost, einem der Gründer des Festes. >Marx in einer Reihe mit anderen Aalkönigen wie Wolfgang Clement, Theo Waigel, Rosi Mittermaier, Hans-Dietrich Genscher, Jean-Claude Juncker, Malu Dreyer. Marx war mal Weihbischof von Paderborn, Ost CDU-Bundestagsabgeordneter des betreffenden Wahlkreises. Es gehört zur Tradition des Festes, dass auf den Aalkönig eine Rede gehalten wird und dass dieser eine Rede hält. Jedenfalls sagte der Kirchenmann u.a.:“ Die Kirche ist wie ein Schiff, das von vielen Nieten zusammengehalten wird.“. Ja, der Mann kann sich selber auf den Arm nehmen, wobei man die spöttische Spitze durchaus ernstnehmen darf. Ich habe den mehrdeutigen Satz mit dem ebenso ein- wie mehrdeutigen Satz eines Buchs verglichen: „Nieten in Nadelstreifen. Deutschlands Manager im Zwielicht“. Mehr muss man dazu nicht sagen. Wer sich angesprochen fühlt, möge betroffen, beleidigt sein. Oder wie es ein berühmter Redner mal formulierte:“Wenn ich Sie mit meinen Worten persönlich getroffen haben sollte“, wandte er sich an eine größere Schar vieler hochmögender Männer und einiger ebenso hochmögender Frauen, „dann war das meine Absicht.“
Reinhard Marx geht von Bord des Schiffes, das sich in stürmischer See bewegt. Missbrauchsskandale beschäftigen eine Kirche, die für sich in Anspruch nimmt, eine moralische Bastion zu sein.Oder soll man schon sagen, gewesen zu sein. Allzusehr ist diese Kirche getroffen von den Vorwürfen, ihre Diener in Kirchengewändern hätten sich über die Jahre immer wieder vergangen an Kindern, die Eltern ihnen anvertraut hatten. Zu diesen Skandalen, die einem die Luft zuschnüren, die bei anderen Wut aufkommen lässt, die man am liebsten an diesen Priestern, kriegte man sie in die Hände, auslassen würde, kommt der Umgang damit, der Versuch des Vertuschens, des Freikaufens, des sich Drückens vor der Verantwortung in aller Öffentlichkeit. Das Verhalten des Kölner Kardinals Wölki spielt hier eine Rolle, er steht seit Monaten im Zentrum von Angriffen, weil er in der Vergangenheit den Fall eines Priesters, der längst tot ist, gedeckt und eben nicht für Klarheit und Wahrheit gesorgt haben soll. Wölki ist mit Rücktrittsforderuingen konfrontiert. Peinlich für eine Kirche.
„Da geht der Falsche“, reagierte der Präsident des Zentralrats der deutschen Katholiken(ZdK) Thomas Sternberg. Marx sei die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit großer Ernsthaftigkeit angegangen und habe sogar sein persönliches Vermögen in eine entsprechende Stiftung für Opfer eingebracht. Er sei überzeugt, so Sternberg, dass Marx sehr enttäuscht sei über den Protest gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn. Marx hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gebeten, von der Verleihung abzusehen. Sternberg würdigte die Arbeit von Marx in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ in der Ökumene, beim Synodalen Weg wie auch bei der Missbrauchsaufarbeitung. Mit ihm fehle eine „ganz wichtige Persönlichkeit im deutschen Katholizismus“. Und auch das darf man hinzufügen: Es ist ein Rücktritt, den man versteht, der aber nichts löst.
Schade, dass er geht.