Was nicht bei deutschen Firmen bestellt wird, das wird auch nicht produziert. In diesen Sommermonaten bricht der Ordereingang bei der deutschen Industrie mehr und mehr ein – im Juni gar um über 3 % gegenüber dem Vormonat. Die Blütenträume von einem kräftigen Wachstum der Wirtschaft in diesem Jahr werden mehr und mehr zu Albträumen.
Die Risiken für die deutsche Volkswirtschaft sind in jüngster Zeit beträchtlich gestiegen. Dabei sind es nicht nur die verschiedenen politischen Beschlüsse, die die Große Koalition in der ersten Jahreshälfte gefasst hat, die keineswegs wachstums- und beschäftigungsförderlich sind; dazu zählt das Rentenpaket ebenso wie der Mindestlohn. Neue Regulierungen bei der Zeitarbeit werden angekündigt, was gewiss nicht zu mehr Flexibilität in den Betrieben führen wird. Ohnehin spüren die Unternehmen, wie jene Reformen, die noch in der Kanzlerzeit von Gerhard Schröder beschlossen und von seinem Superminister Wolfgang Clement umgesetzt worden waren, peu à peu von der jetzigen Bundesregierung vor allem auf Druck der SPD zurückgedreht werden. Die segensreichen Wirkungen bescherten der deutschen Wirtschaft eine im Vergleich zu den meisten anderen Ländern positive Aufwärtsentwicklung, eine Rekordbeschäftigtenzahl und ein gutes Plus an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Diese Früchte erntete allerdings erst die Regierung von Angela Merkel – nicht zuletzt mit dem beachtlichen Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013.
Bekanntlich werden die größten Fehler gemacht, wenn es gut geht. Während die Bundesregierung die EU-Partner immer wieder mahnte, ihre Volkswirtschaften energisch umzustrukturieren und auf eine höhere Wettbewerbsfähigkeit zu trimmen, hat sie selbst eher auf der Reformbremse gestanden und den Rückwärtsgang eingelegt, um so vor allem den politischen Wünschen der SPD zu entsprechen. Hinzu kommen Empfehlungen aus der Politik und sogar von der Bundesbank, dass nun endlich ein kräftiger Schluck aus der Lohnpulle genommen wird. Das mag manche Konkurrenten aus dem Ausland freuen, wenn die deutschen Lohnstückkosten deutlich ansteigen und Produkte „made in Germany“ teurer werden.
Nun kommen geopolitische Gefahren auf die deutsche Wirtschaft zu. Die Krisen in der Ukraine, im Irak, im Nahen Osten und anderswo in der Welt bleiben nicht wirkungslos. Die Weltwirtschaft lahmt zusehends, der China-Boom ist vorbei, in den BRIC-Staaten herrscht Flaute, in der EU kommen die meisten Länder – wie etwa Italien, Frankreich und Spanien – kaum aus dem Krisental heraus. Niemand kann derzeit exakt abschätzen, wie sich etwa die Sanktionen gegen Russland auswirken werden, ob die russischen Gegensanktionen nicht sogar größeren Schaden für Deutschland und andere Partnerstaaten bedeuten werden. In vielen Unternehmen unserer Republik herrscht inzwischen eine spürbare Verunsicherung.
Die Firmen halten sich bei neuen Investitionen und bei Neueinstellungen von Mitarbeitern mehr und mehr zurück. Attentismus dominiert in großen Konzernen ebenso wie in mittleren und kleinen Betrieben. An den Wertpapierbörsen, immer ein gutes Stimmungsbarometer, fallen die Aktienkurse wie reife Früchte im Herbst von den Bäumen. Die geldpolitische Tränke ist bis zum Überlaufen voll, doch die Pferde, also die Investoren, saufen nicht. So verwundert es nicht, dass alle Experten ihre Erwartungen nach unten schrauben. Gingen sie noch vor wenigen Monaten von einem realen Wachstum der deutschen Volkswirtschaft um rund 2 % aus, befürchten sie nun für den weiteren Verlauf des Jahres 2014 eine Stagnation und rechnen insgesamt nur noch mit einem Wachstumsplus von 0,5 bis höchstens 1 %.
Die Große Koalition ist von diesem ökonomischen Wettersturz in diesem Sommer kalt erwischt worden. In Berlin wird über die Maut, Waffenexporte und andere Themen heiß diskutiert, jedoch weniger über eine vertrauensbildende Strategie für den Fall, dass Deutschland in eine Stagnation und Deflation rutschen könnte. Ob dieser Fall vielleicht schneller zum Abbau der kalten Progression bei der Einkommensteuer führen könnte, ist ungewiss: Gabriel – wie mancher aus den Gewerkschaften – ist dafür, Merkel dagegen, während die Mittelständler von CDU und CSU sich dafür einsetzen. Trotz der derzeitigen politischen Sommerpause sollten die Verantwortlichen in Berlin zumindest über Schutzschirme für den möglicherweise stürmischen Herbst nachdenken oder – noch besser – sie dann parat haben.
Der stürmische Herbst nimmt immer mehr Züge an und seitens der Regierung scheinen leider weder ein Schutzschirm noch Gegenmassnahmen in der Schublade zu liegen.