Mit größter Aufmerksamkeit verfolgen Präsident Putin und seine Gefolgsleute im Kreml die Entwicklungen in der EU. Die Hoffnungen, dass die Euro-Krise die Gemeinschaft zerreißt, sind bislang nicht in Erfüllung gegangen. Die Solidarität der Europäer war letztlich groß genug, um Irland, Portugal, Zypern und vor allem auch Griechenland vor dem finanziellen Totalabsturz zu retten und diesen EU-Partnern bei der notwendigen Konsolidierung hilfreich zur Seite zu stehen. Ebenso zeichnet sich nun eine Lösung der Flüchtlingskrise ab. Dass die EU hierfür einen teuren Deal mit der Türkei, seit einiger Zeit ein erklärter Feind Russlands, eingeht, wird in Moskau nicht gerade freudig aufgenommen.
Schmerzhafte Sanktionen
Nach wie vor gestaltet sich der politische Dialog mit Putin außerordentlich schwierig. Das Minsker Abkommen hat zwar zu einer begrenzten Eindämmung der Ukraine-Krise beigetragen, doch von einem friedlichen Miteinander der beiden Nachbarländer ist man nach wie vor Lichtjahre entfernt. Zudem hält der „russische Bär“ die Krim-Region fest in seinen Fängen. Das ist ein gravierender Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen alle Vereinbarungen, die nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ getroffen wurden: Sowohl Russland als auch alle westlichen Staaten hatten sich darauf verständigt und feierlich beschlossen, nationale Grenzen nicht mit Gewalt zu verletzen. Die Antwort des Westens auf diese russische Militär-Aktion waren wirtschaftliche Sanktionen. Sie sind nach wie vor in Kraft und wurden von allen EU-Mitgliedern solidarisch getragen. Und das, obwohl Ungarns Regierungschef Viktor Orban, aber auch Bayerns Ministerpräsident Seehofer öffentlich für eine Lockerung der Sanktionen plädieren.
Kräftige Rezession
Diese Maßnahmen zeigen inzwischen Wirkung. Ohne Zweifel sind auch westliche Exporteure von Agrarprodukten und Lebensmitteln von diesem Lieferstopp nach Russland betroffen, doch die russische Wirtschaft spürt die negativen Konsequenzen schmerzlich. Russland befindet sich auf einer ökonomischen Talfahrt. 2014 gab es noch ein bescheidenes Wachstum von 0,6 %. 2015 schrumpfte die russische Wirtschaftsleistung um 3,7 %. Auch im laufenden Jahr droht ein weiterer Rückgang, der noch tiefer in die Rezession führt. Das führende russische Meinungsforschungsinstitut „Lewada-Zentrum“ berichtete jüngst, dass 82 % der Russen Krisenängste empfinden.
Schwacher Rubel
Neben den Sanktionen wird Russland von dem Einbruch des Rohölpreises besonders hart getroffen. Die geringeren Einnahmen schlagen sich in steigenden Defiziten im Staatshaushalt nieder. Ebenso ist der Rubel schwach wie lange nicht mehr. Und die Inflation galoppiert wieder. Das führt zu einer weiteren Absenkung der Realeinkommen: Sie sind 2015 um 9,5 % gefallen und dürften 2016 um weitere 7 % sinken. Der Lebensstandard vieler der 144 Millionen Russen wird damit deutlich zurückgehen. Während das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Deutschland mehr als 41.000 Dollar beträgt, liegt dieser Wert in Russland gerade bei rund 8.500 Dollar.
Sinkender Lebensstandard
Viele Millionen Russen bangen derzeit um ihren Arbeitsplatz. Auch die Perspektiven der russischen Mittelschicht verschlechtern sich zusehends: Das Geld reicht kaum noch für teure Importwaren und auch Auslandsreisen sind für die meisten Russen fast unerschwinglich geworden. Lediglich einige Oligarchen sind gegen die Rubelschwäche und den Absturz der Realeinkommen immun; sie sind nach wie vor an der Cote d´Azur, an spanischen Stränden oder beim Shopping in Paris anzutreffen.
Staatliches Anti-Krisenprogramm
Kleinere Gruppen von Russen, die vor einiger Zeit Fremdwährungskredite oder -hypotheken –etwa in Dollar oder Euro- aufgenommen haben, befinden sich inzwischen angesichts der Rekordabwertung des Rubels in einer Notsituation. Sie versuchen, die Banken zu Hilfen bei der Lösung ihrer finanziellen Probleme zu bewegen und haben dafür auch schon „Mini-Demonstrationen“ vor einigen Kreditinstituten -etwa vor der Raiffeisenbank- in Moskau veranstaltet. Die russische Regierung hat derweil ein Anti-Krisen-Programm aufgelegt: Mit 750 Mrd. Rubel (ca. 9 Mrd. Euro) sollen Hilfen und Reformen finanziert werden. Die Landwirtschaft, der Maschinenbau, die Leicht- und auch die Autoindustrie sollen so unterstützt werden.
Jüngst wurde der schwedische Generaldirektor, Bo Andersson, beim russischen Autobauer Avtovaz gefeuert. Grund dafür sind massive Verluste des Unternehmens und sozialer Unfrieden am Produktionsstandort Togliatti, wo Ladas gefertigt werden. Noch im letzten Oktober lobte Präsident Putin das neueste Modell, den Lada Vesta. Immerhin war es gelungen, die Qualität der Fahrzeuge deutlich zu verbessern: Während früher nur gut die Hälfte der Wagen fehlerlos vom Band lief, war die Zahl der Ladas ohne Defekt auf 88 % erhöht worden. Der schwedische Manager hatte auch die Kosten kräftig gesenkt – vor allem mit Massenentlassungen; rund ein Drittel der einst 60.000 Arbeiter verlor so den Job. Insgesamt ist der Fahrzeugmarkt Russlands 2015 um über 35 % eingebrochen – auf gerade noch 1,6 Mio. Wagen. Im laufenden Jahr geht der Abwärtstrend weiter, so dass die Perspektiven für die Lada-Produzenten schlecht bleiben.
85 % Zustimmung für Putin
Noch herrscht weitgehend Ruhe in Russlands Bevölkerung, die schon immer besonders leidensfähig war. Sie spürt die wirtschaftliche Verschlechterung, doch noch nicht in einem Maße, dass der Vertrauenskredit der staatlichen Obrigkeit verspielt wäre. Die Propaganda-Maschinerie des Kreml läuft auf hohen Touren und poliert täglich das Image von Putin auf. Ihm werden Fehlentwicklungen im russischen Reich nicht angelastet, sondern vielen andern – vor allem dem Westen, aber auch dem Ölpreis sowie dem einen oder anderen Minister und Manager. Präsident Putin gilt als Garant für außen- und sicherheitspolitische Stärke, für globale Bedeutung und russischen Patriotismus. Aktuelle Umfragen zeigen dies überdeutlich: 85 % der Russen billigen heute Putins Aktivitäten; vor der Annexion der Krim waren es nur 60 %. Westliche Politiker müssen sich auf solche Befindlichkeiten im russischen Riesenreich einstellen, wenn sie wieder den positiven Dialog mit dem Kremlherrscher suchen. Nur kurzsichtige Börsenspekulanten wie etwa George Soros setzen auf eine baldige Pleite des Putin-Regimes, auf politische Aufstände in Russland oder gar auf einen Kollaps des Staates.
Bildquelle: Kremlin.ru, Vladimir Putin, CC-BY 4.0