Das Ergebnis der Präsidentenwahl in den USA macht uns nach wie vor ratlos, und das fast jeden Tag mehr. So richtig wissen wir nämlich noch nicht, was Präsident Trump mit seinem Erfolg macht – dazu sind seine Twitter-Botschaften einfach zu kurz und die Signale seiner Mitstreiter zu widersprüchlich. Das Wahlergebnis vom 8. November letzten Jahres hat viele Beobachter auf dem falschen Fuß erwischt, bis heute fehlt eine gründliche Analyse, etwa von Seiten der Politikwissenschaft, die zu erklären versuchte, was da eigentlich passiert ist. Bei uns in Deutschland waren schnell die „Schuldigen“ für den nicht gewünschten Sieg von Donald Trump identifiziert: die Scharen der unzufriedenen, vom politischen System enttäuschten weißen Arbeiter vor allem in den vom Niedergang der alten Industrien geprägten Regionen des Landes. Sicher, aber nicht nur „der kleine Mann“, sondern ebenso erstaunlich viele Frauen und viele Hispanics, von denen man das nicht erwartet hatte, haben ihr Kreuz auf dem Wahlzettel nicht bei Hillary Clinton, sondern bei Donald Trump gemacht. Es war eine Abstimmung für den populistischen Herausforderer und gegen die politischen Eliten. Jetzt stehen sich erst einmal zwei politische Lager scheinbar unversöhnlich gegenüber, und es fragt sich, ob und welche integrativen Kräfte es in den USA gibt, die der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken können.
Abgesehen davon, dass es in demokratischen Wahlen immer nur einen „Schuldigen“ geben kann, nämlich den Wähler, und sich deshalb alle negativen Bewertungen für einen Teil der Wählerschaft eigentlich verbieten sollten, kann und muss man natürlich fragen, wie sich die Meinungsbildung des Wählers entwickelt hat und wie sich das Wahlergebnis auch aus der Rolle und Funktion der anderen Elite, nämlich der Meinungselite, erklären lässt, oder anders formuliert: Was haben die Medien dazu beigetragen? Vor allem die Kommunikations-, Medien- und Politikwissenschaftler werden dazu hoffentlich bald Antworten liefern, die vielleicht auch für uns in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik aufschlussreich sein können für die hierzulande anstehenden Wahlen zu den Landtagen im Saarland (26. März 2017), in Schleswig-Holstein (7. Mai 2017) und in Nordrhein-Westfalen (14. Mai 2017) sowie zum Bundestag im Herbst 2017.
Was man schon auf den ersten Blick feststellen kann, ist, dass unsere Medien nicht durch so deutliche politische Zuordnungen charakterisiert sind, wie dies im amerikanischen Mediensystem zu beobachten ist, vor der Wahl und danach. Nahezu alle wichtigen US-Zeitungen haben sich gegen Trump ausgesprochen, im Fernsehen gab es ebenfalls Derartiges, allen voran CNN, allerdings auch ihm eindeutig unterstützende Sender wie Fox News. Und die gegenwärtige bizarre Auseinandersetzung zwischen Trump und den etablierten Medien, die unter dem Stichwort „Fake News“ nur noch Kopfschütteln hervorruft, treibt das Ganze täglich zu neuen Höhen. Noch eindeutiger war die Unterstützung während des Wahlkampfs im Radio, vor allem durch Trump lautstark unterstützende Radio-Talkmaster. Im Netz, sprich besonders in den sozialen Medien, haben seine Anhänger die Debatte sogar klar dominiert – in einer Art, die mit zivilisierten Umgangsformen oft nicht sehr viel oder gar nichts mehr zu tun hatte. Im Gegensatz dazu ist das deutsche Mediensystem, was das Ausmaß, in dem sich (partei-) politische Konfliktlinien im Feld der Medienanbieter abbilden, geradezu als gemäßigt zu bezeichnen.
Dies ist, um hier in erster Linie die elektronischen Medien zu betrachten, vor allem ein Verdienst des binnenplural und staatsfern ausgestalteten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber natürlich auch ein Verdienst beider Säulen des dualen Rundfunksystems. Anders als z. T. im marktorientierten Mediensystem der USA ist politische Polarisierung noch nicht zum Geschäftsmodell geworden. In Zeiten von steigenden Selektionsmöglichkeiten der Nutzer bei der Medienauswahl – die gerade durch Online-Angebote stark gewachsen sind – ist dies ein sehr hohes Gut.
Die Kommunikationswissenschaftler hierzulande sind sich denn auch weitestgehend einig, dass das deutsche Mediensystem die Bevölkerung (noch) relativ stark mit widerstreitenden politischen Ansichten konfrontiert. Eine solche „Exposure to Disagreement“ habe zur Folge, dass der politische Diskurs bei uns bisher nicht aus dem Ruder gelaufen sei. Dies ist richtig, allerdings kann es aus meiner Sicht nicht darüber hinwegtäuschen, das hat die Berichterstattung über den amerikanischen Wahlkampf gezeigt, dass neben den Politikern auch die Medien dazu neigen, nach „Schuldigen“ für ungewünschte Tendenzen zu suchen, statt nach den Ursachen für diese Tendenzen und politischen Phänomene zu fragen.
Die öffentliche Aufgabe, die der Rundfunk in unserem dualen System nach wie vor hat, ist in meiner Wahrnehmung eine Garantie für die genannte „gemäßigte“ Rolle in der politischen Kommunikation. Allerdings zeigen die Auswüchse, die auch hierzulande in den sozialen Medien zu sehen sind, Stichwort „Hate Speech“, dass sich in der Bevölkerung nicht mehr alle an die Formen eines zivilisierten Umgangs halten wollen, die einer demokratischen Gesellschaft angemessen sind. Zu viele haben keine Hemmungen mehr, ihre Enttäuschung, ihre Wut, ihre Aggressivität verbal bzw. schriftlich öffentlich zu machen. Dagegen hilft nur konsequentes Ahnden von strafbaren Äußerungen und Handlungen und die Verstärkung der medienpädagogischen Bildungsarbeit auf allen Ebenen und Kanälen. Und dazu gehört eben auch die Sicherung der besonderen Aufgabe des Rundfunks im dualen System – eines Rundfunks, der für das Funktionieren der demokratischen Prozesse gebraucht wird und der als Beobachter, Deuter, Erklärer, Hinterfragender und, wo nötig, natürlich auch als Kritiker des politischen Systems und seiner Akteure seine integrative Kraft dem Auseinanderfallen der Gesellschaft entgegenstellt.
Im Gegensatz zu den USA haben wir einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen sich daran messenden privaten Rundfunk. Diese Situation sichert uns nicht vor Populismus, Dumpfheit, Diskriminierung oder Hass, aber sie kann dem allen etwas entgegensetzen. Um dies glaubwürdig tun zu können, muss der Rundfunk staatsfern sein und darf politisch nicht irgendeinem Parteilager zugerechnet werden. Der Vorwurf der „Lügenpresse“ ist auch auf den Rundfunk gemünzt, aber dagegen kann er gute Argumente ins Feld führen, weil er sich eben nicht so plump wie unterstellt instrumentalisieren lässt. Der zurückliegende Wahlkampf in den USA hat gezeigt, was passiert, wenn die öffentliche Aufgabe der Medien in eine politische Polarisierung umschlägt.
Gerade in Zeiten der Digitalisierung muss die öffentliche Aufgabe des Rundfunks im dualen System gesichert und gestärkt werden. Dazu muss sich insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk darauf konzentrieren, diese Aufgabe so zu definieren und zu konkretisieren, dass er sich nicht im Seichten oder im Beliebigen der Unterhaltung verirrt, sondern seine Kernaufgaben der Information, der Bildung und der Beratung stärkt. Nur das garantiert seine Glaubwürdigkeit und sichert seine Funktion für eine funktionierende demokratische Gesellschaft. Das Beispiel USA zeigt, wie wichtig unser Rundfunksystem ist. Oder anders gesagt: Wenn wir es nicht hätten, müsste es neu erfunden werden, wenn auch in mancherlei Hinsicht modifiziert. Wer sich historisch auskennt, weiß übrigens, wem wir unser föderales und staatsfernes Rundfunksystem zu verdanken haben: den ehemaligen Besatzungsmächten Großbritannien und den USA.
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