Politische Rücktritte sind in Deutschland aus der Mode gekommen. Nicht, dass es nicht mehrere Fälle gegeben hätte, in denen ein Abgang zu erwarten und nach strengeren Maßstäben auch fällig gewesen wäre. Sie verbinden sich beispielsweise mit den Namen von Andreas Scheuer und Horst Seehofer, Ursula von der Leyen, Jens Spahn und Julia Klöckner; die Aufzählung ist gewiss nicht vollständig. Aber immer gab es andere Wege – aussitzen, wegloben, verharmlosen – sich aus der Affäre zu ziehen. Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet entdeckt gerade für sich eine ganz neue Form des Nichtzurücktretens.
Derweil führt Sebastian Kurz in Österreich eine Rücktrittsvariante vor, die an Plumpheit kaum zu überbieten ist. Der unter Korruptionsverdacht stehende Bundeskanzler garniert sein Ausscheiden aus dem Amt mit der patriotischen Erklärung, er wolle Schaden vom Land abwenden. Tatsächlich reitet er die schwarz-grüne österreichische Regierung immer tiefer in den Sumpf. Denn bei Licht betrachtet bleibt der 35-jährige Kurz der Strippenzieher der Macht. Als Chef der konservativen Fraktion im Parlament und auch als ÖVP-Vorsitzender behält er alle Zügel in der Hand; zumal Alexander Schallenberg, der bisherige Außenminister, den Kurz zum neuen Kanzler machen will, seinem Parteichef treu ergeben ist. Man stützt sich, man hilft sich, man deckt selbst übelste Fehltritte.
Der Rücktritt als rettendes Manöver: Da geht es ganz offensichtlich nicht um das Land, sondern um den eigenen persönlichen Vorteil. Den hat Sebastian Kurz von Anfang an im Blick gehabt, als er begann, sich seinen Weg an die Macht zu bahnen. Ebenso rücksichtslos wie skrupellos baute er die – tatsächlich arg ramponierte und erneuerungsbedürftige – ÖVP zu einer Sebastian-Kurz-Bewegung um, in der er allein im Rampenlicht stand und den blendenden Glanz der Erfolge mit niemandem teilen mochte.
Das „System Kurz“ fand Neider und Nachahmer über die Landesgrenzen hinaus. Regelrechte Bewunderung erntete der machtbewusste Kanzler, der sich gern stramm konservativ und zugleich ideologiefrei gab, für den Coup, in der Ibiza-Affäre seines damaligen Koalitionspartners FPÖ nicht mit in die Verantwortung genommen zu werden. Nun soll ihm das möglichst auch für die kriminellen Machenschaften, zu denen die Justiz gegen ihn persönlich ermittelt, erspart bleiben. Die parlamentarische Immunität als rettendes Ufer?
Spätestens da stellt sich die Frage an den neuen Koalitionspartner, ob er Kurz das wirklich durchgehen lassen will. Die Grünen haben von Kurz nur den Rücktritt als Bundeskanzler und einen „untadeligen“ Nachfolger gefordert. Geben sie sich mit der Scheinlösung Schallenberg zufrieden, die den Entzauberten an den Schalthebeln der Macht und in Wartestellung auf eine Rückkehr ins Amt belässt?
Die Vorwürfe, die im Raum stehen, sind gravierend. Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit gehören zu den schwerwiegendsten Makeln, die die Tauglichkeit für jedes politische Amt verwirken. Das gilt auch in Österreich, selbst wenn, oder gerade weil dort seltsame Verquickungen zwischen den Medien und den Mächtigen an der Tagesordnung sind. Die Wirkung von gekaufter positiver Berichterstattung und frisierten Umfrageergebnissen mag nicht nachzuweisen sein, aber sie war beabsichtigt und gewollt; allein das disqualifiziert Kurz und mit ihm alle, die nach seiner Pfeife tanzen und von seinem System profitieren.
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