Man muss die Linken weder mögen noch ihnen zustimmen. Aber sie sind nun mal demokratisch gewählt und sogar das Bundesverfassungsgericht hat es untersagt, deren Abgeordneten Ramelow durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das höchste Gericht verurteilte eine solche Beobachtung als „verfassungswidrig“. Aber da in Thüringen die CDU erstmal seit der Wende 1990 die Macht verlieren und ein Linker Ministerpräsident werden könnte, wird nun gegen eine solche Koalition aus den Linken, der SPD und den Grünen gewettert, was das Zeug hergibt. Gerade haben die potentiellen Koalitionäre sich auf ein Regierungsprogramm verständigt. Anfang Dezember soll eine Linker durch den Landtag gewählt werden. Der Kandidat heißt Bodo Ramelow, er stammt aus dem Westen.
Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel beteiligt sich an dieser Kampagne und warnt die SPD, sich „als stolze linke Volkspartei“ als Juniorpartner unter der Führung der Linkspartei zu begeben. Das sei für den aufstrebenden Freistaat Thüringen eine schlechte Nachricht. Nun ja, Frau Merkel sorgt sich um die politische Zukunft von Frau Lieberknecht, die wie Merkel eine Pastoren-Tochter ist und zur DDR-Zeit lernte, Kirche im real existierenden Sozialismus zu leben. Beide, Lieberknecht und Merkel, waren übrigens damals FDJ-Sekretärinnen, Merkel zuständig für Propaganda und Agitation.
Schon bei der letzten Landtagswahl in Thüringen hätte ein linkes Bündnis eine Mehrheit gehabt, da die CDU wegen des ungeklärten Skiunfalls ihres Ministerpräsidenten Althaus und der damit zusammenhängenden tragischen Umstände bei der Wahl auf 32 Prozent abgestürzt war, aber die SPD hatte sich im Wahlkampf darauf festgelegt, keinen Linken Ministerpräsidenten zu wählen. Also wurde es Christine Lieberknecht, die aber das Bündnis mit der SPD mehr schlecht als recht und vor allem oft zum Verdruss ihres Koalitionspartners über die Runden brachte. Auch darin liegt ein Grund, dass Lieberknecht keine Koalition mehr zustande gebracht hat.
Wenn Frau Merkel zusätzlich auf den Mauerfall vor 25 Jahren hinweist und Krokodilstränen vergießt wegen des Wandels der SPD in Thüringen, sollte man darauf nüchtern reagieren und Merkel an ihre eigene Vergangenheit und an die der einstigen Blockparteien erinnern. Als da waren: CDU, Bauernpartei, die Liberaldemokraten LDPD und die Nationaldemokraten NDPD. Sie alle waren bis 1989 zusammen mit der SED der so genannte „demokratische Block“. Schon vergessen, Frau Merkel? Diese Blockparteien, auch Blockflöten genannt, saßen alle in der Volkskammer und in der Regierung. Sie waren die Steigbügelhalter von Erich Honecker, sie stützten das SED-System. CDU und FDP hatten 1990 keine Probleme damit, die einstigen Blockflöten in ihren Reihen aufzunehmen.
Lediglich die SPD weigerte sich, auf Druck ihrer neuen Parteifreunde im Osten, die sich kurz vor dem Ende der DDR als SDP organisiert hatten und die zu den Reformkräften in Mitteldeutschland zählten, sich Mitglieder der SED einzuverleiben. Willy Brandt hatte zunächst einen Mittelweg gesucht. Er wollte, dass man den SED-Mitgliedern, die sich was zu Schulden hätten kommen lassen, die Hammelbeine langziehen sollte, so drückte er sich bei einer Veranstaltung einmal aus. Sein Rat war, man solle sich jedes einzelne SED-Mitglied anschauen. Doch er konnte sich nicht durchsetzen. Zu groß waren die Aversionen gegen die SED, die nur durch die schmerzhafte Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der DDR zustande gekommen war.
Es war die SPD, die sich 1989/90 auf ihre Geschichte berief und Anstand zeigte. Kritische Stimmen meinen noch heute, in dieser Entscheidung seien die Gründe für die strukturellen Schwächen der SPD in den neuen Ländern zu sehen. Wie auch immer. Nachhilfeunterricht, Frau Merkel, hat die SPD zumindest in dieser Frage nicht nötig. Die Kampagne gegen ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis und einen möglichen Linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist scheinheilig und fällt auf die Union zurück. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass sich die SPD in Berlin mit der Ausnahme von Parteivize Ralf Stegner die Kritik von Merkel gefallen ließ.
Rot-Rot-Grün hat im Landtag von Erfurt nur eine Stimme Mehrheit. Das Bündnis könnte also noch scheitern. Gleich wie das Votum Anfang Dezember ausgeht, die Republik geht dadurch nicht unter. Und ein Signal für andere Länder oder gar den Bund ist das auch nicht.