Wird die Caput Mundi, die ewige Stadt – in einem Wort: Rom – schon nächste Woche zum ersten Mal in ihrer tausendjährigen Geschichte von einer Bürgermeisterin, von Virginia Raggi, geführt? Höchstmöglich ist das schon, wenn man sich die Zahlen anguckt, die am vergangenen Sonntag aus den Wahlurnen herausgekommen sind. Ist das aber alles, was die Zahlen uns verraten? Natürlich nicht, es steckt viel mehr dahinter.
Am letzten Sonntag hat man in 1342 Gemeinden in Italien neue Stadträte und gleichzeitig auch per Direktwahl die Bürgermeister gewählt. Und nicht nur in winzigen Gemeinden im Apennin oder in Grenzgebieten, sondern auch in Großstädten, die politisch oder wirtschaftlich oder unter beiden Aspekten eine sehr wichtige Rolle in Italien und Europa spielen, darunter Mailand und Rom, Turin und Bologna.
Niedrige Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung war niedrig: Im Verhältnis zur letzten Regionalwahl vor fünf Jahren ging sie deutlich um ca. 5% zurück, was schon sehr viel über die Stimmung der Wähler, aber auch die Bedeutung dieser Wahl sagt. Positiv ist ein gewisser Gegendtrend zum sonstigen Europa zu verzeichnen. Die Rechte hat nicht die Oberhand gewonnen, wie es neulich in Österreich zu befürchten war und nur um Haaresbreite vermieden werden konnte. Über Ungarn gar nicht zu sprechen. Mauern und Zäune, die am Brenner errichtet wurden und gegen die sich die Renzis Regierung deutlich gewehrt hat, haben vielleicht den Wählern die Augen geöffnet. Und das ist gut so.
Trotzdem hat man im ersten Wahlgang in keiner der großen, bedeutungsvollen Städten weder den neuen Stadtrat noch den Bürgermeister ernennen können. Überall wird am kommenden Sonntag die Stichwahl entscheiden, denn nirgendwo hat ein Spitzenkandidat 50% der Stimmen bekommen. Deshalb müssen wir uns fragen, ob z. B. wirklich Frau Raggi vom Movimento Cinque Stelle (Fünf-Stern-Bewegung) in Rom gewählt wird oder eher die anderen Kandidaten von den traditionellen Volksparteien abgewählt werden. Und ich tendiere zu dieser zweiten Deutung der Wahl.
Politik hat viele Römer enttäuscht
Der Fall Rom ist ein Muster der Enttäuschung der Bürger über die Politik, denn nirgendwo sonst hat man eine solch traurige Darbietung der Profis der Politik vor der Wahl erleben müssen.
Die Gruppe um Berlusconi, oder was davon noch übrig bleibt, hat am Anfang sogar fünf Kandidaten zur inneren Vorwahl präsentiert, die gegeneinander Wahlkampagnen geführt haben, ohne auf Tritte unter die Gürtellinie zu verzichten. Kurz vor der Wahl hat Berlusconi einen Pakt mit den Vertretern der rechten Parteien „Lega Nord“ und „Fratelli d’Italia“ abgeschlossen , um einen gemeinsamen Kandidaten zu unterstützen. Die Wahl fiel dabei auf Bertolaso, den berüchtigten ehemaligen Chef des dortigen THWs. Kurz danach (aber koalierten Salvini (Lega Nord) und Meloni (Fratelli d’Italia) zusammen und entschlossen sich für den Alleingang, mit der neufaschistischen Giorgia Meloni als Kandidatin. Berlusconi war aber nicht bereit, die Meloni zu unterstützen und ließ noch dazu den eigenen Kandidaten Bertolaso fallen, um Alfio Marchini, den parteilosen und konservativen Bauunternehmer, zu unterstützen. Unter solchen Konditionen hatte der Letzte natürlich keine Siegchance mehr.
Nicht besser hatte sich die Demokratische Partei Matteo Renzis präsentiert, die nach dem unehrenhaften Rücktritt von Bürgermister Marino mit großen Vertrauensverlusten eigener Wähler zu rechnen hatte. Als ob das nicht genug gewesen wäre, war die römische PD außerdem nicht in der Lage, sich mit den anderen linksorientierten Parteien zu einigen, so dass PD und SEL (Sinistra Ecologia e Libertà) zur Wahl mit zwei verschiedenen Kandidaten getrennt antraten: Giachetti (PD, knappe 25 % der Stimmen) wird am nächsten Sonntag zur Stichwahl gegen Frau Raggi antreten, während Fassina, der Kandidat von SEL, nur 4,5 % der Stimmen gewann. Die Rechtspopulisten um die Lega und Fratelli d’Italia haben schon mitgeteilt, dass sie bei der Stichwahl bereit sind, für Virginia Raggi zu stimmen. Hauptsache für sie ist, den Sozialdemokraten den Weg in das Kapitol zu verbauen.
Leider keine Lösung der enormen Probleme
Als Bonner Italienerin, die lange in Rom gewohnt hat und die sich sehr darüber freuen würde, wenn endlich eine Frau so eine große Stadt führen würde, finde ich, dass Virginia Raggi leider keine Lösung der enormen Probleme Roms sein kann.
Abgesehen von ihrer Naivität hat sie versucht, sich als saubere Alternative der Vetternpolitik Roms vorzustellen, obwohl sie selbst für die Internetfirma von Roberto Casaleggio, dem verstorbenen Mitgründer (mit dem Komiker Beppe Grillo) und Guru) der Bewegung Fünf Sterne, gearbeitet hat. Die Bewegung selbst – sie will sich nicht als Partei definieren – wird in Wirklichkeit von einer Handvoll Machtinhaber regiert, also von Leuten, die neue Politiker sein wollen, eben Grillo, Casaleggio und sein Sohn samt einem kleinen Kreis von Vertrauten, die über die Internetfirma Casaleggios die Meinung der Mitglieder aus ihrem eigenen Blog deutlich beeinflussen. Wer nicht bereit ist, den Direktiven dieses Direktoriums zu folgen, der wird aus der Bewegung ausgeschlossen, wie der Fall von Federico Pizzarotti, dem Bürgermeister von Parma, gezeigt hat. Dazu hat Frau Raggi einen sehr merkwürdigen Kommentar gegeben, denn sie erklärte sich bereit, jeder Zeit zurückzutreten, falls Grillo sie darum bitten würde.
Und das ist kein Statement für jemanden, der am Ende der Woche die Verantwortung für eine 3 Millionen große Stadt tragen will.
Dennoch: Virginia Raggi, eine einunddreißigjährige Rechtsanwältin und von echtem Enthusiasmus geprägt, wird am kommenden Sonntag sehr wahrscheinlich die erste Frau sein, die das höchste städtische Amt in Rom bekleiden wird. Leider wird sie diesen Posten nicht dank ihrer Stärke und ihres Programms, sondern dank der Schwäche ihrer Gegner erreichen.
Bildquelle: Wikipedia, Roma1314, CC BY-SA 3.0