Es ist ein Thema, das vor fast 25 Jahren die Gemüter der Republik in Ost und West erhitzte, das aber heute im Grunde nur noch die neue Hauptstadt Berlin und ihren Vorgänger, die alte Bundeshauptstadt Bonn interessiert. Es geht um das Bonn/Berlin-Gesetz aus dem Juni 1991, das nach stundenlanger fraktionsübergreifender Aussprache zu Gunsten von Berlin entschieden wurde. Ein Gesetz, das zudem „eine dauerhafte und faire“ Arbeitsteilung zwischen beiden politischen Zentren festlegte. Seitdem ist vieles passiert, Jahr für Jahr reduziert sich die Zahl der Beschäftigten in den Ministerien in Bonn und entsprechend nimmt die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Spree zu. Ein Rutschbahneffekt, den man damals schon vorausahnen konnte, der die Bonner verärgert und sie von Rechtsbruch reden lässt, während die Berliner mehr verlangen, nämlich den kompletten Umzug und zwar sofort.
Ein solcher Schritt würde rund fünf Milliarden Euro kosten, so die Kritiker. Die Berlin-Freunde werfen ein, der ganze Pendelverkehr zwischen Berlin und Bonn verschlinge ebenso Millionen und verschmutze die Umwelt. Überhaupt sei das Ganze ein Anachronismus. Die Bonn-Freunde erinnern an die glorreiche Zeit der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg, an die Fundamente, die für diese Demokratie am Rhein gelegt worden seien. Die Bonner Republik müsse sich nicht verstecken, schon gar nicht vor der Berliner Republik.
Als Leser des „Bonner Generalanzeiger“ –kurz GA- wird man über dieses Tauziehen regelmäßig informiert. Es scheint jemanden in der Redaktion der Bonner Zeitung zu geben, der die Entwicklung der Beschäftigten-Zahlen in den Ministerien genauestens überprüft. Und wenn es sich wieder verschoben hat, erfährt man, dass es in Bonn wieder weniger und dafür in Berlin mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bundesressorts gibt. Die Bonner Abgeordneten aller Parteien werden dann zitiert und natürlich äußern sie sich empört und verlangen die Einhaltung des entsprechenden Gesetzes.
Regierungssitz auf dem Prüfstand
Am letzten Wochenende wurde der Abonnent des GA von dem Aufmacher auf der ersten Seite überrascht: „Regierungssitz Bonn auf dem Prüfstand.“ Die Bundesministerin Barbara Hendricks (SPD), immerhin aus NRW stammend, habe einen Arbeitsstab gebildet und kündige Gespräche zur Aufgabenteilung an. Die SPD-Politikerin ist Umzugsbeauftragte des Bundes für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich. Las man genau, was die Zeitung in ihrem Haupt- und Lokalteil auf hunderten von Zeilen noch veröffentlichte, fand man Wesentliches nicht. Aber dass es weitere Gespräche über den Umgang mit der Aufteilung der Aufgaben zwischen den beiden Standorten geben solle, schien den Verdacht der Bonner zu stärken. Man kann ja nie wissen, was die da in Berlin alles treiben. Gegen Bonn, versteht sich.
Rückblende: Am 20. Juni 1991 beschloss der damals noch in Bonn tagende Bundestag, den Sitz von Regierung und Parlament nach Berlin zu verlegen. Der „Antrag zur Vollendung der Einheit Deutschlands“, so der Text, erhielt 338 Ja-Stimmen, der Gegenantrag, der für Bonn als Regierungssitz plädierte, bekam nur 320 Stimmen, es gab eine Enthaltung und eine Stimme war ungültig. Dem Beschluss war eine Debatte vorausgegangen, die fast den ganzen Tag gedauert hatte. Der Ausgang der Abstimmung war ungewiss gewesen, die Fraktionen hatten es ihren Mitgliedern überlassen, wem sie ihre Stimme geben würden. Der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der in Bonn wohnt, bat darum: „Lasst dem kleinen Bonn Parlament und Regierung.“ Für Berlin brach der Ostberliner SPD-Politiker Wolfgang Thierse eine Lanze: „Hauptstadt Berlin- das darf nicht nur bloße Etikette sein.“ Für Berlin setzte sich auch Wolfgang Schäuble ein: „Berlin ist Symbol für Einheit und Freiheit.“ Dagegen hielt der FDP-Politiker Gerhard Rudolf Baum: „Bonn ist das Symbol für 40 Jahre erfolgreiche Demokratie.“
Wer den Ausschlag für Berlin gab
Nach dem Votum ist lange darüber gerätselt worden, wer oder was den Ausschlag gegeben habe. Schäuble habe die entscheidende Rede gehalten, hieß es. Die PDS, so hieß die Linke damals, habe geschlossen für Berlin gestimmt und damit die Sache entschieden. Aber hatten nicht die Altvorderen in den Parteien, Helmut Kohl für die Union, Hans-Dietrich Genscher für die Freien Demokraten und Willy Brandt für die SPD im Vorfeld dafür gesorgt, dass sich mancher vor allem jüngere Abgeordnete sein Stimmverhalten noch einmal gründlich überlegte? Immer wieder war zu hören, ohne es festmachen zu können, dass vor allem die ältere Parteiprominenz Stimmung für Berlin gemacht habe.
Wie auch immer. Die Entscheidung fiel knapp, aber deutlich genug aus. Und richtig ist ja auch, dass Bonn nicht schlecht gefahren ist mit seiner Rolle als Bundesstadt, diesen Titel erhielt die einstige Bundeshauptstadt als zusätzlichen Trost zu all dem Geld, das man auch bekam, rund 1,4 Milliarden Euro als eine Art von Entschädigung. Nicht zu vergessen, dass Bonn Sitz der Dax-Unternehmen Post, Postbank und Telekom geworden war, dass die Deutsche Welle am Rhein blieb, dass viele Bundesbehörden wie der Bundesrechnungshof in Bonn ansässig sind und dass die kleine Stadt heute Sitz von 18 UNO-Sekretariaten ist. Oder- auch wenn das mit dem größten Bauskandal in der Geschichte der Stadt Bonn verbunden ist- das gerade eingeweihte WCCB, World Conference Center, das Bonn zu einem internationalen Kongresszentrum machen soll.
Bonn hat eine Art Phantomschmerz
Das Aber der Bonner wollen wir nicht verschweigen. Im Paragraphen 4 des Bonn/Berlin-Gesetzes steht, dass „der größte Teil der Arbeitsplätze“ der Bundesministerien in Bonn bleiben soll. Das ist Geschichte. Nur noch 38 Prozent der Ministeriums-Jobs befinden sich in Bonn. Im Juni 2013 gab es noch 7109 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den ersten und zweiten Dienstsitzen in Bonn, während die 2013-Zwischenbilanz für Berlin 11132 Jobs gemeldet hat. Ein Beispiel, zitiert aus dem Generalanzeiger vom Wochenende: das Bundesinnenministerium hat jetzt 1162 Stellen in Berlin und nur noch 201 in der Bundesstadt. Oder das Bundesfinanzministerium: Berlin: 1595 Stellen, Bonn: 377 Stellen. Dass beide Ministerien mit Namen verbunden sind wie Thomas de Maiziere und Wolfgang Schäuble, wirkt fast logisch. De Maiziere wurde schon als Verteidigungsminister vorgeworfen, Stellen vom Rhein an die Spree verlagert zu haben, eine Politik, die er als Innenminister fortgesetzt habe.
Ähnlich bei Schäuble, dem großen Berlin-Freund in der Debatte von einst, der sich zum Bonn/Berlin-Gesetz kürzlich dahingehend geäußert hatte, dass kein Gesetz von Dauer sein müsse. Aber Schäuble habe im Gegenzug auch Oberbehörden in Bonn angesiedelt, wie z.B. die Generalzolldirektion. Und ganz nebenbei, so ließ das Ministerium erklären, habe Bonn damit die fünfte große Behörde der Finanzverwaltung in der Stadt, nach der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, dem Zentralamt für Steuern, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und dem Zentrum für Informationsverarbeitung.
Dass die rheinischen Abgeordneten in einer Art Pflicht-Erklärung sich darüber empörten-„nicht hinnehmbar“, so die Landesministerin Schwall-Düren-, verwundert nicht, fällt aber auch nicht weiter auf. Früher pflegte man in Bonn „mit Abscheu und Empörung“ auf Dinge hinzuweisen, die einem nicht gefielen, die man andererseits aber auch nicht für so wichtig nahm. Aber hat die Ministerin Recht, wenn sie fordert, das dürfe nicht zu Lasten der Stadt Bonn gehen? Als wenn es das täte! Bonn boomt, schreibt der NRW-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, die Stadt habe das höchste Bruttoinlandsprodukt in Nordrhein-Westfalen. Und wörtlich schiebt er ein wenig ironisch nach: „Was Bonn aber auch hat, ist eine Art Phantomschmerz über den Verlust an Bedeutung. Früher war man Hauptstadt, heute ist man nur noch auf der Wetterkarte des ZDF zu sehen.“
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1. Reichtstagsgebäude – By Berthold Werner (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
2. Bonner Wappen – By Stadt Bonn (File:Wappen-stadt-bonn.png, recreated by Jüppsche) [Public domain], via Wikimedia Commons
3. Berliner Wappen – By Ottfried Neubecker [Public domain], via Wikimedia Commons
4. Adler – By Wappenentwurf: Karl-Tobias Schwab (1887–1967), entworfen 1926 diese Datei: Jwnabd [Public domain], via Wikimedia Commons