Richard von Weizsäcker verkörperte mit seinem Auftreten und in seinen Reden, seiner ganzen Ausstrahlung den Idealtypus eines Bundespräsidenten. Als er nach zehn Jahren 1994 die Villa Hammerschmidt in Bonn verließ, dem Amtssitz des deutschen Staatsoberhaupts, war das Urteil parteiübergreifend unstrittig: Er war ein Glücksfall für Deutschland. Am 31. Januar 2015 ist Richard von Weizsäcker im Alter von 94 Jahren in Berlin gestorben.
Wer Richard von Weizsäcker im Amt erleben und begleiten durfte, gleich ob in Bonn, irgendwo in Deutschland oder auf Auslandsreisen, genoss seine Auftritte. Jeder Schritt war gekonnt, jedes Wort war dem Anlass angemessen, gerade so, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Er konnte es einfach, das war nicht auswendig gelernt, nicht gequält, nicht arrogant, das war locker und leicht. Dass wir Journalisten ihn halb scherzhaft, halb anerkennend „König Richard“ nannten, hatte mit der Aura zu tun, die ihn umgab.
In der letzten Zeit hatte er sich rar gemacht, der Alt-Präsident, der, wenn er auftauchte, schon allein an seinem aufrechten Gang und seinen grauglänzenden Haaren erkannt wurde. Das Volk liebte ihn, so wie er war, der Richard von Weizsäcker. Den Adelstitel hat man im Zusammenhang mit seinem Namen stets mit genannt, er passte zu dem edlen Zeitgenossen, der als Rentner lange Jahre keinen Ruhestand kannte.
National wie international war er als Redner gefragt. Und wenn es die Zeit daheim ermöglichte, legte er mal eben so nebenbei das Sportabzeichen ab. Insgesamt hat er das Goldene zehn Mal hintereinander erworben. Er war fit wie ein Turnschuh. Es kam auch schon mal vor, dass der Bundespräsident in der Früh ausbüxte und sich heimlich ins städtische Hallenbad schlich, um ein paar Bahnen zu schwimmen. Sehr zum Ärger seiner Sicherheitsbeamten, die von den Alleingängen dieser Art nun gar nicht begeistert waren.
DDR-Grenzpolizist salutierte vor dem Präsidenten
Er hat ein Leben mit vielen herausragenden Ereignissen erlebt, den Fall der Mauer stufte er aber als d e n Höhepunkt seiner zehnjährigen Amtszeit ein. Bekannt ist jene Szene am Morgen nach der Maueröffnung, als der Bundespräsident, der damals auch einen Amtssitz in Berlin hatte, zur innerdeutschen Grenze ging, ganz allein und inoffiziell ohne großen Stab, und der DDR-Grenzpolizist vor ihm salutierte mit den Worten: „Guten Morgen, Herr Bundespräsident, Melde, keine besonderen Vorkommnisse.“ Wohl gemerkt, das war zu einer Zeit, als die DDR noch existierte, die Einheit erfolgte erst am 3. Oktober 1990.
Im Fall der Mauer erkannte Weizsäcker den großen Einschnitt der deutschen und europäischen Geschichte, ein Einschnitt, der die Schranken beseitigte, die nicht nur Berlin und Deutschland, sondern ganz Europa teilten. Weizsäcker kannte Berlin sehr gut, weil er hier ein erfolgreicher regierender Bürgermeister war, der die Hausbesetzer-Szene befriedete und der von Berlin aus den Griff nach dem höchsten deutschen Amt wagte, nicht zum Gefallen aller in Bonn. Bundeskanzler Helmut Kohl, so hieß es damals, sei nicht so begeistert gewesen von der Rückkehr seines Parteifreundes, mit dem er so manche Fehde austragen musste.
Der Mann hat viele Ämter in seinem Leben bekleidet, in der Politik wie der evangelischen Kirche. Früh trat er der CDU bei, wurde in den 60er Jahren ihr Bundestagsabgeordneter, es drängte ihn aber nicht zu Ministerehren. Wie überhaupt er sich selten in die teils knallharte Parteipolitik einmischte, aber wusste um die Macht der Parteien, wusste sehr wohl, dass er die Zustimmung der Union brauchte, um als Bundespräsident gewählt zu werden.
Er war gewiss kein einfacher Politiker und später kein einfacher Präsident. Mitarbeiter in der Villa Hammerschmidt haben mehrfach über die Morgenlage des Bundespräsidenten gestöhnt, weil Weizsäcker auch sehr ungeduldig und ungnädig werden konnte, wie sie das schilderten, wenn ihm die Zuarbeit der Mitarbeiter im Präsidialamt missfiel. Mit Helmut Kohl, dem langjährigen Kanzler und CDU-Parteichef, geriet er des Öfteren aneinander, weil Weizsäcker scharfe Kritik am Parteienstaat übte und gelegentlich von Machtversessenheit und Machtvergessenheit der Politiker sprach und dabei sicher auch Kohl meinte.
Der 8. Mai 1945- ein Tag der Befreiung
Ein Bundespräsident wirkt durch das Wort und diese Kunst beherrschte er. Herausragend war seine Rede zum 8. Mai 1945, die er 40 Jahre nach Kriegsende hielt. Darin setzte er, auch zum Ärger mancher Parteifreunde vom rechten Rand der Union, Maßstäbe, wie man mit der Nazi-Vergangenheit Deutschlands umgehen müsse. Der Kernsatz lautete: Der 8. Mai sei ein Tag der Befreiung, nicht so sehr der Niederlage gewesen, Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Rede sorgte für Aufsehen in der ganzen Welt, weil sie auch teils anklagend war an die Adresse der eigenen Bevölkerung, der er vorhielt, weggeschaut zu haben, wenn Juden von der Gestapo abgeholt wurden.
Weizsäckers Worte waren auch deshalb so überragend, weil er selber als Soldat im Zweiten Weltkrieg am Überfall auf Polen teilgenommen und im Krieg gegen die Sowjetunion an der fast dreijährigen und mörderischen Belagerung der Stadt St.Petersburg durch die deutsche Wehrmacht mitgewirkt hatte. Später wurde er verwundet. Bei den Nürnberger Prozessen nach dem Krieg war der Jurastudent Richard von Weizsäcker Hilfsverteidiger seines angeklagten Vaters Ernst von Weizsäcker, der Diplomat und Staatssekretär im Außenministerium von Ribbentrop gewesen war.
Nach der Wiedervereinigung wurde Richard von Weizsäcker ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Hauptstadt Berlin. Das trug ihm zwar Kritik in Bonn ein, aber er hielt standhaft dagegen. Und erinnerte daran, dass beinahe alle Politiker in den Nachkriegsjahren Berlin eine Art Garantie gegeben hatten, die Stadt wieder zur politischen Metropole zu erheben, wenn die Zeit gekommen sei. Und mit dem Fall der Mauer und der deutschen Einheit waren die Hindernisse beseitigt.
Richard von Weizsäcker war nie ein Mann, der sich mit dem bloßen Repräsentieren begnügt hätte, nein, er wollte dem Amt mehr Politik verleihen, mehr Orientierung. Man hätte aus Anlass des 70.Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, man hätte, um das Ungeheuerliche und auch heute kaum zu begreifende des Holocaust einzuordnen, auch aus der Rede von Weizsäckers damals am 8. Mai 1985 zitieren können. „Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des Inneren wird… Wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht und Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Kriege geführt hat.“ Und zur Vernichtung von Millionen Juden, könnte man hinzufügen.
Selten sind einem Bundespräsidenten schon zu Lebzeiten so viele Kränze geflochten worden wie Richard von Weizsäcker, dem Weltmann und Weltgeist. Die Journalistin Sibylle Krause-Burger schrieb 1988 in der „Stuttgarter Zeitung“: „Keiner der Vorgänger ging so Ton in Ton in dieser Umgebung auf, weder Scheel noch Lübke, weder Heinemann noch Carstens, ja nicht einmal der schwäbische Intellektuelle und Literat Theodor Heuss vermittelte diese Gewissheit: dass der Anspruch des Mannes mit dem seines Amtes so wunderbar zusammenklingt.“ Er hat es sich verdient.
Bildquelle: Wikipedia, (via de.wikipedia.org), C8632-25A, gemeinfrei
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