Wolfgang Clement, einst Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit in der Regierung von Gerhard Schröder, wagte etwas Außergewöhnliches: Als Herausgeber legte er jetzt ein Buch mit dem Titel “Das Deutschland-Prinzip“ vor. Das umfangreiche Werk, immerhin einige Kilo schwer, in dem rund 175 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften, Kultur und Sport über die Stärken Deutschlands geschrieben haben, wurde von Sigmar Gabriel im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Bundeswirtschaftsminister zeigte sich sehr erfreut darüber, dass in diesem Buch nicht wie in vielen anderen Publikationen die Autoren ihre Analysen und Rezepte an der sonst beliebten Klagemauer verfasst haben, sondern unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als das große Erfolgsmodell in vielen Facetten und aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben. Sigmar Gabriel überraschte dabei mit seiner eigenen Lehrstunde zur Sozialen Marktwirtschaft. Er zeigte sich außerordentlich Kenntnisreich und erklärte dem staunenden Publikum, das zur Buchvorstellung erschienen war, die verschiedenen Stilelemente dieser Ordnung. Seine Hinweise auf die positiven Einflüsse der Ordoliberalen der Freiburger Schule sowie auf die Väter der Sozialen Marktwirtschaft wie Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack verblüfften fast alle im Dussmann-Auditorium.
An Wolfgang Clement in seiner Funktion als Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gewandt, regte er an, dass die Prinzipien unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht neu erfunden werden müssten.
Bei der Vorstellung des über drei Kilogramm schweren Konvoluts hielt der SPD-Chef eine Rede, zu der jede Versammlung von Spitzenverbänden der Unternehmer und des CDU-Wirtschaftsrates wegen der klaren ordnungspolitischen Orientierung Beifall gespendet hätte. Dass Gabriel dabei den Mindestlohn, den er fast als Forderung der Freiburger Schule darstellte, und die Rente mit 63 als Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft darstellte war zweifellos eine leichte Verneigung nach links in Richtung seiner eigenen Partei. Nicht wenige seiner Genossen mögen andere Ordnungsmodelle realisieren wollen, befinden sich jedoch als kurzsichtige Ideologen in einer überschaubaren Minderheit.
Wolfgang Clement und Sigmar Gabriel zeigten denn auch in wichtigen Politikbereichen eine beachtliche Übereinstimmung. Innovationen, technologischer und ökonomischer Fortschritt bilden das Fundament für sozialen Fortschritt.
Da Deutschland arm an natürlichen Ressourcen ist, stellt das sogenannte Humankapital die Quelle unseres Wohlstandes dar. Es sind der Erfindungsreichtum von Forschern und Wissenschaftlern, es sind die Leistungen von risikofreudigen Unternehmern und fleißigen, gut ausgebildeten Mitarbeitern, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in eine globale Spitzenposition gebracht haben und die auch die Stärke für die Zukunft im international immer schärferen Wettbewerb ausmachen müssen.
Das klare Bekenntnis Gabriels zum Leistungsprinzip fand ein positives Echo, vor allem weil auch mehr von Chancen – denn von Verteilungsgerechtigkeit die Rede war. Dass dieses Prinzip auch bei der Neuregelung der Erbschaftssteuer berücksichtigt werden soll, schob der SPD-Vorsitzende denn sogleich ein. Denn höhere Einnahmen aus dieser Steuer könnten für die Bildung investiert werden; zudem hätten neue Unternehmer in etwa gleiche Chancen wie Erb-Unternehmer – so Gabriel.
Im Vergleich zu manchen seiner Vorgänger im Bundeswirtschaftsministerium, die allzu gern Nachfolger von Ludwig Erhard geworden wären, bei denen es oft genug kaum für eine Imitation von Heinz Erhardt reichte, strebt Sigmar Gabriel einen klaren ordnungspolitischen Kurs an und zeigt sich als durchaus beweglicher, innovativer Gralshüter der Sozialen Marktwirtschaft. Das mag manchen in seiner Partei nicht gefallen – vor allem jenen nicht, die mehr Staat als Markt, mehr Umverteilung, eine höhere steuerliche Belastung von Unternehmen und eine kräftige Ausweitung im Sozialbereich fordern. Solange die linke PDS alle solche Forderungen immer übertreffen wird, kann die SPD im sozialistischen Lager keinen Geländegewinn beim Wählerpotenzial machen. Gabriel visiert deshalb folgerichtig die Mitte an, um seine Partei auch wieder bei Unternehmern, Freiberuflern, Handwerkern, Meistern, Angestellten und Facharbeitern attraktiv zu machen und um aus dem andauernden Tief der demoskopischen Befunde, die seit langem für Bundestagswahlen stabil zwischen 23 und 25 Prozent für die SPD ergeben, herauszukommen. Wenn der Ruck in Richtung Mitte nicht gelingt und Gabriel seine Partei nicht geschlossen hinter sich bringt, wird die SPD auch weiterhin zwischen den Linken und Grünen zerrieben. Ihre bundespolitische Bedeutung dürfte denn in Zukunft noch abnehmen, sodass die Endstation der Sozialdemokraten die Opposition im Bundestag oder bestenfalls die Juniorpartnerschaft mit der CDU/ CSU, die stabil bei 40 bis 42 Prozent liegt und mit Angela Merkel als dominierende Persönlichkeit, wäre.
Gabriel kann nur der Empfehlung seines als Superminister sehr erfolgreichen Vorgängers, Wolfgang Clement, folgen, der in dem Buch “Das Deutschland-Prinzip“ u. a. feststellt: “Innovationen, Freiheit, offene Grenzen und Solidarität sind die Grundlagen für unsere Wirtschaftskraft und damit unseren Wohlstand.“ In den lesenswerten Einzelbeiträgen von renommierten Unternehmern, Gewerkschaftsführern, Wissenschaftlern, Politikern und Kirchenmännern wird dieses Clement-Wort mehr als bestätigt. Für die Zukunftsorientierung Deutschlands ist das Werk mehr als ein wertvoller Kompass.
Wolfgang Clement: Das Deutschland-Prinzip: Was uns stark macht. Econ, 480 Seiten, 68 €