Anfang September kam unerwarteter Besuch aus Altlangsow bei Seelow, wenige Kilometer von der Grenze der DDR zu Polen gelegen: Prof. Werner Stötzer, zu dem seit dem „Lachsessen“ und den Vorbereitungen zur Beuys Ausstellung ein herzlicher und persönlicher Kontakt bestand. Bei einem von ihm gewünschten Besuch in einem Einkaufszentrum hielt er sich vor dem üppigen Warenangebot demonstrativ die Augen zu: „ Wer soll das alles kaufen? Braucht man 10 verschiedene Rasierapparate?“. Daraus sprach die pure Logik des Zuteilungssystems in der DDR, die uns ungewohnt und fremd war. Zurück in der DDR hat er uns einen wunderbar illustrierten Brief geschrieben, der diesen Normalzustand im Alltag in seinem Dorfleben prächtig schildert.
Die sich rasant entwickelnden Kontakte zwischen den Institutionen aus Ost und West hatten Signalcharakter und spiegelten Hoffnung auf eine neue Normalität wieder.
Das Aufatmen nach Abschluss der Verhandlungen und Verabredungen zur Beuys Ausstellung in der DDR bildete nur den Auftakt für eine intensive Arbeits- und Reisephase zur Realisierung des Kataloges und der Eröffnungen in Bonn und Ost Berlin ( ..November, Jan. 1988 ). Für die Austellungs Stationen hatte der DuMont Buchverlag einen Entwurf im Packpapierlook für den Umschlag des Katalogs vorgelegt, der die Vorliebe des Künstlers für einfache Materialien symbolisieren sollte, was spontan von beiden Seiten sehr positiv aufgenommen wurde. Im Rekordtempo hat das Auswahlgremium die Exponate bestimmt und der Verlag die fotografischen Arbeiten für den Katalog erledigt. Binnen zwei Monaten mussten alle diese Vorbereitungen und der Druck des Katalogs, der Ausstellungsplakate und der Einladung sowie die Rahmung der Arbeiten geschafft sein.
Insbesondere die Eröffnung und die gesamte Ausstellung wurden in Ost Berlin zu einem spektakulären Erfolg. Vor der Galerie im Marstall bildete sich eine Schlange von 200 Metern Länge. Die Katalog Auflage von 5000 Exemplaren war innerhalb von wenigen Tagen verkauft. Es musste mit Hilfe der WestLB nachbestellt werden. Die Akademie jubelte über die stattlichen Einnahmen. Johannes Rau, der gemeinsam mit dem Präsidenten der Akademie der Künste der DDR und starker Beteiligung der Kulturprominenz die Eröffnung vornahm, war sichtlich berührt von diesem Ereignis.
Bei dem nachfolgenden Empfang im Ephraim-Palais am Rande des Nikolaiviertels war der Geldgeber dieses Projekt, Friedel Neuber, Vorstandsvorsitzender der WestLB, vom Protokoll der DDR an einen der Katzentische verbannt worden. Es wird ihn nicht getröstet haben, dass ich ihm Gesellschaft leisten durfte. Immerhin habe ich versucht, meine frisch gewonnenen Kenntnisse aus der Lektüre der Brecht Biographie von Werner Mittenzwei in eine niveauvolle Kommunikation einzubringen. Noch während meiner Schulzeit waren Brechts Werke verpönt und gehörten zum Feindbild des Klassenkampfs. Umso erstaunlicher war der Umgang mit dem ausschweifenden Liebesleben des Großdichters in dieser in der DDR erschienen Biographie, die einer Denkmalschändung ähnelte.
Auch in Leipzig war der Andrang der Besucher extrem groß. Die Neugier auf alle Dinge,die aus dem Westen kamen, kannte kaum Grenzen. Man wollte endlich wissen, was der viel geschmähte Künstler, der ja selbst in seinem „Heimatland“ nicht unumstritten war, so geschaffen hatte. Bei einer privaten Einladung in die Wohnung des Direktors der Hochschule, Prof.Arno Rink, prallten die Meinungen in einem illustren Gästekreis heftig aufeinander. Konsens konnte nur mit der Feststellung erzielt werden, es sei ein großer Fortschritt, sich selbst unabhängig eine Meinung
bilden zu können. Der Freigeist Beuys hätte dies wohl begrüßt.
Nach meinen vielen Reisen durch fast alle Winkel des Arbeiter und Bauernstaates packte meine Frau die Neugier auf Land und Leute dieses Staates, der uns Westbürgern als Folge des kalten Kriegs und der gegenseitigen Abgrenzung emotional und gedanklich ferner als die Staaten Afrikas war. Kurz entschlossen haben wir unsere Sommerreise von Spanien in die DDR umgeplant. Ungebremst von Visa Zwängen und Zwangsumtausch haben wir uns das teure Vergnügen in Devisenhotels in Potsdam, Rügen, Dresden und im Thüringer Wald gegönnt. Freunde haben darüber die Köpfe geschüttelt und uns mit zweifelndem Blick erklärt, dafür könne man auch nach Mauritius fliegen.
Der finanzielle Einsatz hat sich gelohnt. Schon auf der ersten Station in Potsdam sind wir eingetaucht in eine sehr deutsche und doch vergangene Welt. Das frisch restaurierte und gerade wieder eröffnete Schlosshotel Cecilienhof, geschichtsträchtige Stätte des Potsdamer Abkommens von 1945, war unsere erste Herberge. Penibel waren alle Räume einschließlich des historischen Tagungssaales stilgerecht mit großem Aufwand wieder hergerichtet. Gleich zu Beginn des Aufenthaltes begegneten wir beim Gang zur sogenannten Blauen Stunde, einem Nachmittagskonzert mit kleiner Besetzung im Innenhof, Richard von Weizäcker im trauten Gespräch mit Hajo Friedrichs. So eingestimmt habe ich den teuersten Cognac meines Lebens getrunken, was uns erst bei der Schlussrechnung auffiel. Der doppelte Hennesy kostete 40 Mark der DDR. Gut beobachtet von unsichtbaren Aufpassern habe ich mich bei den vielen Reisen nie zum günstigen Schwarztausch von West in Ost Mark verführen lassen. Ganz Potsdam strömte trotz der Kriegszerstörungen den Geist vergangener Zeiten und Traditionen aus. Organisiert vom Kulturministerium wurden wir mit einer exquisiten Schlösser Führung verwöhnt. Dazu gehörte auch die sonst für Besucher gesperrte Bibliothek Friedrichs des Großen im Schloss Sanssouci, die wir auf Filzlatschen betreten durften. Als Freak der deutschen neueren Geschichte hat mich der Blick auf die von F II und Voltaire benutzten Sessel ziemlich berührt.
Vor der nächsten Station auf Rügen haben wir einen kurzen Abstecher zu unseren neu gewonnenen Freunden, der Stötzer Familie, in das Oderbruch gemacht. Bereits im Hotel Cecilienhof hatten wir uns zu einem Abendessen getroffen und bei dieser Gelegenheit unser Gastgeschenk, eine eingeschweißte Seite Räucherlachs, überreicht. Angekommen im Oderbruch hatten unsere Gastgeber einen Grillessen für uns vorbereitet. Neben Würsten wurde als Glanzstück eine Ente serviert, die der ebenfalls anwesende Tierarzt der örtlichen Entenfarm „ausgesondert“ hatte.Natürlich wollten wir hören, ob und wie der mitgebrachte Lachs Verwendung gefunden hatte. Nach verlegenem Schweigen wurde uns erzählt, die Sache habe mit einem Totalverlust geendet, weil durch den Transport offenbar Luft in die vakuumierte Packung gedrungen war. Der zum Verzehr eingeladene Tierarzt hatte auch nach Filetierversuchen der versammelten Gästeschar nur noch den Verderb mitteilen können.
Der nur wenige Kilometer von der Oder entfernte Ort Altlangsow bestand damals aus weniger als einem Dutzend Häuser und dem ehemaligen Pfarrhaus aus dem 19. Jahrhundert, das Sylvia Hagen, der Lebensgefährtin von Stötzer, gehörte. Prunkstück war aber das nach Plänen von Schinkel 1832 errichtete Bet- und Schulhaus im Fachwerkstil und Satteldach neben dem Wohnhaus, dessen grundlegende Restaurierung fast abgeschlossen war. Zu dem Haus der Stötzer Familie gehörte ein riesiger Garten, der sich frei „entfalten“ durfte und seinen ganz besonderen Reiz durch eine Vielzahl von Plastiken vermittelte. Ein separates kleines Atelier war für Sylvia Hagen gerade erst errichtet worden, das den Gegenpol zu dem großen offenen Arbeitsplatz von Werner Stötzer bildete, auf dem ein enormer Marmorblock gerade bearbeitet wurde. Obendrauf lümmelte sich die Hauskatze, die sich auch durch die Hammerschläge des Künstlers, die er uns zur praktischen Erklärung seiner Arbeitsweise demonstrierte, nicht stören ließ. Stötzer war gerade der Nationalpreis wegen seines
monumentalen Marmorreliefs auf dem Marx Engels Forum neben dem Palast der Republik in
Berlin verliehen worden. Er genoss wegen seiner Freundschaft mit dem Filmregisseur
Konrad Wolf, Bruder des Chefs der DDR Spionageabwehr Markus Wolf, offenbar einen Sonderstatus, der ihm ungewöhnliche Freiheiten ermöglichte und eine Mitgliedschaft in der SED ersparte. Konrad Wolf hat mit ihm 1974 einen der berühmtesten DEFA Filme, „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, gedreht. Kurt Böwe spielte darin den etwas weltfremden Bildhauer, der mit den Regeln des Sozialismus fremdelte und den Künstler Stötzer zum Vorbild hatte. Wir haben an diesem idyllischen Platz Tage wie im Traum verbracht. Zu denen auch Sonnenuntergänge am Oder Ufer mit Radeberger Bier und auf dem Deich gegrillten frischen Fisch gehörten.
Traurige Berühmtheit hatte das Städtchen Seelow, 4 Kilometer von Altlangsow entfernt, in der letzten großen Abwehrschlacht um Berlin vom 16. – 19.04.1945 um die Seelower Höhen erlangt. Wir haben die Gedenkstätte auf der mit 46 Metern höchsten Erhebung besucht, die mit martialischem Kriegsgerät aus der Zeit ausgestattet war. Der Blick ging ungehindert auf die Oder und ließ erahnen, welche militärische Bedeutung in diesem Standort lag. Eine Million Sowjetsoldaten standen 120. 000 Soldaten der deutschen Verteidiger gegenüber. Auf sowjetischer Seite gab es 33.000 Gefallene und bei der Wehrmacht 12.000. Das Kampfgeschehen machte dem Begriff Schlacht alle Ehre.
Auf dem Weg nach Rügen haben wir ein einzigartiges Kleinod besucht: Die gotische Klosterruine Chorin, eine 1258 gegründete Zistersienser Abtei in der Nähe von Eberswalde. In dem wunderbar als Ruinen Ensemble restaurierten Kirchenschiff fanden regelmäßig im Sommer viel beachtete Konzerte statt. Auch hier waren wir fasziniert von der fast magischen Stille ohne weitere Besucher. Zehn Jahre später waren wir erneut dort. Massen von Touristen wimmelten herum und machten es unmöglich, die Stille und Majestät, die das Gebäude ausstrahlte, erneut im Bild festzuhalten. Gleiches haben wir an vielen Stellen später erlebt.
In Göhren auf Rügen waren wir für eine Woche im Hotel die einzigen Westgäste und wurden entsprechend beäugt.Auch auf Rügen wiederholten sich auffällige Versuche von DDR Bürgern, mit uns in Kontakt zu kommen. Bei dem Besuch einer Gaststätte an einem sehr heißen Tag sprachen uns zwei Männer mittleren Alters, die nach uns gekommen waren, vom Nachbartisch aus an und offerierten uns im Laufe des Gesprächs das Angebot gegen „Bunte“ eine schicke Ferienwohnung in Göhren zu mieten. Wir sahen die Beiden in einen hellblauen Wartburg einsteigen, der uns im Laufe der nächsten Tage immer wieder auf der Insel begegnete. Damals lag die ganze Insel noch im touristischen Halbschlaf, was für Westbesucher völlig ungewohnt war für derartig exponierte Orte. Es mangelte einfach an Unterkünften für die Reiselustigen und einer entsprechenden Infrastruktur. Selbst auf Kap Arkona tummelten sich nur wenige Gäste und auf den kilometerlangen Stränden konnte man sich etwas abseits der Orte verlieren. Selbst an einem strahlenden Sommertag im Juli bemerkten wir an den berühmten Kreidefelsen höchstens ein Dutzend Besucher, wie ich an den zahlreichen Fotos noch heute sehen kann. Ähnlich wird es jetzt wohl allenfalls im Februar kurz vor der Dunkelheit sein.
Einen Fußmarsch von Vilmitz entfernt, wo Stötzer sein reetgedecktes Sommerhaus neben der Kirche Maria Magdalena und den Fürstengräbern hatte, das wir aus einem früheren Besuch in wunderbarer Erinnerung hatten, lag der Ort Putbus, ein lupenreines städtebauliches Überbleibsel des Klassizismus. Der Kern dieses Ortes bestand aus dem sogenannten Cirkus, einem Straßenrund um eine schöne Grünanlage, das mit klassizistischen Gebäuden aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts umstanden war. Gegründet worden war der Ort von den Fürsten von Putbus, die sich
hier ein städtebauliches Denkmal gesetzt haben. Der leicht morbide Charme der schon verblichenen einstigen Größe des Ganzen ist inzwischen zu einem touristischen Rummelplatz geworden.Unweit
von Putbus lag der kleine Ort Lauterbach am Meer, der bei vielen Künstlern beliebt und gleichzeitig Hafen für die in Sichtweite liegende winzige Insel Vilm war. Der hohe Buchenwald ließ nur wenige Blicke auf eine kleine Anzahl von Häusern zu, die über die Insel verstreut waren.Wir wurden von Einheimischen aufgeklärt, dass das Eiland ein für die
Spitze des Staates reserviertes Refugium sei, betreten für „Sonstige“ verboten.
Die Fahrtdauer von Rügen nach Dresden hatten wir doch erheblich unterschätzt. So kamen wir mit rund anderthalb Stunden Verspätung im Hotel Bellevue an; nagelneu und phantastisch am Elbufer gegenüber der Altstadt gelegen. Hochgestimmt traten wir zur Rezeption und erhielten dort die Nachricht, zwei Besucher würden uns erwarten. Vage hatten wir telefonisch bei Hubertus Giebe unsere ungefähre Ankunftszeit angekündigt und um Hinterlegung einer Nachricht gebeten, ob am Nachmittag noch ein Treffen möglich wäre. Gerhard Kettner, Rektor der Hochschule für Bildende Künste, und Hubertus Giebe hatten diese Nachricht anders gedeutet und uns geraume Zeit, beladen mit Gastgeschenken, im Hotel erwartet. Wir waren tief beeindruckt von dieser Art der Gastfreundschaft, die uns in gleicher Situation in der Bundesrepublik nie ereilt hätte. Kettner eröffnete uns in schönstem Sächsisch, er sehe zwei Möglichkeiten, gemeinsam ein Bier zur Begrüßung zu trinken: bei einem Besuch in seiner Wohnung müsse er als amtierender Rektor der Hochschule an die Staatssicherheit einen Bericht liefern, in seinem Atelier in der Hochschule seien wir dagegen frei von diesen nicht zu umgehenden Auflagen. Die Wahl fiel uns nicht schwer. Versehen mit zwei mit Bier und Nordhäuser Korn gefüllten Plastiktüten haben uns unsere Gastgeber bei dreißig Grad Außentemperatur über die nahe gelegene Carola Brücke zum Albertinum geleitet. Der Außentemperatur angeglichenes Bier und Korn haben in dem wunderbaren Atelier eine rasche und durchschlagende Wirkung gehabt. An die vertrauten und offenen Gespräche hatten meine Frau und ich leider nur noch schemenhafte Erinnerungen.
Nach einem Rundgang durch die Altstadt waren wir am nächsten Tag zu Gast bei den Giebes, die kurz zuvor von einer alten Dame, die zu ihren Kindern nach München gezogen war, ein phantastischen Haus aus den dreißiger Jahren mit einem riesigen Grundstück unmittelbar am Großen Garten erworben hatten. Sein Atelier barst fast vor Gemälden. Stundenlang haben wir Bilder angeschaut und uns die inzwischen beinahe fertig gestellte Folge von Radierungen zur Blechtrommel erklären lassen. Auftakt der Folge war Oskar der Trommler mit der schönen Unterzeile: Ich bekenne, ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt. Kettner kam dazu und wir erhielten eine Lehrstunde über die Bedeutung der Schriftsteller Grass und Johnson. Dabei ist uns wirklich bewusst geworden, mit welchem Hunger auf literarische Neuigkeiten aus dem Westen gewartet wurde. Ich gestehe, mein Wissen darüber war erheblich geringer als bei unseren Gastgebern. Giebe kannte Grass persönlich und hatte im Vorjahr 1987 eine Lesung mit ihm in Dresden organisiert, zu der er ein tolles Plakat in einer Handauflage von dreißig Exemplaren gedruckt hatte.
Im Trabi wurden wir stilgerecht an den nächsten Tagen nach Meißen, Pillnitz und zum Elbsandsteingebirge gefahren. Überall an diesen historisch bedeutenden Orten begegneten wir nur sehr wenigen Touristen. Nur in Pillnitz, Vorort von Dresden im Stadtteil Loschwitz, mit dem Lustschloss August des Starken und Park am Elbufer war der Besuch etwas reger. Besonderes Interesse fand und findet wohl auch noch heute die Prachtgondel des Königs, mir der er seine jeweiligen Mätressen von Dresden einfahren ließ. Die ganze Anlage war in einem sehr guten Erhaltungszustand. Ganz anders war dagegen der Eindruck von Meißen. Überall in der Altstadt
dominierte der Verfall. Ganz offensichtlich war die Stadt mit dem Erhalt der großen Zahl von Baudenkmälern überfordert. Dies galt zu der Zeit für die allermeisten Orte mit Baudenkmälern in der DDR. Es fehlten die Mittel für Erhalt oder Neubau. Nach der Wende konnte dieser glückliche Umstand genutzt werden, um ganze Städte und Dörfer wieder in alter Pracht erstehen zu lassen.
Die letzte Station sollte das Schlosshotel Reinhardsbrunn in Friedrichroda im Thüringer Wald sein. Für eine Woche hatten wir uns in dem Hotel eingemietet, das schon seit Anfang der fünfziger Jahre Devisenbringer von Westtouristen war. Angekommen an dem sehr eindrucksvollen Gebäude wurden wir an der Rezeption darüber belehrt, dass der Gebäudeflügel, in dem unser Zimmer lag, wegen Baufälligkeit gesperrt sei und deshalb ein nur wenige Kilometer entferntes gleichwertiges Hotel genutzt werden solle. Auf die Frage, seit wann die Sperrung erfolgt war, erhielten wir die Auskunft, dies sei bereits vor vier Monaten geschehen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Unterkunft noch nicht gebucht. Es war also etwas faul an der Sache. Wir haben die Rezeptionistin aufgefordert, den Geschäftsführer zu rufen. In deren Abwesenheit flüsterte uns eine andere Angestellte zu, eine sowjetische Delegation sei unplanmäßig erschienen und habe alle Zimmer in Beschlag genommen. Der Aufenthalt , den wir uns so schön in dem berühmten Gebäude ausgemalt hatten, war uns verleidet. Mit einer kurzen Bestätigung über mangelnde Verfügbarkeiten verließen wir die „gastliche“ Stätte. Angekommen am Grenzübergang Wartha-Herleshausen habe ich unsere Söhne angerufen. Nach einem Moment der Überraschung rief der jüngste Sohn vernehmlich in den Raum: „ Andi, die Alten kommen! Mach hinne!“
Bildquelle: Jörg Zägel, CC BY-SA 3.0, via Wikipedia
Anhang: Abschrift eines Briefs von Professor Werner Stötzer vom September 1987
Liebe Christel und lieber Christian,
es ist Freitag Abend, ich habe die Wohnung gebohnert, die Katzen versorgt, Futter für die Mäuse zurecht gelegt. Die Hasen nehmen sich was sie wollen, nur meine Ratten gucken mich ratlos an, aber sicher finden sie irgend etwas, was ihnen schmeckt.
Meine beiden Süßen sind in der großen Sauna und wundern sich sicher über die Wärme, ich nicht, denn ich bin sauber, meine Haut hat sich heute im Altweibersommer gespannt, die Fäden der Natur kamen über mich und in ihrer Verstrickung gelang mir ein Schluck Bier und sechsundachtzigtausend Schläge auf einen Stein. Gepriesen sei der Tag an dem wir tätig sind und die Nächte uns glücklich machen.
Und überhaupt war es schön mit Euch, von Bonn nach den Bergen aus denen der Wein tropft und die Winzerinnen immer winzen und die kleinen Heiligen an der Seite stehen und in Maria Laach in Stein gehauen werden und die verfluchten Benediktiner ihr Penthagon bewachen und nebenbei kleine schöne und winterharte Gräser verkaufen. Und danach die Rodunde in Godesberg, wo uns dewr Fischladen so gut gefiel.
Wir kamen gut nach Hause und das Söhnlein fiel der Mammi um den Hals und hatte auch gleich eine Drei in Mathematik und eine schöne Erklärung dazu. Mich fand er zu dick, aber sonst noch in Ordnung und so saßen wir und erzählten ein paar Stückchen von der großen Reise und wie ich auf einer öffentlichen Toilette auf dem Markt in Bonn neben dem Genossen Bahr mein Wasser gelassen hatte und mir seine Nase noch größer vorkam als im Fernsehen.
Nun richten wir uns ein auf den Winter und haben eine Meinung dazu. Nur vorher müssen wir ja noch überlegen, was wir brauchen werden und so überlegen wir und denken an Euch.
Sehr herzlich Euer Werner, Sylvia und Karl
Reisen in ein untergegangenes Land:
TEIL 1: REISEN IN EIN UNTERGEGANGENES LAND
eine sehr interessante Rückschau. Eine sehr gute Anregung für eigene Erinnerungen ausgehend von Positionen auf der „anderen Seite“.