Reiche stärker belasten, forderte kürzlich Stephan-Andreas Casdorff, einer der Herausgeber des Berliner Tagesspiegel, in einem Leitartikel. Die stärkeren Schultern müssten mehr tragen als die schmalen. Eine Forderung, die schon der SPD-Kanzler und langjährige Parteichef der Sozialdemokraten Willy Brandt erhoben hatte. Dass jetzt sogar die Wirtschaftsweisen dafür plädieren, die Besserverdiener mit einem Energie-Soli oder höheren Steuern zusätzlich zu belasten, hat die Politik-Welt überrascht und namentlich den Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner auf dem falschen Fuß erwischt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist ja keine sozialistische Erfindung oder anderes Teufelszeug, das nur dazu da sei, den Reichen aus Spaß ihr Geld wegnehmen zu wollen. Es geht darum, die riesigen Lasten, die der Staat infolge des vom Krieg Russlands gegen die Ukraine und den damit zusammenhängenden Folgen zu schultern hat, etwas gerechter zu verteilen.
Dass die Reichen, die vielfachen Millionäre und erst recht die Milliardäre, dazu in der Lage wären, ist keine Frage. Auch wenn Christian Lindner wie erwartet die Forderung der Sachverständigen gekontert hat und Steuererhöhungen für Bestverdiener als „enorm gefährlich“ bezeichnet hat. Er müsste mal zur Kenntnis nehmen, dass wir Armut in Deutschland haben, von der Millionen betroffen sind, die am Abend nicht wissen, wie sie ihre Lebensmittel am nächsten Tag bezahlen sollen, oder ihre Miete, den Strom, das Gas, das Auto, das Geld für die Ausbildung der Kinder. Leute, die sich nicht mal nebenbei eine Kino- oder Theaterkarte leisten können oder einen Kurz-Trip auf die Insel Sylt. Auf der anderen Seite gibt es in der Republik viele Reiche, die manchmal ihren Kontostand gar nicht genau kennen. Menschen, deren Vermögen in der Krise weiter gewachsen ist. Die Reichen werden immer reicher. Das ist keine Erfindung der Linken oder der bösen SPD, Herr Lindner, das ist eine Tatsache. Die Reichen haben durch die Inflation verdient, durch die Pandemie, sie verdienen auch jetzt durch die Folgen des Krieges. Sie verdienen sogar an den Entlastungspaketen, die die Bundesregierung geschnürt hat, um den zu stark belasteten Gruppen der Bevölkerung zu helfen. Viele Maßnahmen kommen auch denen zugute, die keinerlei finanzielle Hilfe benötigen. Um mehr Zielgenauigkeit zu erreichen, wäre nun eine Ergänzung ein wichtiger Ausgleich, etwa in Form eines höheren Spitzensteuersatzes oder eines Energie-Solidaritätszuschlags.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat kürzlich vor den Jusos betont: „Um den handlungsfähigen Staat zu gewährleisten, die Krisenbewältigung ebenso zu finanzieren wie unsere Investitionen in Zukunft und Zusammenhalt, dafür brauchen wir einen solidarische Vermögensabgabe der Superreichen.“ Das Zitat steht so auch im Kommentar von Casdorff. Superreiche, von denen es in Deutschland einige gibt. Sage niemand, auch nicht Christian Lindner, es sei gefährlich, diesen Reichen etwas mehr abzuverlangen. Gefährlich für wen? Die Reichen? Das ist zum Lachen. Für den Finanzminister? Weil diese Leute dann möglicherweise nicht mehr die FDP wählen(falls sie sie überhaupt gewählt haben), kann ich mir nicht vorstellen. Gerade die Reichen haben immer wieder betont, sie würden gern mehr bezahlen, zurückgeben von dem, was sie verdient oder geerbt haben. Man muss nur seine eigene Ideologie, Herr Lindner, über Bord werfen. Hier geht es um zielgerichtete zusätzliche Abgaben, die auf Zeit erhoben werden könnten. Um mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Solidarität.
Casdorff hat in seinem Leitartikel an den Lastenausgleich erinnert, den die konservativ geführte Bundesregierung unter dem CDU-Kanzler Konrad Adenauer 1952 eingeführt hatte. „Damals besaß das oberste eine Prozent der Bevölkerung rund ein Viertel des gesamten Vermögens. Darum wurde auf große Vermögen eine Abgabe erhoben, über 30 Jahre, jedes Jahr 1,67 Prozent. Die Einnahmen kamen denen zugute, die keine Rücklagen hatten, um in der Nachkriegszeit ihre Lasten zu mildern.“ Die Wählerinnen und Wähler fanden das damals gut, so der Autor. Adenauer konnte sein Wahlergebnis von 31 auf 45 Prozent steigern. Und heute? Drei Viertel der Deutschen wäre ebenso für eine Anhebung der Reichensteuer wie jene über 100 Millionäre, die sich Anfang des Jahres dafür ausgesprochen hatten.
Wenn das keine Vorlage für den SPD-Kanzler Scholz ist! Und was sagt Unions-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz dazu? Adenauer war einer der Gründer der CDU, Parteichef, Kanzler. Gewiss kein Linker. Noch einmal zur Klarstellung des Problems: Der „Global Wealth Report“ der Allianz, der das Geldvermögen und die Verschuldung der privaten Haushalte in rund 60 Ländern untersucht, kam kürzlich zu dem Ergebnis: Das reichste Prozent der Gesamtbevölkerung besitzt 42,9 Prozent des globalen Nettovermögens, die Top-Ten-Prozent der Reichen kontrollieren 86 Prozent. Die Verteilung ist ungerechter geworden. Wem das nicht reicht, ein Blick in den Armutsbericht der Bundesregierung: Die reichste Hälfte der Deutschen verfügt über 99,5 Prozent der Vermögen. Kinder und Jugendliche aus wohlhabenden Familien besuchen fünfmal häufiger ein Gymnasium als solche, die in Armut leben.