Panik-Orchester!
Seit einem Monat grassiert unter lokalen Bonner Polit-Akteuren Schnappatmung. Der Grund: Bundesbauministerin Barbara Hendricks hatte in einem Interview offen angesprochen, was in Berlin längst hinter vorgehaltener Hand diskutiert wird: ein möglicher Komplett-Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin. Seither meldet sich – 24 Jahre nach dem Umzugsbeschluss des Bundestages und 16 Jahre nach dem Umzug von Parlament und Teilen der Regierung nach Berlin – die über die Jahre sehr überschaubar gewordene Bonn-Lobby zu Wort. Mit starken Worten wird die Einhaltung des Berlin-Bonn-Gesetzes eingefordert. Allerdings wissen alle Beteiligten schon lange, dass die im Gesetz geforderte Arbeitsteilung zwischen Bundeshauptstadt und Bundesstadt längst nicht mehr der Realität entspricht. So hört und liest man jetzt am Rhein wieder die altbekannten Stimmen, denen es auch in der Vergangenheit nicht gelungen ist, den stillen, heimlichen Umzug von Bonn nach Berlin („Rutschbahn-Effekt“) zu stoppen. An der Spree hingegen weiß man, dass jeder weitere Tag auf der Rutschbahn ein Tag für Berlin ist.
Deshalb ist die Bonner Reaktion unverständlich und auch mehr als kurzsichtig. Statt selbstbewusste Zukunftsmodelle für die Bundesstadt zu diskutieren, beschränkt man sich argumentativ weitgehend auf das Berlin-Bonn-Gesetz und die Klage über den drohenden Verlust von bald 30.000 Arbeitsplätzen, wenn ein Komplettumzug nach Berlin vollzogen wird. Die Bonner Lokalzeitung hat diesen Klage-Modus gleich aufgenommen und trägt so mit dazu bei, dass auch in der Öffentlichkeit alle Überlegungen, die eine neue Rolle der Bundesstadt Bonn umfassen, erst einmal in den Hintergrund gedrängt werden. Selbst die Industrie- und Handelskammer der Region, sonst eher pragmatisch orientiert, steuert ein Bonner-Negativ-Szenario bei und warnt vor „Kahlschlag“ in Bonn.
Dabei hat Bonn bis heute den Strukturwandel – mit kräftiger finanzieller Hilfe des Bundes – bis heute sehr erfolgreich gestaltet und ist mit allen Indikatoren eine „Boomtown“, eine der Wachstumsregionen in Deutschland. Angesichts der Entwicklung vieler anderer Kommunen, auch in NRW, fällt es deshalb auch vielen ehemaligen „Bonn-Unterstützern“ im Bundestag immer schwerer, das Bonner Klagelied auf das Interview von Ministerin Hendricks nachzuvollziehen.
Und noch ein Aspekt fällt in der aktuellen Diskussion auf: in der Vergangenheit bei der Verhandlung des Berlin-Bonn-Gesetzes und der Ausgleichsvereinbarung, aber auch in den Jahren danach, war es immer eine Bonner Stärke, das man gemeinsam und überparteilich auftrat. Dies scheint diesmal anders zu sein: erstmals setzte sich öffentlich die Bonner CDU-Abgeordnete von einer gemeinsamen Linie ab. Eine der diskutierten Lösungen, einen neu zu verhandelnden Staatsvertrag, der die Rolle Bonns festschreibt, wird von ihr voreilig im Alleingang abgelehnt. Auch der neue Bonner Oberbürgermeister setzt eigene Zeichen. So wird von einem Kenner der Bonner Verwaltungsinterna berichtet, der Oberbürgermeister habe Lokal- und Regionalgrößen, alle ausschließlich aus der CDU, um sich versammelt, um die Bonn-Strategie zu besprechen. Das ist sein gutes Recht – aber sicher kein Signal für die Bereitschaft zum gemeinsamen Vorgehen.
Groß denken!
Bevor die Bonner Strategen daran gehen, wie sie die neue Debatte über die Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn bestehen können, muss man sich am Rhein klar machen, wen diese Frage eigentlich noch interessiert. Da sind natürlich die Beschäftigten des Bundes und ihre Familien in Bonn. Sie haben einen berechtigten Anspruch auf Klarheit und Eindeutigkeit. Aber schon wenn man die Bonner Stadtgrenze überschreitet, nimmt das Interesse spürbar ab. Im Rest der Republik stehen heute ganz andere, drängende Probleme auf der Tagesordnung. Deshalb muss gerade in Bonn klar sein, dass die Beschränkungen auf eine reine „Bonn-Sicht“ – im Gegensatz zu den ersten Verhandlungen zum Berlin-Bonn-Gesetz – diesmal nicht zum Erfolg führen wird. Hier punktet nur, wer selbst agiert und die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten proaktiv nutzt. Darauf muss sich Bonn besinnen und das neue Signal aus Berlin konstruktiv aufnehmen. Im Wettbewerb mit anderen Städten der Republik, hat Bonn Merkmale, die nationale Bedeutung und Qualität haben und sich damit deutlich abheben. Kommunikation aus Bonn sollte sich in erster Linie auf diese Erfolgsgeschichte stützen und sie deutlich ausbauen. Drei Alleinstellungsmerkmale bieten dafür erfolgversprechende Grundlage:
Bonn als Stadt der Vereinten Nationen: was 1996 mit dem viel belächelten „Fledermaus-Sekretariat“ begonnen hat, ist mittlerweile Standort für 18 UN-Einrichtungen. Rund 1000 UN-Beschäftigte arbeiten u.a. im UN-Klimasekretariat, dem UN-Freiwilligenprogramm, dem Sekretariat für Biologische Vielfalt, in Teilen der Universität der Vereinten Nationen oder dem Sekretariat der UN-Strategie zur Katastrophenvorsorge. Das Profil der UN-Stadt Bonn ist auch in der Diskussion um die Arbeitsteilung ein zentraler Punkt. Denn daraus entwickelt sich das zweite Merkmal
Bonn als Internationale Stadt: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), und Organisationen internationaler Entwicklungszusammenarbeit bilden einen der inhaltlichen Schwerpunkte. Über 170 Nicht-Regierungsorganisationen mit den Schwerpunkten der Nachhaltigkeit oder der humanitären Hilfe haben in den letzten Jahren ihren Sitz nach Bonn verlegt. In Bonn haben also nicht nur internationale staatliche Organisationen, sondern auch internationale Organisationen der Zivilgesellschaft ihren Sitz und sind zentraler Ansprechpartner.
Bonn als Teil der Wissenschaftsregion: Ein Schwerpunkt im gelungenen Strukturwandel ist der Ausbau zur Wissenschaftsregion. Mit fünf Frauenhofer-Instituten, dem Forschungszentrum caesar, der Universität Bonn, der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, der Alanus-Hochschule sowie zahlreichen weiteren Hochschuleinrichtungen, öffentlichen und privaten, drei Max-Planck-Instituten und acht Bundeseinrichtungen mit Wissenschafts- und Forschungsaufgaben hat sich die Großregion Bonn zu einem der konzentrierten Wissenschaftsstandorte der Bundesrepublik entwickelt.
Chancen für Bonn
Drei Merkmale, die Bonn von anderen Städten in Deutschland deutlich absetzt. Es geht also nicht „nur um Bonn“, sondern auch um ein nationales Interesse. Für Bonn muss der Ausbau und die Sicherung von qualifizierten Arbeitsplätzen an erster Stelle stehen. Um das bei Einrichtungen aller drei Merkmale deutlich auszubauen, bedarf es auch zukünftig einer Unterstützung des Bundes. Dabei geht es nicht in erster Linie um finanzielle Unterstützung, sondern vor allem um die Bezüge der verschiedenen Einrichtungen zu den Arbeitsebenen der Regierung. Das gilt insbesondere für die UN-Organisationen und die NGOs. Für die in Bonn etablierten Einrichtungen gehören die Bezüge zu drei Bundesressorts zum Arbeitsalltag: beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Diese drei Ressorts bilden deshalb auch einen Kernbestand für den Standort Bonn.
Chancen für Berlin
In der Debatte um den Umzug von Teilen der Regierung nach Berlin liegt auch eine Chance für die Bundesregierung. Das ist bislang vollkommen untergegangen: eine Aufgabenkritik und die notwendige Abschichtung von nicht-ministeriellen Aufgaben. Das Bundesjustizministerium macht seit 2007 erfolgreich vor, wie sich ein Bundesministerium auf diese Weise „verschlanken“ kann. Strenge Aufgabenkontrolle und alle nicht-ministeriellen Aufgaben gebündelt in einem Bundesamt. Das Bundesamt für Justiz ist so mit seinen bald 1000 Beschäftigten in Bonn eine stille Erfolgsgeschichte einer alten Idee. Hatten doch Verwaltungsexperten, wie der Potsdamer Verwaltungswissenschaftler Prof. Werner Jann, schon bei der Umzugsdebatte vor 25 Jahren dazu geraten, ein Regierungszentrum in Berlin und ein Verwaltungszentrum in Bonn anzusiedeln. Das mit Bundesoberbehörden in Bonn auch qualifizierte Arbeitsplätze dauerhaft gesichert sind, war schon damals Grundlage, die sich aber nicht durchsetzen konnte. Das kann in der neuen Diskussion am Beispiel des Bundesamtes neu aufgelegt werden.
Wenn es Bonn parteiübergreifend gelingt, sich von der reinen „Bonn-Sicht“ zu verabschieden, dann kann sie die neue Debatte zur Arbeitsteilung Berlin-Bonn bestehen. Dazu gehört nicht nur der parteiübergreifende Konsens, sondern auch das gemeinsame Handeln mit den Landesregierungen in Düsseldorf und Mainz. Eine Kommunikation, die auf die Zukunft der Stadt gerichtet ist, eröffnet Gestaltungs- und Verhandlungsräume. Statt sich im Leid über das von allen Bundesregierungen der letzten 16 Jahre unterlaufene Berlin-Bonn-Gesetz zu ergehen, sollte das jetzt das Ziel aller Bonn Akteure sein. Andernfalls stehen die Bonner ohne wirkliche Gestaltungschance ziemlich alleine auf der politischen Bühne. Das aber wäre das Letzte, was diese Stadt verdient hat.
[1] https://peaceful-spence.217-160-25-183.plesk.page/rutschbahn-bonn-berlin-keine-politik-der-diskreten-umzugswagen/
[2] http://webarchiv.bundestag.de/archive/2008/0912/bau_kunst/debatte/bd_antr2.html
[3] http://www.gesetze-im-internet.de/berlin_bonng/pr_ambel.html
[4] http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/bonn/bonn-zentrum/ihk-fuerchtet-kahlschlag-in-der-region-article1738839.html
[5] http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/bonn/luecking-michel-lehnt-einen-staatsvertrag-ab-article1753729.html
[6] http://www.unric.org/de/uno-in-deutschland/20
[7] https://www.bonn.de/wirtschaft_wissenschaft_internationales/bonn_international/internationaleorganisationen/index.html?lang=de
[8] http://www.wissenschaftsregion-bonn.de/
[9] https://www.bundesjustizamt.de/DE/Home/homepage_node.html
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