Der Deutsche Bundestag hat am vergangenen Freitag in zweiter und dritter Lesung eine Reform des Betreuungsrechts beschlossen. In Zeitungen, Funk und Fernsehen oder auch auf den gut frequentierten Online- Diensten findet man wenig über die Reform. Es ist so, als handele es sich bei dieser Reform um ein Spezialgebiet für Spezialisten.
Tatsächlich gibt es Land rund 1,3 Millionen Betreuungsverfahren beziehungsweise „Fälle“ wie es landläufig heißt.
Es sind Verfahren, in denen volljährig gewordene Menschen Hilfe und Vertretung erhalten, weil sie ihre Dinge nicht mehr alleine regeln können, weil sie eine körperliche oder geistige Behinderung aufweisen oder beides zusammen. Ihre Dinge nicht mehr regeln können? Das heißt, wenn sie Geld und Vermögen nicht mehr verwalten können, Behördenanforderungen nicht mehr erledigen oder sich in Pflege und ärztliche Behandlung begeben müssen, aber das allein nicht mehr können. Das Gericht stellt den so Gehandikapten eine Betreuerin oder einen Betreuer zur Seite.
Mich hat früher bereits gewundert, dass die Betreuung und die daraus folgenden Grundrechtseinschränkungen öffentlich kaum eine Rolle spielen. Als gebe es da nichts zu berichten. Man liest und hört mit der entsprechenden Empörung, dass in Pflegebetrieben Menschen festgehalten und ruhig gestellt würden. Die rechtliche Grundlage wird in den allermeisten Fällen schon nicht mehr mitgeliefert. Es ist jedenfalls ein eigentümlicher Sachverhalt, an den sich nun das Schweigen über die Reform des Betreuungsrechts anschließt.
Der vergangene Freitag war jedenfalls mit Blick auf die Betreuung ein Tag des Fortschritts, den wir überwiegend einer Reihe Frauen im Bundestag zu verdanken haben – nicht zuletzt einer Reihe Sozialdemokratinnen. Die Lebenshilfe bewertete das Gesetz:
- „Betreute sollen künftig ihre Prozessfähigkeit behalten, bei Gerichtsverfahren werden sie persönlich beteiligt und die Schriftstücke werden ihnen zugestellt.
- Sterilisationen gegen den natürlichen Willen von Frauen mit Behinderung werden ausgeschlossen.
- Betreuungen, die gegen den Willen der betreuten Person eingerichtet werden, sollen spätestens nach zwei Jahren überprüft werden.
- Die Auswirkungen des Gesetzes, insbesondere im Hinblick auf die Selbstbestimmung rechtlich betreuter Personen, sollen nach sechs Jahren evaluiert werden.“
Deren Bundesvorsitzende, die SPD- Abgeordnete Ulla Schmidt erinnerte daran, dass der Bundestag unter anderem beschlossen hat, rechtlich betreute, geistig behinderte Frauen dürften künftig nicht mehr gegen ihren Willen sterilisiert werden. Bisher ist das so, aber vielen nicht bekannt. Das geltende Betreuungsrecht von 1992, das damals das sogenannte Vormundschaftsrecht ablöste, machte es immer noch möglich. Es gibt Schätzungen, wonach bis 1992 jährlich rund 1000 geistig behinderte junge Frauen und Mädchen sterilisiert wurden. Nach 1992 sank die Zahl. Grundlage für solche „ärztlichen Eingriffe“ ist der Paragraph 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Es gibt Untersuchungen, die allerdings einige Jahre alt sind, wonach bis zu zehn Prozent der behinderten Frauen mit Betreuung sterilisiert wurden.
Künftig dürfen diese Frauen nur dann noch sterilisiert werden, wenn dies dem unmissverständlichen Willen der rechtlich betreuten Person entspricht. Allein zu widersprechen, reicht nicht. Nichteinwilligungsfähige Betreute, die nicht in der Lage sind, einen natürlichen Willen zu bilden oder zu äußern, dürfen künftig nicht mehr sterilisiert werden. Ein Sterilisationsbetreuer muss künftig ausdrücklich nach dem Gesetz benannt sein. Auch die Rolle und Funktion der amtlich bestellten beruflich versierten Betreuer und Betreuerinnen wurde verbessert. Offene Fragen, auch Fragen der Entschädigung stehen in einem vom Bundestag verabschiedeten Entschließungsantrag. Es ist eine Reform, die Selbstbestimmung stärkt und die hilft, Menschenwürde zu wahren.
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