Wer Robert Habeck beim Grünen Länderrat erlebt hat, sah einen Kandidaten, der mit sich im Reinen ist. Die Niederlage bei der Bundestagswahl scheint verschmerzt Und dass ihm und der Partei nach der Wahl plötzlich zugestanden wird, in der Analyse der Lage recht gehabt zu haben, lässt die gerissenen Wunden offenbar schneller heilen. Bei aller verständlichen Emotion darf jedoch nicht vergessen werden, selbstkritisch auf den Grünen Wahlkampf zurückzuschauen.
Fangen wir mit der sichtbaren Kampagne an:
„Zuversicht“ wurde versprochen und gefordert zugleich, ein hehrer Anspruch in Zeiten wirtschaftlicher Verunsicherung und einiger Langfristkrisen wie Klimawandel, Fachkräftemangel und desaströser Infrastruktur. Diese Zuversicht muss man sich leisten können. Das grüne Stammklientel ist sicher erreicht worden, aber darüber hinaus hat es keine Zugkraft entwickelt. Ein Mensch. Ein Wort.“ stand unter den Konterfeis der Plakate. Was soll das? fragten sich viele wohlgesonnene Zeitgenossen. Erklärt wurde es nicht. Es kam nicht vor in den Veranstaltungen. Es wirkt wie ein Vorschlag eines Hospitanten der Werbeagentur, der vergessen wurde zu löschen. Es mag der kurzen Zeit geschuldet sein, dass diese Werbeideen nicht gezündet haben. Die Frage ist jedoch erlaubt: Wer auf grüner Seite hatte eigentlich diese Entwürfe von Jung von Matt abgenickt?
Durchaus positiv wirkten dagegen die Küchentischgespräche. Habeck hatte die Möglichkeit, seine Zugewandtheit zu kommunizieren. Tatsächlich an der Lebenswirklichkeit einiger Zeitgenossen interessiert zu sein, kam glaubhaft rüber und brachte viele Clips für das Campaigning in den Social-Media-Kanälen. Ebenso die fulminanten Auftritte auf den Parteiveranstaltungen – Habeck gehört sicher zu den besten Rednern in der politischen Klasse in Deutschland. Überhaupt nicht klappte es dann mit den Gesprächen mit einigen Influencern und Comedians. Habeck in der Heute Show? Kein Brüller, eher ein Fremdeln. Habeck weiß, dass er vorgeführt werden soll und kann nicht abstreifen, dass er das nicht will.
Viel schwieriger erwies sich der Anspruch, „Kanzlerkandidat“ zu sein. Es wirkte ein bisschen so, als wolle Habeck den Wahlkampf von 2021 führen, als Umfrageergebnisse die Grünen vor der SPD sahen. Doch bei 9% in Umfragewerten wirkt das lächerlich. Habeck selbst hatte einen Regierungsmalus im Rucksack, der deutlich schwerer wog, als er wohl selbst annahm. Das sogenannte Heizungsgesetz wog darin enorm; für viele Bürgerinnen und Bürger hatte es sich verfestigt, dass er, Habeck, es nicht kann. Für Grüne schwer nachzuvollziehen, denn das Gebäudeenergiegesetz ist am Ende ein sehr gutes, funktionierendes Gesetz geworden. An Habeck und seiner Partei kleben geblieben waren jedoch die Etiketten „Heizung rausreißen“ und „Erdgasabgabe“.
Unglücklich auch das Thema „Superreichensteuer“. Natürlich kann man im Wahlkampf Ansprüche und Ideen formulieren. Natürlich ist es unerlässlich, der seit Jahren ausfallenden Vermögenssteuer ein neues Kleid zu geben, um die Steuerlast auf Arbeit senken zu können. Und natürlich machen andere Parteien Versprechungen und Andeutungen, die sie nicht bis ins Kleinste durchdacht haben müssen. Für die Grünen gelten jedoch andere Maßstäbe – sie müssen belegen können, was sie als Idee verkaufen wollen. Es ist klar, dass die eh nicht sonderlich grünenfreundliche Presse und Redaktionen auf das Thema angesprungen sind und gelöchert haben. Spätestens nach zwei Tagen Rumeiern hätte ein Grundkonzept auf dem Tisch liegen müssen. Stattdessen wurde nur darüber diskutiert, dass sich die Grünen unausgegorene Vorschläge machen und am Ende dann doch der Oma ihr kleines Sparbuch besteuern wollen. BILD hatte da keine Scheu die Idee so zu verdrehen.
Wer die Wähleranalysen ernst nimmt, muss auch zur Kenntnis nehmen, dass ein weiteres Thema dem Wahlkampf zum Nachteil der Grünen gereichte. Für Konservative waren sie eh zu nachsichtig und rücksichtsvoll in der Asylpolitik. Vor allem in NRW, wo die grüne Ministerin alles andere als eine gute Figur macht, wenn es um das Thema konsequente Abschiebung von Straftätern und Gefährdern geht; galt als Blaupause für grüne Nachlässigkeit an der falschen Stelle. Habeck hat mit seinem „10-Punkte-Plan“ versucht, das Thema abzuräumen. Seine Strategen befürchteten offenbar, dass es zum Nachteil gereichen würde, bei diesem Thema weich oder nachsichtig zu wirken. Nachvollziehbar angesichts der Anschlagserie. Was jedoch nicht bedacht wurde, ist, dass dieses Eintreten in den Chor der Abschieber das Klientel verstört, das sich einen differenzierten Umgang mit der Frage wünscht. Die Wählerinnen und Wähler wanderten zu den Linken, auch aufgrund dieser Wahlkommunikation.
Unterm Strich hat der Wahlkampf gezeigt, dass die Grünen in einem Wahlkampf gemeinsam an einem Strang ziehen können. Die frühere Vielstimmigkeit ist Schnee von gestern. Dennoch muss die Partei daran arbeiten, mehr als nur Groß- und Universitätsstadtspartei zu sein. Wahlen gewinnt man nicht nur mit Fakten und aufklärerischer Attitüde, vor allem nicht, wenn einem die Gegner mangelnde Kompetenz und Lebensfremdheit vorwerfen. Die Partei hat jetzt vier Jahre Zeit, besser zuzuhören, Konzepte zu entwickeln, die auch emotional fruchten. Es ist absehbar, dass die neue Bundesregierung keine Erfolgsregierung in ruhigem Fahrwasser wird. 2029 wird es darum gehen, eine starke demokratische Alternative zur rechtsextremen Opposition zu bieten. Wenn die Grünen das sein wollen, muss die Wahlkampfanalyse ehrlich sein und programmatische sowie kommunikative Konsequenzen nach sich ziehen. Viel zu tun für das neue Führungsquartett.