Früher wäre über die Reuß-Verschwörung gelacht worden, man hätte die Männer, darunter Soldaten-Veteranen als Spinner abgetan, die sich um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich III. Prinz Reuß gebildet hatten. Dabei meinten sie es ernst mit ihrem Ansinnen, wie ich es immer noch etwas lächelnd herunterspiele, den Bundestag bei laufender Sitzung mit bewaffneten Militärs in schusssicheren Westen zu stürmen. Die Regierung Scholz sollte nebst allen Bundestagsabgeordneten festgenommen werden. Vor wenigen Tagen begann der erste Prozess in Stuttgart gegen 26 Verschwörer, weitere Prozesse werden in Frankfurt und München folgen. Ein neuer Höhepunkt des Rechtsterrorismus, den es in der Bundesrepublik seit dem Kriegsende 1945 immer gegeben hat und der eine große Gefahr darstellt für dieses Land. Das NS-Dokumentationszentrum in München am Max-Mannheimer-Platz zeigt in einer Ausstellung „Rechtsterrorismus-Verschwörung und Selbstermächtigung 1945 bis heute“ 25 weitere Fälle rechtsterroristischer Gewalt, der Fokus liegt dabei nicht auf den Tätern, sondern den Opfern. Die Ausstellung könnte um den Fall Reuß erweitert werden.
Vor 44 Jahren explodierte auf dem Münchner Oktoberfest eine in einem Abfalleimer deponierte Bombe, es gab 13 Tote und viele Verletzte. Das Werk von rechten Terroristen, der blutigste Anschlag seit Bestehen der Republik. Der 12jährige Robert Höckmayr wurde mit schweren Risswunden und Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert, er musste 42 Mal operiert werden, zwei Geschwister starben. In der Klinik wurde Höckmayr von Franz Josef Strauß besucht, dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten. Strauß sagte einen Satz zu Höckmayr, den er nie vergessen wird, wie er später erzählte, nämlich: „Im Krieg habe ich schon Schlimmeres gesehen.“ Worte, die das Opfer als unglaublich einstufte, aus dem Munde eines bayerischen Ministerpräsidenten, der im Jahr des Attentats als Kanzlerkandidat der Union gegen Helmut Schmidt antrat und verlor. Der Anschlag passierte am 26. September 1980. Der Kurator der Ausstellung, Steffen Liebscher, kommentierte die Strauß-Bemerkung, sie stehe „überspitzt auch für die Mentalität dieser Zeit“.
Wut der Unterlegenen
Bei rechtem Terror, da hat Liebscher Recht, wurde oft verharmlost, bagatellisiert, man lachte darüber, wenn man Geschichten vernahm, in den Wäldern machten alte Kameraden Schießübungen. Der Krieg war vorbei, man tat so, als seien die Nazis und alle ihre Freunde und Sympathisanten, alte Kameraden mit dem 8. Mai 1945 ausgestorben oder plötzlich über Nacht zu Demokraten geworden. Dabei gab es sie, die Revanchisten und die Wut der Unterlegenen, die Rechtsterroristen, die mit Gewalt gegen Alliierte vorgehen wollten und Anschläge auf deren Fahrzeuge und Gebäude verübten. Es gab das braune Netz, wie es SZ-Autor Willi Winkler in seinem gleichnamigen Buch beschreibt. Die stärkste Fraktion im Bundestag wäre die der ehemaligen NSDAP-Mitglieder gewesen, verteilt auf alle anderen Parteien, was nicht bedeutet, dass sie alle zu Terroristen wurden. Aber nicht wenige hatten das Nazi-Gedankengut nicht über Nacht abgeschüttelt, hatten ihren Antisemitismus nicht am 8. Mai gegen das Programm demokratischer Parteien getauscht, sie waren enttäuscht und wütend über die Niederlage, sie wollten die Kapitulation nicht einfach hinnehmen, da sie doch geträumt hatten vom Großdeutschen Reich. Sie sahen sich als Herrenmenschen. Bis alles am Boden lag, einschließlich der Moral.
Verharmlost wurde der Terror der NS. So schrieben einige Medien anfangs von Döner-Morden, infam, weil diese Bezeichnung die Täterfrage Richtung Türken schob, Ausländer. Sieben Jahre lang mordeten die Mitglieder des rechtsextremistischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ -NSU- in Deutschland. Die Polizei vermutete Killer aus dem türkischen Drogenmilieu hinter den Taten, so entstand der Begriff der Döner-Morde, rassistische Vorurteile schwangen da mit. Man lag auch beim Anschlag 2016 im Münchner Olympia-Einkaufszentrum daneben, als ein 18jähriger aus rechtsradikalen Motiven neun Menschen erschoss, zunächst wurde die Tat als unpolitischer Amoklauf bewertet.
Rechtsterrorismus ist in Deutschland „kein temporäres oder lokales Phänomen“, sondern „ständiger Begleiter der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Das zieht sich wie eine braune Linie durch all die Jahre, wie man in der Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum in München sehen kann. Steffen Liebscher, Kurator der Ausstellung, zufolge ist der rechte Terror „die größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland.“ Wenn man das früher sagte, wurde sofort von der CDU und vor allem der CSU gekontert, der linke Terror sei genau so gefährlich. Wir sollten die Gefahren nicht parteipolitisch ausschlachten. Die Ausstellung versucht, diese Gefahr herauszuarbeiten. Sie stellt 25 Fälle rechtsterroristischer Gewalt nach 1945 vor und zwar in Deutschland und auch international. Darunter ist der Bombenanschlag von Oklahoma 1995, bei dem 168 Menschen, darunter 18 Kinder, ums Leben kamen, Hunderte von Personen wurden verletzt. Der Rechtsterrorist Timothy McVeigh hatte eine Autobombe gezündet, es war das schwerste Attentat in der Geschichte der USA. Erinnert wird in München ferner an den Anschlag auf der norwegischen Ferieninsel Utoya 2011. Ein rassistischer Rechtsterrorist namens Breivik ermordete insgesamt 77 Menschen, zuerst ließ der Täter eine Bombe vor dem Büro des Ministerpräsidenten in Oslo explodieren, dabei kamen acht Menschen ums Leben, dann erschoss Breivik in einem Jugendlager auf der Insel Utoya 69 Personen im Alter zwischen 14 und 51 Jahren. Die Ausstellung zeigt aber auch den Fall des Attentats auf den CDU-Politiker Walter Lübcke, der Regierungspräsident wurde auf seiner Terrasse erschossen. Über Jahre wurde er von Rechtsradikalen als Feind aufgebaut. Vor allem störte sie seine liberale Haltung. Seinen Gegnern rief er mehr zu, wer die Werte dieses Landes „nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.“
Die Frage wird gestellt, wer die Verantwortung für die Taten, wer versagt hat. Der Staat, die Gesellschaft, die Schule, wir alle? Nachzulesen ist, was die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums, Mirjam Zadoff, bei der Eröffnung der Ausstellung dazu gesagt hat. Nicht nur der Staat habe versagt, „sondern auch wir als Gesellschaft“. Weil „wir so schlecht sind im Umgang mit Trauma und Trauer. Und weil wir die Angehörigen nicht schützend in unsere Mitte nehmen.“ Eben dieses Ziel verfolge die Ausstellung, die bewusst die Perspektive der Betroffenen einnehme, so Steffen Liebscher. „Wir wollen ihnen eine Stimme geben.“
Die Ausstellung zeigt u.a. Exponate des Anschlags von Halle 2019. Der Zeitgenosse wird den Türrahmen erkennen, der dem Angriff des Attentäters auf die Synagoge standhielt. Unvorstellbar, was passiert wäre, wenn diese Eichentür nicht gehalten hätte. So sind nur ein paar Kratzer zu sehen, leicht beschädigtes Holz.
Rechtsterroristen: Staat und Gesellschaft schwächen
Rechtsterroristen bedrohen Menschen mit Gewalt, die sie als „nicht zugehörig“ zur imaginierten Gemeinschaft ansehen, heißt es in Erklärungen zur Ausstellung. Diese Gewalt basiere auf einer rassistisch-völkischen Weltsicht, nach der das eigene Volk zu schützen sei. Es müsse „rein gehalten“ werden und von „fremden“ Einflüssen „gesäubert“ werden. Zur Angst vor vermeintlicher „Überfremdung“ kommt eine aggressive Ablehnung der kulturellen Vielfalt einer Gesellschaft einher. Diese Terroristen ermächtigen sich selbst, gegen die „Zersetzung“ des Volkes einzuschreiten. Auch brutal. Menschen werden aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion ausgegrenzt, verfolgt, ja auch getötet. Diese menschenverachtende Ideologie gilt für sie privat, bei der Arbeit, im virtuellen Raum. Die bunte Republik ist nicht die ihre. Sie wollen Angst verbreiten, Menschen verunsichern, den Staat und die Gesellschaft schwächen.
Beispiel NSU-Morde der rechtsextremen Gruppe um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Zwischen 2000 und 2007 ermordete der NSU mindestens zehn Menschen in verschiedenen deutschen Städten, darunter in München. Sie hatten sich ihre Opfer aufgrund der Herkunft ausgesucht und brachten sie an ihren Arbeitsorten um. Dass sowohl Teile der medialen Öffentlichkeit wie auch Behörden die Taten lange als „organisierte Milieu-Kriminalität“, Döner Morde, abtaten, sagt einiges über das Versagen von Institutionen bei der Aufklärung der „größten rechtsextremen Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik.
Auch Antisemitismus gehört zum rechtsextremen Gedankengut. Man zielt darauf ab, jüdisches Leben zu verunglimpfen, Jüdinnen und Juden auszugrenzen, ja sogar auszulöschen. Sie arbeiten mit antisemitischen Verschwörungstheorien, wonach Juden die Welt beherrschen wollen und das Judentum verantwortlich sei für die Probleme. Geschichtlich reicht Antisemitismus weit zurück und beschränkt sich nicht auf die NS-Zeit. Rechtsterrorismus lehnt die Auseinandersetzung mit der Shoah ab und die Erinnerung an die Opfer, er leugnet oder verharmlost den Holocaust. Was in Deutschland unter Strafe steht. Anderes Beispiel. Der erwähnte Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 an Jom Kippur, dem höchsten religiösen jüdischen Feiertag.
Neben den erwähnten Anschlägen, die traurige Bekanntheit erreicht hatten, weist die Ausstellung auf Vorfälle hin, die nicht in die Schlagzeilen großer Zeitungen gerieten. So gab es schon 1946 Anschlagsversuche von früheren SS-Mitgliedern auf die Nürnberger Prozesse gegen einstige Nazi-Größen. Weitgehend vergessen sei, so liest man, eine Tat aus 1982 in Nürnberg, von den Nazis einst als Stadt der Reichsparteitage gerühmt. Damals habe ein Neonazi drei Menschen in der Innenstadt erschossen. Auch hier sah der Staat wie so oft zunächst einen „terroristischen Einzeltäter“ am Werk, ähnlich bei beim Oktoberfest-Attentat in München. Erst 38 Jahre später, im Jahre 2020, wurde der Mord als rechtsextremer Terrorakt eingestuft, nachdem die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufgenommen hatte.
Es ist geschehen- es wird wieder geschehen
Zurück zum aktuellen Prozess in Stuttgart gegen Rechtsterroristen, die das Parlament stürmen wollten. Im SZ-Leitartikel warnt Annette Ramelsberger angesichts des „Geschwafels von einer internationalen Allianz, die den Deutschen helfen werde, ihre Regierung zu stürzen, die Geschichte der Verschwörer als „Unsinn“ abzutun. Wozu mancher normale Zeitgenosse neigen wird, wenn er die Erzählung liest, „dass mächtige Politiker wehrlose Kinder in unterirdischen Bunkern gefangen halten, um aus ihrem Blut einen Verjüngungstrank zu brauen, ein altes antisemitisches Narrativ.“ Wer aber sich die Mühe macht und den höchst informativen Kommentar weiter liest, erfährt, dass zu den Verschwörern eben einstige Soldaten, militärische Fachkräfte zählten, Ex-Offiziere, Ein Adeliger, Hellseher, eine AfD-Bundestagsabgeordnete, dass die Gruppe im Besitz von 382 Schusswaffen waren, 347 Hieb- und Stichwaffen, 148000 Schuss Munition, ballistischen Helmen, schusssicheren Westen, Satellitentelefonen. Sie wollten den Umsturz. Und hatte es nicht schon mal so etwas gegeben, im Sommer 2020, einen Sturm auf den Reichstag, verhindert von drei mutigen Polizisten, die 400 Corona-Fanatiker daran hinderten, sie zu überrennen, um ins Hohe Haus einzudringen? Spinnerei sieht anders aus. Sie sind die Feinde des Staates. Und sie meinen es ernst.
Nie wieder. Schon wieder. Immer wieder. Seit 1945. Man kann in diesem Zusammenhang auch den ehemaligen Auschwitz-Häftling und Holocaust-Überlebenden Primo Levi zitieren. „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.“ Die Demokratie braucht Demokraten, die sie im Notfall verteidigen. Ein Selbstläufer ist sie nicht. Wer sich die gut gemachte Ausstellung anschaut, sollte, wenn er die Zeit dafür hat, sich das ganze Museum anschauen, den Aufstieg und Niedergang des Nazi-Terrorregimes, die Begeisterung von Millionen Deutschen und Österreichern für Hitler, den Massenmord an den Juden, den Vernichtungskrieg im Osten, das Herrentum der Deutschen, den Bombenkrieg der Nazis gegen viele Städte in Europa, darunter Rotterdam, die Zerstörung deutscher Städte wie Dresden, Hamburg, des Ruhrgebiets und von München, jener „Stadt der Bewegung“, in der die Nazis ihre Parteizentrale hatten und zwar genau dort, wo seit bald zehn Jahren das NS-Dokumentationszentrum steht. Ein weißes Haus am einst braunen Platz, das den Namen von Max Mannheimer trägt, einem Juden, dessen Familie in Auschwitz umgebracht wurde, er selber überlebte den Holocaust und widmete sich der Aussöhnung und der Erinnerung. Seine Botschaft an die Deutschen: „Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“