Nun wissen wir es endlich auch aus offizieller Quelle: Rassismus gibt es nach Auffassung der Bundesregierung nicht in deutschen Behörden und staatlichen Institutionen. Und wenn doch, dann wären es nur Einzelfälle, die keinen Ansatz böten „für die Feststellung eines Strukturproblems“. So lautet die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag. So viel Ignoranz gibt Anlass, sich die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung – hier offenbar vor allem das Innenministerium – verlässlicher Partner für die vielen Initiativen bleiben will, die den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen den aufkommenden Rechtsextremismus und Alltagsrassismus tragen.
Die Beantwortung der Anfrage entspricht dem „Staatenbericht“, den die Bundesregierung kürzlich an die UNO sandte. Er spart institutionellen Rassismus als Thema völlig aus. Mit Blick auf das Versagen des Verfassungsschutzes und der Polizeien des Bundes und der Länder zur Aufklärung der Mordserie des NSU wird ausschließlich auf Mängel in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verwiesen, die nunmehr behoben seien. Also alles in Ordnung? Man reibt sich die Augen und liest noch einmal die Veröffentlichungen der Untersuchungsausschüsse von Bund und Ländern.
Besonders aufschlussreich dabei der Bericht des Thüringer Landtages über die Lage des landeseigenen Verfassungsschutzes. Die Abgeordneten hatten jedenfalls den Eindruck, dass nicht der Geheimdienst die V-Leute, sondern die V-Leute den Geheimdienst zu führen schienen. Kein institutioneller Rassismus? Der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind – alles nur Einbildung? Wie hieß es doch in einer von den Ländern in Auftrag gegebenen Fallanalyse zur damals unaufgeklärten Mordserie gegen Menschen mit türkischen Wurzeln, die ihren Lebensunterhalt als Handwerker oder Kioskbesitzer verdienten, dies könnten nur Täter sein, die weit außerhalb unseres Kulturraums zuhause seien. Denn im deutschen Kulturraum sei Mord tabuisiert, also eigentlich undenkbar.
Diese Fall-Analyse aus dem baden-württembergischen Landeskriminalamt wurde ohne einen sichtbaren kritischen Einwand von der LKA-Hierarchie abgezeichnet. Danach wurde die größte Sonderkommission in der Geschichte der Bundesrepublik gebildet, die den bezeichnenden Titel „Soko-Bosporus“ erhielt. Das also war kein institutioneller Rassismus? Kein Rassismus, der dazu führte, dass die Täter vor allem im Umfeld der Familien der Opfer vermutet wurden? Völlige Einigkeit gab es in der Verfolgung falscher Spuren, die vor allem dem gemeinsamen Vorurteil entsprang. Und der Hinweis im Staatenbericht, nunmehr seien alle Defizite bei der Zusammenarbeit der Polizeien in Bund und Ländern beseitigt, führt doch zu der Frage, woran es denn bei der Zusammenarbeit gefehlt haben könnte? Hier muss man die Polizei geradezu in Schutz nehmen, denn die Zusammenarbeit bei der Ermittlung falscher Spuren war glänzend. Das Versagen entsprang allein dem rassistischen Vorurteil, das allen Beteiligten gemeinsam war.
Nun folgt dem Versagen der Sicherheitsorgane der Bundesrepublik bei der Aufklärung der NSU-Mordserie ein weiteres Versagen, nämlich die Bereitschaft, sich ehrlich zu machen. Es gibt institutionellen Rassismus in Deutschland, auch bei Polizei und Geheimdiensten. Es zu leugnen wird erneutes Versagen nach sich ziehen. Dieses Leugnen entspricht dem, was die Familien der Opfer, die über Jahre mit dem Verdacht gequält wurden, Väter oder Brüder ermordet zu haben, vermissen: dass sich auch nur ein einziger Ermittler dafür entschuldigt hätte.
Aber gehört nicht auch die SPD zur gegenwärtigen Bundesregierung? Ist dort jemand einbezogen worden, als es um die Beantwortung der Anfrage der Linken ging? Wenn nicht, wo bleibt der Protest gegenüber dem Innenressort, das doch wohl die Verantwortung für diese Antwort haben dürfte. Oder geht die Christdemokratisierung der SPD bereits so weit, dass nur noch das Prinzip der drei Affen gilt: Nichts sehen, nichts hören, und schon gar nichts sagen, was wie eine eigene Meinung wirken könnte.