Einige wenige führende Politiker der Union bezeichneten die Ergebnisse der drei Landtagswahlen am 13. März diesen Jahres als bitter und völlig unbefriedigend. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, ihr Generalsekretär Tauber und ihre engste Entourage waren bei der Bewertung wesentlich milder und zurückhaltender; entweder hatten sie nicht den richtigen Blick auf die Realitäten oder sie wollten – wie einst Helmut Kohl – signalisieren: Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter – und tiefer in die Wüste.
Hohe Bodenverluste
Allerdings äußerten zahlreiche Abgeordnete der CDU in der jüngsten Sitzung der Bundestagsfraktion ihre Ängste, bei der nächsten Wahl im Herbst 2017 vom Kamel zu fallen, wenn sie ihr Mandat mit Pauken und Trompeten verlieren. Die Stimmung, die den CDU-Mandatsträgern in ihren Wahlkreisen seit einiger Zeit entgegenschlägt, ist miserabel und teilweise sogar feindlich. Nicht wenige blicken voller Sorgen und Ängste auf die nächsten Wahlen, bei denen es nicht zuletzt auch um persönliche Existenzen gehen wird und die für die Perspektiven nicht gerade positiv erscheinen. Wenn schon am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, so kämen die CDU und CSU bestenfalls auf 35 %; manche demoskopischen Befunde sehen die Union jedoch gerade noch bei 32 %. Da ist es auch wenig tröstlich, dass die SPD bei 22 bis 25 % verharrt oder die Grünen bei 10 bis 12 % liegen. Bundesweit brächte es die AfD auf rund 12 % oder mehr; sie wäre damit die drittstärkste Partei im Bundestag. Zudem scheint sich die FDP zu stabilisieren; sie liegt bei den derzeitigen Umfragen zwischen 6 und 7 %.
Riesenpleite im CDU-Stammland
Mehr als schmerzlich waren die Ergebnisse für die CDU bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg mit gerade noch 27 %. Das sind rund 12 Prozentpunkte weniger als vor 5 Jahren; es reicht gerade noch zum Juniorpartner in einer Koalition mit den Grünen (ca. 30 %) unter dem landesweit beliebten Ministerpräsidenten Kretschmann. Guido Wolf, der CDU-Spitzenkandidat, konnte weder viele Badener noch Württemberger begeistern. Auch der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl, der Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble, blieb programmatisch und persönlich blass und profillos. In zahlreichen CDU-Hochburgen von einst wurden CDU-Abgeordnete von grünen Herausforderern mit eindrucksvollem Vorsprung besiegt. In Stuttgart, Freiburg, Tübingen und anderen Städten stellen die Grünen bereits seit längerem die Oberbürgermeister, die ihre Ämter volksnah, charismatisch und profiliert ausfüllen.
Erosion der großen Volksparteien
In Rheinland-Pfalz trat mit Julia Klöckner für die CDU die ehemalige attraktive Weinkönigin und gefühlte Kronprinzessin, die gleich Angela Merkel in einiger Zeit hätte beerben sollen, an. Doch aus den vor Monaten erwarteten 43 % wurden nicht einmal 32 % und damit ein Minus von mehr als 3 %-Punkten im Vergleich zur Landtagswahl 2011. Die CDU muss hier weitere Jahre in der Opposition fristen.
Mit einem blauen Auge ging es für die CDU in Sachsen-Anhalt aus: Rund 3 %-Punkte musste sie auch hier abgeben und landete bei gerade noch bei knapp 30%. Mit gleich zwei Partnern, nämlich SPD und Grünen, wird Reiner Haseloff in Zukunft eine Koalition zustande bringen und regieren müssen. Triumphe sehen gewiss anders aus.
Absturz für Grüne in Rheinland-Pfalz
Der CDU droht ein ähnliches Schicksal wie der SPD: Seit der Wiedervereinigung wurden die Sozialdemokraten zwischen grünen und roten Mühlsteinen zerrieben. Das kleine SPD-Plus in Rheinland-Pfalz ist nur darauf zurückzuführen, dass die Grünen gleich mehr als 10 %-Punkte verloren und die Linke nicht einmal 3 % erreichte.
Starke Gewinne der AfD
In allen drei Bundesländern erzielte die AfD jedoch aus dem Stand zweistellige Ergebnisse: Mehr als 15 % in Baden-Württemberg, 12,6 % in Rheinland-Pfalz, über 24 % in Sachsen-Anhalt. In dieser Partei sammeln sich Protestler, Unzufriedene, National-Konservative, Randgruppen von links und rechts, Gegner der Migrantenpolitik der Kanzlerin, Kämpfer gegen den Islam und Wähler, die von Ängsten vor einer Überfremdung befallen sind. Viele fürchten um ihren eigenen Wohlstand, und um sozialen Abstieg.
FDP ist wieder im Rennen
Schließlich ist die FDP wieder im Rennen – mit gut 8 % in Baden-Württemberg und über 6 % in Rheinland-Pfalz, während es in Sachsen-Anhalt mit 4,9 % nicht ganz zum Einzug ins Parlament reichte. Die Liberalen unter ihrem sensiblen Feintaktiker Christian Lindner profitieren davon, dass die CDU seit Jahren einen Mitte-Links-Kurs steuert und dabei immer mehr das Liberal-Konservative in ihrer Politik aufgegeben hat. Die Abwanderung von CDU-Wählern zur FDP hält sich noch in Grenzen, doch könnten in Zukunft viele Menschen, die sich zum Mittelstand zählen, bei den Liberalen landen.
Defizite bei Programm und Personen
Viele CDU-Wähler von einst vermissen mehr und mehr eine klare Ordnungspolitik, die eindeutige Orientierung in Richtung Soziale Marktwirtschaft, ein gutes Stück Patriotismus, mehr Engagement für den Mittelstand, eine bessere Bekämpfung der Kriminalität, Maßnahmen für die innere Sicherheit, Impulse für Wachstum und Beschäftigung sowie mehr Investitionen für die Verbesserung der Infrastruktur, vor allem auch ein unionschristliches Miteinander der beiden Schwesterparteien CDU und CSU. Die Konturen der Partei sind unter der Vorsitzenden Angela Merkel nicht mehr ausreichend zu erkennen, die Partei bietet immer weniger politische Heimat.
Es fehlen kluge Spin-Doktoren
Der digitalisierte Generalsekretär erscheint in der Öffentlichkeit den CDU-Mitgliedern wie ein Bauchredner seiner Chefin – eher verwirrend denn erhellend, ohne Ideen und Impulse. Andere Mitglieder des Präsidiums und Vorstandes der Partei gerieren sich eher als Statisten denn als Hauptdarsteller – ganz gleich, ob sie Armin Laschet, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Lorenz Caffier heißen. Kluge Spin-Doktoren, die etwa das Publikum mit einer mutigen Agenda 2025 oder anderen Zukunftsentwürfen für Deutschland faszinieren oder zur politischen Diskussion anregen könnten, fehlen offenbar im Konrad-Adenauer-Haus.
Ebenso gibt es zu wenige Köpfe in der Bundestagsfraktion, in der Partei und in den Ländern, die wichtige Politikfelder öffentlichkeitswirksam vertreten und für die CDU profiliert darstellen. Die Defizite spiegeln sich allein schon in den TV-Talkshows wider: Ursula von der Leyen, Wolfgang Bosbach, Volker Kauder, Michael Fuchs – sie jagen von Studio zu Studio, von Sendung zu Sendung, wo sie all das nochmals sagen, was zuvor bereits in anderen Medien zu lesen oder zu hören war. Für etwas Überraschung sorgt bestenfalls der Jungpolitiker der Union, Jens Spahn.
Schwächeln in Ländern und Kommunen
Im Herbst stehen zwei weitere Landtagswahlen an – in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Die Spitzenkandidaten der CDU sind kaum jenseits der Landesgrenzen bekannt, die Siegeschancen für die CDU mehr als schlecht. In anderen Bundesländern – von Schleswig-Holstein bis Brandenburg – sieht es nicht viel besser aus. Als „rocher de bronze“ steht da noch Volker Bouffier, der hessische Ministerpräsident, da, der mit den Grünen eine stabile Koalition gebildet hat und erfolgreiche Landespolitik macht, die sich allerdings bei den jüngsten Kommunalwahlen für die CDU nicht „ausgezahlt“ hat.
Stiefschwester CSU
Selbst die CSU, die bei aktuellen Umfragen in Bayern bei 46 bis 48 % liegt, muss gar verzweifeln. Der „Löwe“ Seehofer brüllt immer wieder mehr oder weniger laut gegen die Politik der Schwesterpartei. Doch wirkt er nur in München kraftvoll, in Berlin mit seinen CSU-Paladinen indessen eher ohnmächtig. Seine CSU-Bundesminister sind kaum in der Öffentlichkeit bekannt. Für temporäre Aufmerksamkeit sorgte zwar Bundesverkehrsminister Dobrindt mit seinen ambitionierten Plänen für eine PKW-Maut, diese wird jedoch von der zuständigen EU-Verkehrskommissarin blockiert. Die Obergrenze für Flüchtlinge wird von Seehofer & Co. immer noch gefordert, doch können sich weder die Bundeskanzlerin und die Mehrheit in der CDU noch der Partner in der Großen Koalition, die SPD, damit anfreunden. „Bella figura“ auf der bundespolitischen Ebene machen lediglich die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, und der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer, der als zuvor erfolgreicher Minister von Seehofer „abgemeiert“ wurde, doch 2017 wieder in seinem Wahlkreis kandidieren und siegen wird.
Ohne Alternative: A. Merkel
Die mehr oder weniger offenen Attacken einiger CSU-Politiker gegen die Kanzlerin sind seit langem nicht zu überhören. Doch werden sie sich alle – in der CSU wie in der CDU – Anfang des nächsten Jahres außerordentlich schwer tun, eine personelle Alternative für die Bundestagswahl zu präsentieren. An Angela Merkel wird nichts, aber auch gar nichts vorbeigehen, wenn die Frage der Spitzenkandidatur anstehen wird. Gegen sie wird nichts laufen. Nur mit ihr wird die Union nochmals die stärkste Partei werden können, wenn auch aus heutiger Perspektive mehr oder weniger schwere Verluste drohen. Die meisten Unionschristen haben längst die Suche nach Alternativen aufgegeben und sich mit der „Alleinherrschaft“ von Angela Merkel abgefunden. Nur wenige politische Traumtänzer erwähnen bisweilen noch Friedrich Merz oder auch Wolfgang Schäuble. Merz hat sich längst freiwillig aus der Politik verabschiedet und beweist sein Talent im „big business“. Schäuble wird in diesem Herbst 74 Jahre alt. Viele in der CDU haben seine Ablösung an der Spitze der Partei sowie das Zerwürfnis mit Helmut Kohl wegen der Spendenaffäre nicht vergessen. Die Sehnsucht nach einem charismatischen und innovativen CDU-Vorsitzenden würde der kühle Badener wohl kaum erfüllen, darin sind sich die meisten Unionsmitglieder einig. Dasselbe gilt für die schwach besetzte zweite Reihe mit Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière, Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier, die sich als „Weihrauch-Schwenker“ für Angela Merkel betätigen und in der CDU kaum als Hoffnungsträger angesehen werden.
Gefahren durch Null-Zinspolitik
Die AFD und die FDP sowie vielleicht auch die Grünen könnten 2017 von der inhärenten Schwäche der CDU profitieren. Die Erosion der CDU droht sich vor allem dann zu verstärken, wenn sich die bislang recht gute Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes im Laufe des nächsten Jahres verschlechtern sollte. Die Gefahren von der Exportfront dürfen nicht geringgeschätzt werden.
Hinzu kommen die Folgen der waghalsigen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank: Sparer, Anleger in Geldtiteln und Lebensversicherungen empfinden sich als Verlierer der Nullzinspolitik. Die AfD könnte hier ein weiteres Thema finden und als Anwalt der „enteigneten Sparer“ an die politische Front ziehen. Die CDU hüllt sich hier derweil in Schweigen, zumal der Bundesfinanzminister viele Milliarden Euro an Schuldzinsen spart und so seinen Kurs der „schwarzen Null“ halten kann.
Zu große Distanz zur CDU-Basis?
Das Thema Nr. 1 wird indessen die Migrantenflut bleiben. Ob die jüngst ausgehandelte EU-Türkei-Vereinbarung zu einer nachhaltigen Reduzierung des Zustroms von Flüchtlingen führen wird, ist unsicher. Auf jeden Fall werden weiterhin Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt Asyl in Deutschland suchen. Ihre Aufnahme und insbesondere die Integration der Zuwanderer werden die Bundeskanzlerin und damit die Union in der nächsten Zeit vor größte Herausforderungen stellen.
Die Unterbringung der Flüchtlinge, der Sprachunterricht, der Bau von Wohnungen, die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, die gesellschaftliche Akzeptanz etwa für den Islam und vieles mehr müssen als politische Aufgaben positiv bewältigt werden. Wie schwierig diese Gratwanderung ist, das haben Angela Merkel und die Union seit September 2015 intensiv erfahren. Große Teile der CDU und insbesondere die CSU sind mit der bisherigen Flüchtlingspolitik nicht einverstanden. Christian Wagner, lange Zeit profilierter Minister und CDU-Fraktionsvorsitzender in Hessen, hat sich gerade jüngst besorgt zum Beifall von der falschen Seite für die Merkel-Politik geäußert: „Wenn vor allem Grüne und der linke Teil der SPD der Bundesregierung zu diesem Thema Beifall spenden, muss die Bundesregierung sich fragen, ob sie mit ihrem Kurs überhaupt noch die eigenen Anhänger erreicht. … Von einer CDU-geführten Bundesregierung dürfen wir erwarten, dass sie die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Wähler wahr- und ernstnimmt.“ Nach dem von der Kanzlerin eingefädelten EU-Deal mit der Türkei, der in den nächsten Monaten seine Wirkung für die Eindämmung der Migrantenflut erst noch beweisen muss, dürfte der Applaus für Angela Merkel aus den Reihen der Grünen und der SPD geringer ausfallen. Die Vereinbarungen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, der viele Prinzipien der Demokratie verletzt und sich wie ein neuer Sultan gebärdet, wird von vielen wie ein „Pakt mit dem Teufel“ empfunden.
Bildquelle: Thomas Riehle – www.arturimages.com, CDU-Bundesgeschäftsstelle Berlin, CC-BY-SA-2.0-DE