Seit dem vierten Adventssonntag hat sich die politische Landschaft Spaniens derart grundlegend verändert, dass politische Beobachter bereits von einer „historischen Wende“ oder gar von einem „Systemwechsel“ sprechen, der seit vielen Jahren überfällig war. Auf jeden Fall wird der seit langem vorhergesagte Paradigmenwechsel Spanien vor neue Aufgaben stellen, die man bisher noch nicht kannte und jetzt mühsam einüben muss. Die Suche nach politischen Koalitionen wird ebenso zum spanischen Alltag gehören wie die selbstkritische Frage, ob das eigene Wirken politisch opportun und moralisch richtig ist.
Die hohen Stimmenverluste für Konservative und Sozialisten signalisieren deshalb nicht nur das Ende des bisherigen Zwei-Parteiensystems; mit dem Aufkommen von zwei frischen Parteien, die fast aus dem Stand ein Drittel aller Stimmen gewannen, ist eine neue Bewertung von Politik und Moral in die spanische Politik eingezogen, die es bisher noch nicht gab: Die linksalternative Gruppierung Podemos und die liberalen Ciudadanos haben sich auf ihre Fahnen geschrieben, im spanischen Parteienbetrieb endlich Transparenz durchzusetzen, verkrustete Seilschaften aufzulösen und eine gefällige Bürokratie durchzulüften, die mit mediokren Steuerbetrügern nur zu häufig gemeinsame Sache machte .
Kritische Presse hat Skandale aufgedeckt
Allein in der regierenden Volkspartei PP sind zweitausend Strafverfahren gegen Parteimitglieder anhängig, die sich öffentliche Gelder in die eigenen Taschen steckten. In der traditionell sozialistischen Hochburg Andalusien wurden einhundert Millionen Euro Hilfsgelder aus Brüssel von Funktionären der regierenden Partei PSOE sowie von gut vernetzten Gewerkschaftern zweckentfremdet. Das Geld, das für die Ausbildung arbeitsloser Jugendlicher bestimmt war, kam aber nie in den zuständigen Behörden und Ministerien an. Nur eine kritische Presse hat unverdrossen über diese kaum glaublichen Skandale berichtet. Ohne ihre Recherchen gäbe es die neue radikaldemokratische Basisbewegung nicht: Der Absturz des alten Systems in Spanien sollte endlich in Brüssel die Frage aufwerfen, welchen Anteil die EU an der grassierenden Korruption in Spanien hat und ob die teilweise großzügig gehandhabte Verwendung öffentlicher Mittel in den Empfängerländern scharf genug kontrolliert wird.
Von den politischen Newcomern in Madrid könnte deshalb auch der längst überfällige Impuls ausgehen, unehrenhaften Politikern und Beamten schärfer als bisher auf die Finger zu schauen und die Aufklärungsarbeit nicht immer couragierten Journalisten und der Gerichtsbarkeit zu überlassen. In Spanien weht seit Sonntag ein frischer Wind, der an die Zeiten der „tansicion“erinnert und an die „Helden des Übergangs“, die Spaniens Wandel von der Diktatur zu einer Demokratie vollbrachten, die von zwielichtigen Nachfolgern heruntergewirtschaftet und beschädigt worden war. Nach den Vätern ist nun eine politisierte neue Generation am Zuge, die sich für die Zukunft viel vorgenommen hat. Que viva Espana! Möge diese Wende gelingen!