Herfried Münkler ist ein Professor, der die Öffentlichkeit sucht. Der bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2018 an der Humboldt-Universität in Berlin lehrende Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt „Politische Theorie und Ideengeschichte“ gehört zu den wenigen, die über Fachkreise hinaus bekannt sind. In Büchern und talkshows, in Interviews und podcasts verbreitet er seine Erkenntnisse und seine Sicht der Dinge zu wichtigen Themen aus Geschichte und Gegenwart.
Was er sagt, ist nicht immer von der Garantie der Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes gedeckt, aber immer von der Garantie der Meinungsfreiheit. Er macht grosszügig davon Gebrauch. Das ist sein gutes Recht.
Kriege und Sicherheit, Demokratie und die Zukunft der Welt(un)ordnung gehören zu seinen wichtigen Themen. In dem 2022 erschienenen Buch „Die Zukunft der Demokratie“ schreibt er:
„Die Demokratie der Zukunft wird eine andere sein als die Demokratie der Gegenwart. Bliebe sie dieselbe, so hätte Demokratie keine Zukunft.Sie muss vielmehr durch eine Reihe von Veränderungen zukunftsfähig gemacht werden, um Bedrohungen und Herausforderungen gewachsen zu sein, wie sie bereits erkennbar sind.“
Die Demokratie müsse so attraktiv sein, „dass eine Mehrheit der Bevölkerung den Willen hat, nicht nur qua Personaldokument, sondern im politikpartizipativen Sinn Bürgerin und Bürger zu sein. Die Demokratie der Zukunft ist auf das Vorhandensein möglichst vieler engagierter, sachlich kompetenter und urteilsfähiger Menschen angewiesen – oder aber sie hat keine Zukunft.“
Also sprach der Professor für Politikwissenschaft. Was er damit ganz praktisch und ganz gegenwärtig meint, ist aus einem Artikel von Jana Wolf zu erfahren, der am 9. August 2024 im Bonner „General-Anzeiger“ unter der Überschrift „Für den Frieden aufgerüstet“ erschienen ist.
Was den Krieg Russlands gegen die Ukraine angeht, zeigt Münkler klare Kante:
„Diejenigen, die Verhandlungen mit Putin fordern, verkennen, dass Putin nicht verhandeln will. Er will seinen Willen durchsetzen.“
Ob die Behauptung, wer seinen Willen durchsetzen wolle, wolle auf keinen Fall verhandeln, wissenschaftlich begründet oder begründbar ist oder auch nur praktischen Erfahrungen in Weltgeschichte und Nachbarschaftsstreitigkeiten entspricht, soll hier bewusst offen bleiben.
Herfried Münkler belässt es aber nicht bei dieser durchaus untersuchungswürdigen Behauptung. Er fügt hinzu, er sehe in solchen Forderungen einen „Ausdruck einer strategischen Ahnungslosigkeit und einer hochgekochten Unterwerfungsbereitschaft.“
Wer für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine eintritt, ist für Münkler also ein Dummkopf und ein moralisch verkommenes Subjekt. Er ist nicht der einzige, auch nicht der einzige unter Nicht-Professoren, der viele andere für Dummköpfe hält. Geschenkt. Den Vorwurf aber, wer für Verhandlungen eintrete, sei bereit, sich Russland zu unterwerfen, darf man auch einem Professor der Politikwissenschaft nicht durchgehen lassen. Man muss ja annehmen dürfen, dass er weiss, was er sagt und wen er meint, von früheren Militärs über zivile Fachleute für Sicherheit und Strategie bis hin zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und zum Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen.
Herfried Münkler benutzt hier die Sprache des geistigen Bürgerkriegs. Wer so redet, der stellt Freund-Feind-Denken auch im eigenen Land an die Stelle des politischen Streits, gerne auch der harten Auseinandersetzung. Ja, um den besten und schnellsten Weg, das Töten und Sterben in der Ukraine und die sozialen und ökonomischen Folgen dieses Kriegs für viele Menschen in anderen Ländern der Welt zu beenden, muss politisch gestritten werden. Im gegenseitigen Respekt. Auch wenn es schwer fällt.
Wenn es praktisch wird, nimmt sich Herfried Münkler die Freiheit, seine eigenen Forderungen vom demokratischen Bürger im „politikpartizipativen Sinn“ als Voraussetzung für die Demokratie der Zukunft aus dem Weg zu räumen. Wo es um Krieg und Frieden geht, soll Schluss sein mit der Partizipation der Bürgerinnen und Bürger:
„Es wäre auch nicht sinnvoll, die Frage nach der Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in einer öffentlichen Debatte auszutragen. Denn dann würden von Russland gesteuerte Trolls und Bots massiv in die Diskussion eingreifen.“
Soso. Sollen wir in Zukunft in Deutschland also nur noch über solche Themen öffentlich debattieren, bei denen Bundesregierung, die grosse Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag und Professor Münkler einer Meinung mit dem russischen Präsidenten Putin sind? Nur dann besteht ja keine Gefahr, dass von dort massiv in die deutsche Diskussion eingegriffen wird. Hiesse das nicht im Münklerschen Sinne, dass wir uns einem russischen Einmischungs-Diktat unterwerfen?
Wie weit sind wir gekommen, dass ein deutscher Professor für Politikwissenschaft es wagen kann, politisch Andersdenkende zu amoralischen Subjekten zu erklären. Wie weit sind wir gekommen, dass er die Frage, welche Waffensysteme der USA in Deutschland aufgestellt werden sollen, zu einer Entscheidung der Exekutive erklärt, die das Volk gefälligst zu akzeptieren, auf jeden Fall aber zu dulden hat.
Demokratie à la carte und Andersdenkenden die Moral absprechen statt harter politischer Auseinandersetzung in der Sache: Das ist ein Irrweg, den wir nicht gehen sollten. Im Interesse möglichst vernünftiger politischer Entscheidungen und im Interesse guter Nachbarschaft im Inneren und nach aussen.
Herr Münkler ist weird, um es mit Tim Walz zu sagen: ein deutscher Politikprofessor, der das Allgemeine und das Besondere nicht widerspruchsfrei zusammenkriegt.