Mit der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar kommt die erste Bewährungsprobe für das neue Wahlrecht schneller als gedacht. Die Reform soll gewährleisten, dass die Zahl der Abgeordneten nicht mehr über 630 hinaus geht. Das sind gut hundert Sitze weniger als im aktuellen Parlament vergeben und soll ein weiteres Anwachsen dauerhaft beenden.
Die Premiere der von der Ampelkoalition durchgesetzten und vom Bundesverfassungsgericht im Kern gebilligten Reform wird mit Interesse erwartet. SPD, Grüne und FDP haben sich in ihrer Regierungszeit darauf verständigt, die Überhangmandate abzuschaffen und damit auch die Ausgleichsmandate überflüssig zu machen, die für das Aufblähen des Bundestags über die Sollgröße von 598 Abgeordneten hinaus verantwortlich waren.
Das stärkt die Zweistimmen mit ihrer ohnehin entscheidenden Bedeutung für die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Die Erststimme hingegen, mit der die Wahlberechtigten mit einfacher Mehrheit den Direktkandidaten ihres jeweiligen Wahlkreises wählen, kann in besonderen Fällen an Gewicht verlieren. Erhält eine Partei nicht genügend Zweitstimmen für alle errungenen Direktmandate, so kann der Sitz an den mit dem schlechtesten Ergebnis gewählten Vertreter nicht vergeben werden.
Ob und wie häufig das tatsächlich vorkommen wird, lässt sich kaum vorhersagen. Es ist ein Novum nach all den vergeblichen Reformansätzen, die eher kosmetisch waren und die gewünschte Wirkung verfehlten. Prognosen wie die von election.de, die aktuell von zwanzig nicht zuzuteilenden Direktmandaten ausgehen – zwölf von CDU und CSU sowie acht AfD – sind ebenso unzuverlässig wie Vorwahlumfragen generell. Am Ende kommt es auf den Wähler an.
Dessen Entscheidung allerdings will die oppositionelle Union gar nicht erst abwarten. Trotz der höchstrichterlichen Feststellung der Verfassungsmäßigkeit haben CDU und CSU ihr Urteil schon vor dem ersten Praxistest gefällt: Ihrem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Johann Wadephul zufolge soll die Rücknahme der Wahlrechtsreform zur Bedingung für Koalitionen gemacht werden.
Das werde so im Wahlprogramm der Schwesterparteien festgeschrieben, sagte Wadephul laut Deutschlandfunk der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Man unterschreibe keinen Koalitionsvertrag, in dem das nicht stehe, wird der soeben von der schleswig-holsteinischen CDU mit fast 98 Prozent der Delegiertenstimmen zu ihrem Spitzenkandidaten Gewählte zitiert. Das sei eine „unabdingbare Voraussetzung“. Fragt sich nur, wen die Unionsparteien als möglichen Koalitionspartner im Blick haben, wenn nicht SPD, Grüne oder FDP als die Urheber der Wahlrechtsreform.
Übrigens wollen dem Bundestag zufolge bei der Wahl am 23. Februar ingesamt 56 Parteien und politische Vereinigungen antreten. Bei der Wahl 2021 waren es noch 87 gewesen. Der Bundeswahlausschuss unter Vorsitz von Bundeswahlleiterin Ruth Brand entscheidet in einer zweitägigen öffentlichen Sitzung am 13. und 14. Januar über die Zulassung. Gegen eine Ablehnung kann eine Partei oder Vereinigung binnen vier Tagen eine Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht erheben. Das Bundesverfassungsgericht muss dann bis zum 23. Januar über die Beschwerden entscheiden und der Wahlausschuss kommt am 30. Januar zu einer weiteren Sitzung zusammen.
Ein insgesamt äußerst enger Zeitplan, der insbesondere auch den Städten erhebliche organisatorische Leistungen abverlangt. Aber der Opposition konnte es nicht schnell genug gehen. Für die Abwicklung der Briefwahl bleiben insgesamt nur drei statt der üblichen sechs Wochen. Erste Appelle, das Wahlrecht sicherheitshalber an der Urne im Wahllokal auszuüben, waren vereinzelt schon zu lesen. In Nordrhein-Westfalen hatte 2021 – auch coronabedingt – fast jeder Zweite seinen Stimmzettel per Post geschickt.
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