Schluss mit der Behäbigkeit. Klimaneutral bis 2045. Die Bundesregierung will endlich ernst machen mit dem Klimaschutz. Das ist zumindest der Eindruck, den das geneigte Publikum aus den Auftritten der Ministerriege gewinnen soll. Nur wenige Tage nach dem historischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das dem geltenden Klimaschutzgesetz in zentralen Punkten Verfassungswidrigkeit bescheinigt, soll eine Neufassung ins Kabinett gehen und noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden.
Na also, geht doch, mag manch einer sagen, wenn Umweltministerin Svenja Schulze und Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD) einmütig den ambitioniertesten Klimaschutz aller Zeiten – „aber machbar!“ – ankündigen und wenn obendrein Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) statt der standardmäßigen Bedenken Beifall beisteuern. Plötzlich haben sie es alle immer schon gewollt: die Erderwärmung stoppen, den Klimakollaps abwenden, die Warnungen der Wissenschaft ernst nehmen und den jüngeren Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen.
Nur, hoppla, warum haben sie es denn nicht längst getan? Wer hat die Große Koalition daran gehindert, entschlossener und verantwortlicher zu handeln – beim Ausstieg aus der Braunkohle, Vorantreiben der Energiewende, Abschied vom Verbrennungsmotor, Energiesparen, Tempolimit usw.? Wie viele Jahre sind vergangen, seit Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland zum klimapolitischen Vorbild ausgerufen hat?
Und wie jämmerlich ist die Bilanz! Zumal mit dem Bezugsjahr 1990 die Abwicklung der ostdeutschen Industrie die Vergleichszahlen zum CO2-Ausstoß verzerrt. So richtig guter Wille wird da nicht ablesbar. Kein Wunder, dass es die jungen Leute zum Klimastreik in die Städte und auf die Plätze getrieben hat. Hinhalten, Durchmogeln und Nichtstun geht auf ihre Kosten, und dass das Bundesverfassungsgericht die Regierung darauf erst hinweisen und Generationengerechtigkeit einfordern muss, ist ein Armutszeugnis.
Das wollen SPD und Union auf ihren letzten Metern vor der Bundestagswahl im September – verständlicherweise – übertünchen. Freundlicher gesagt, die Umweltministerin nutzt die Gunst der Stunde und den Rückenwind aus Karlsruhe. Die CDU will sich keine Blöße geben und ihre Bremserfunktion vergessen machen. Der Klimaschutz wird – nach der Pandemie – ein Thema von enormer Bedeutung sein. Es ist – zusammen mit der Artenvielfalt – das Menschheitsthema der kommenden Jahre. Die Weichen werden jetzt gestellt.
Schon richtig, die Ziele in den Eckpunkten des Gesetzentwurfs von Svenja Schulze sind ehrgeiziger. In drei Zeitetappen sollen die Treibhausgasemissionen über 65 und 88 Prozent bis zur Klimaneutralität im Jahr 2045 sinken. Das klingt gut, nur: Ziele allein sind wenig wert. Es sei daran erinnert: Ohne die Coronakrise hätte Deutschland seine vergleichsweise bescheidenen Klimaziele für 2020 nicht erreicht, und mehr als ein Schulterzucken hätte das nicht zur Folge gehabt. Nein, so forsch die Koalition mit der Ankündigung verschärfter Ziele ist, so zurückhaltend wird sie im Wahljahr mit der Beschreibung konkreter Maßnahmen sein.
Vorerst kommt neue Hoffnung für das Erreichen des Ziels, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, von anderswo. Die USA sind dem Pariser Abkommen nicht nur wieder beigetreten, sondern US-Präsident Joe Biden zeigt sich entschlossen, die verlorenen Trump-Jahre mehr als wettzumachen. Mit ihrem nationalen Klima-Programm, das zugleich ein gewaltiges Investitionsprogramm in nachhaltige Wirtschaft und den Arbeitsmarkt ist, schreiten sie voran. Sie erkennen die globale Dimension an und setzen auf eine umfassende internationale Zusammenarbeit.
Das wird im besten Fall beim Weltklimagipfel im November in Glasgow – sofern er nicht erneut wegen Corona verschoben wird – eine Dynamik entfalten, der sich die Europäische Union und Deutschland nicht entziehen können. Es wird höchste Zeit.
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Weil ich es in eigenen Worten keinesfall besser ausdrücken kann, zitiere ich eine Stimme der Vernunft etwas ausführlicher. Der deutsche Ökonom Daniel Stelter schreibt dazu:
„Das Urteil zeichnet ein verstörend statisches, unökonomisches und vor allem technikfeindliches Bild unserer höchsten Richter. Es passt zu einem immer planwirtschaftlicheren Vorgehen der politischen Akteure, die sich sichtlich gefreut haben, ihren Planungshorizont gleich bis zum Jahr 2050 zu verlängern. Sektorale Zielvorgaben für den CO2-Ausstoß pro Jahr bis zum Null-Emissions-Jahr 2050 werden unsere Planungsbehörden demnächst mit dem „Gütesiegel“ des Bundesverfassungsgerichts vorlegen.
Das Erreichen der Klimaziele wird so aber nicht wahrscheinlicher, sondern noch unwahrscheinlicher. Ineffizienz und Ineffektivität werden zu einem unnötig hohen Ressourcenverbrauch führen und den Schwerpunkt auf symbolträchtige Einsparungsmaßnahmen legen, statt auf die eigentliche Lösung: Technik und Innovation. Gewinner werden einmal mehr die USA und China werden, die erkannt haben, dass im Letzteren der Weg liegt, Klimaschutz und Wohlstandssicherung zu verbinden.“
Quelle: https://think-beyondtheobvious.com/stelter-in-den-medien/klima-urteil-statt-auf-planwirtschaft-haette-das-bverfg-auf-effizienz-draengen-muessen/