Karin Maag, Mitglied des Bundestages und gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, verkündetet stolz vor der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung des Pflegepersonals, dass in Altenheimen 13.000 zusätzliche Stellen für die medizinische Behandlungspflege geschaffen werden sollen. Das wären in der Tat 5.000 mehr als im Koalitionsvertrag der GroKo angekündigt. Die Finanzierung wird über die Krankenversicherung erfolgen. Weitere Schritte zur besseren finanziellen Flankierung des Pflegebereichs sollen noch folgen, um die schwierige Lage in Krankenhäusern sowie Alters- und Pflegeheimen zu verbessern.
Dramatische Perspektive
Allerdings fehlen derzeit schon 12.000 Pflegerinnen und Pfleger im Krankenbereich sowie 15.000 in der Altenpflege. Außerdem gibt es rund 8.500 Helfer-Stellen, für die bislang fast niemand auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu finden ist. Auf 100 offene Stellen kommen im Schnitt kaum mehr als 20 Bewerberinnen oder Bewerber. In Zukunft, so fürchten nahezu alle Experten, dürfte sich die Entwicklung im Pflegesektor noch wesentlich dramatischer gestalten. Bereits heute müssen Krankenhäuser Betten ungenutzt lassen und sogar ganze Abteilungen stilllegen, weil es vor allem an Pflegepersonal fehlt. In den Notaufnahmen vieler Spitäler herrscht bereits blanke personelle Not, mit der die hilfsbereiten Mediziner kämpfen und die die eingelieferten Patienten zu spüren bekommen.
Defizite in vielen Bereichen
Deutschland befindet sich in einem dramatischen Pflegenotstand. Angesichts der seit langem vorhersehbaren demografischen Entwicklungen und der gesellschaftlichen Veränderungen haben viele immer wieder diese Probleme verdrängt und übersehen wollen. Aus dem Wohlstandsstaat Bundesrepublik Deutschland droht auf vielen Feldern ein Notstandsland zu werden: Es fehlen Lehrerinnen und Lehrer, Kindergärtnerinnen und -gärtner , Mediziner und Krankenschwestern sowie Pflegepersonal, Beamte bei der Polizei und im Justizbereich, Angestellte und Beamte in vielen öffentlichen Ämtern – von den Kommunen bis bin zu den Finanzämtern.
Die Folgen der staatlichen Sparpolitik beim Personal bekommen die Menschen in Deutschland schmerzhaft zu spüren. Die „schwarze Null“ wurde von vielen Politikern wie eine Monstranz immer und überall wieder in die Öffentlichkeit getragen. Finanzminister im Bund und in den Ländern gefielen sich in der Rolle der Sparkommissare. Das alles ging zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger, für die der Staat doch gerade da sein soll, wenn Solidarität und Humanität gefordert sind.
An Geld hätte es nicht gefehlt, wenn die Verwendung der hohen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zielgenau erfolgt wäre. Viele Milliarden aus staatlichen Kassen sind in Prestigeprojekte geflossen, vergeudet und verplempert sowie völlig falsch – auch im Sozialbereich – verteilt worden. Das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler und insbesondere die Berichte des Bundesrechnungshofes belegen dies mehr als eindrucksvoll, werden jedoch von denen, die es wirklich angeht, kaum oder gar nicht beachtet.
36.000 offene Pflegestellen
Die Stellen im Pflegebereich, für die von der Politik der finanzielle Rahmen geschaffen wurde, müssen indessen erst einmal besetzt werden. Bei einem akuten Bedarf von 36.000 Pflegerinnen und Pflegern wird überdeutlich, wie schwierig, ja unmöglich es sein wird, diese Kräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit zu rekrutieren.
Um die unbesetzten Stellen in der Kranken- und Altenpflege zu besetzen und damit die aktuelle Pflegereform einigermaßen zum Erfolg zu machen, müssen mehrere Schritte sofort gemacht werden. Die Pflegekräfte verdienen zu allererst in der Gesellschaft eine wesentlich höhere Wertschätzung als bisher. Dazu gehört auch eine wesentlich bessere Bezahlung ihrer wertvollen Arbeit am und für den Menschen. Ebenso brauchen Pflegerinnen und Pfleger mehr Auszeiten, also planbare Freizeit, arbeitsfreie Wochenenden, mehr Urlaubs- und Erholungszeit. Denn Pflege ist sowohl körperlich schwere Arbeit als auch oft genug psychische Belastung. Hinzu kommen muss ein drastischer Abbau der Dokumentationspflichten und anderer Bürokratie; die Einführung der elektronischen Kranken- und Pflegeakte sollte dafür dienen. Zudem mag es genügen, Veränderungen und besondere Auffälligkeiten zu dokumentieren. Den Pflegekräften sollte großes Vertrauen geschenkt und vor allem ihr eigenverantwortliches Arbeiten gestärkt werden. Die examinierten Pfleger und Pflegerinnen können zudem nachhaltig entlastet werden, wenn viel mehr Helferinnen und Helfer sie bei der Arbeit unterstützen. Vor allem sollten zum Beispiel Frauen die jahrelang ihren Vater, ihre Mutter oder Angehörige daheim gepflegt haben und nach deren Tod ohne ein Pflegeexamen dastehen, aber gern in Heimen ihre Aktivität einbringen wollen, als Hilfspersonal Beschäftigung finden.
Hilferufe ins Ausland
Mehr Entlastung, mehr Freizeit, eine bessere Organisation der Schichtarbeit, längere „Sabbatzeiten“ – all das wird zunächst den hohen Krankenstand des Pflegepersonals reduzieren und die Attraktivität des Berufes wieder erhöhen. Ohne Hilfe aus dem Ausland wird es indessen nicht gelingen: Zigtausend Pflegerinnen und Pfleger müssen dort – in der Türkei und in Marokko, in Serbien, im Kosovo oder in Albanien und auf den Philippinen – angeworben werden. Mit gezielten Programmen können sie für die Pflegearbeit in Deutschland vorbereitet werden; hinzu kommen muss auch ein Deutsch-Unterricht, damit sie mit den zu Pflegenden ebenso wie mit ihren Kollegen kommunizieren können. In der Bundesregierung müssen Lösungen gefunden werden, die für ausländische Pflegekräfte den Aufenthalt und die Arbeit in Deutschland zunächst für zwei oder drei Jahre genehmigen. Schnelle Entscheidungen bei den Visa – und anderen Regelungen sind dafür erforderlich; entsprechende Möglichkeiten sind in dem geplanten Facharbeiterzuwanderungsgesetz vorzusehen.
Die Zahl der Beschäftigten in deutschen Pflegeeinrichtungen ist seit 2007 von 810.000 bis heute auf rund 1,1 Million gestiegen. Experten halten einen Zuwachs um etwa 150.000 in den nächsten Jahren für dringend erforderlich, um den Pflegebedarf in Kliniken und Altenheimen sowie im ambulanten Bereich zu befriedigen. Damit wir das schaffen, müssen alle politisch Verantwortlichen und Beteiligten mit aller Kraft an die Lösung dieses schwierigen Problems unserer Nation gehen.
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