Wer ihn erlebt hat, im Parlament oder im Interview, war beeindruckt. Was nicht heißt, dass man ihn mochte. Otto Schily strahlt Selbstbewusstsein aus in einem solchen Maße, dass selbst politische Sympathisanten gelegentlich auf Distanz gingen. Schilys Arroganz konnte einem auf die Nerven gehen. Aber der Mann ist so, wie er ist, er weiß, was er kann. Man muss ihn halt so nehmen. Heute wird er 90 Jahre alt.
Ich erinnere mich an ein Interview mit dem Bundestagsabgeordneten der Grünen, Otto Schily, in den 80er Jahren. Ihn interessierte der Firlefanz mit Dienstfahrrad, Rotation und Bewegung statt Partei nicht. Schily wollte in der Politik was bewegen, nur Protest und Anti war dem erfahrenen Anwalt zu wenig. Dass er wie Joschka Fischer Realo und kein Fundi wurde, im Grunde selbstverständlich. Und auch die Koalition mit der SPD war für ihn klar. Das sagte er auch in Interviews. Ein Otto Schily stimmt sich nicht ab oder fragt jemand, er sagt es einfach.
Gerade hat er sich wohl anlässlich seines Geburtstages zu Wort gemeldet, Er hat die Art, den Ton und Inhalt der Berichterstattung über den Krieg Russlands gegen die Ukraine kritisiert, die Bellizisten attackiert, dabei den Krieg und den Kriegstreiber Putin angegriffen. Recht hat er, der Alte, das hat er von Willy Brandt gelernt. Dass man schauen muss, wie man einen Krieg beenden, aus ihm herausfinden kann. Die Diplomatie ist gefragt. Schily lobt Bundeskanzler Olaf Scholz für seine besonnene Politik, die zwar auch die bedrängte Ukraine mit Waffen und Geld unterstützt, aber auch signalisiert, dass man einen Waffenstillstand erreichen müsse, ein Ende von Tod und Zerstörung durch die Russen. Gespräche mit Putin- wenn es sein muss und vielleicht dem Frieden dient. Die Ukraine kann sich Schily als neutraler Staat vorstellen, als eine Schweiz des Ostens. Bei allem sei auch Russlands Rolle zu beachten, die Sprache und Kultur. Und ganz nebenbei erinnerte Schily in dem Interview noch daran, dass er schon immer gegen den vollständigen Rückzug aus der Nuklear-Technik gewesen sei. Will sagen, jetzt haben wir den Salat, und müssen Atom- Strom aus Frankreich kaufen.
Otto Schily war Anwalt der RAF, von Gudrun Ensslin und Horst Mahler, mal links, dann ganz rechts, was ihm manche Attacke eingebracht hat, die er aber souverän zurückwies. Typisch Schily, der lässt sich nicht sagen, was er zu tun habe. Ich habe Schily, den Sohn großbürgerlicher Eltern aus Bochum, bei der Gründung der Grünen-Partei 1980 in Karlsruhe erlebt inmitten von Freunden vieler Bewegungen, die jede für sich irgendwas ablehnten. Frauen und Männer, Junge und Alte, in Jeans und Hemdchen gekleidet, Männer mit Bart und Pullovern, Schily in Anzug und Krawatte. Eine Partei war das damals nicht, was da gegründet wurde. Später, als die Grünen das erste Mal in den Bundestag einzogen, gehörte Schily zu den Fraktionssprechern der Grünen. Die Sitzungen fanden draußen auf der Wiese des Tulpenfelds vor den Bonner Pressehäusern statt. Redezeit unbegrenzt, Ende der Fraktionszeit auch. Es gab keine Struktur, keine Ordnung, keine Führung. Wir Journalisten saßen dabei, kriegten alles mit. Spannend für uns. Am Rand des Treffen stand ein Tisch mit Speisen und alkoholfreien Getränken, jeder durfte sich bedienen. Dann wickelte eine junge Mutter ihr Baby. Ich habe Otto Schily ob seiner Geduld fast bewundert. Auch um 22 Uhr ließ er Fragen zu.
Im Untersuchungsausschuss zu Flick- es ging um Spenden an die Parteien und die Pflege der politischen Landschaft am Rhein, ein RiesenSkandal- war Otto Schily die überragende Figur. Er fragte, hakte nach und trieb Bundeskanzler Helmut Kohl in die Enge. Dass Kohl wegen einer Aussage in Mainz ungestraft davonkam, verdankte er meiner Meinung nach seinem Generalsekretär Heiner Geißler, der seinem damaligen CDU-Freund ein Blackout unterstellte, was Kohl erboste, ihn aber von jeder Schuld freisprach.
Dass Gerhard Schröder Otto Schily als Bundesinnenminister der ersten rot-grünen Bundesregierung berief, war zunächst eine Überraschung, erwies sich aber als kluger Schachzug des SPD-Kanzlers. Mit Schily schloss er eine gerade in der SPD traditionelle Schwachstelle. Denn Schily vertrat den Rechtsstaat ohne wenn und aber, knallhart trat er auf und verschärfte nach den Anschlägen 9/11 die entsprechenden Gesetze. So erwarb er sich den Spitznamen „Roter Sheriff“. Der politische Gegner war sprachlos, einer der Alten aus der CSU, Ex-Innenminister Zimmermann, ein Hardliner, applaudierte dem SPD-Minister. Nicht alle Sozialdemokraten schätzten seine Flüchtlingspolitik des „Das Boot ist voll“.
Wo Otto Schily heute lebt, weiß ich nicht. Ob er noch seinen Weinberg in der Toskana hat, auch nicht. Hoffe aber, dass dieser schillernde, umstrittene und nie langweilige Zeitgenosse, dieser schöngeistige Großbürger und Musikliebhaber weiter einen guten Rotwein genießt.
Bildquelle: André Zahn, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons