Welcher Kunstkenner und Sammler träumt nicht davon, ein Kunstwerk zu entdecken, von dessen Existenz man bisher nichts wusste und das von einem bekannten oder sogar berühmten Maler stammt! Otto Modersohn war ein solcher Maler, der als einer der Gründer der Künstlerkolonie Worpswede in Niedersachsen vor allem als Landschaftsmaler ein umfangreiches Gesamtwerk hinterlassen hat. Die Gemälde der dortigen Moorlandschaften zählen zu seinen bekannten Werken. Was die wenigsten wissen: Otto Modersohn stammte aus Westfalen, genauer aus Soest, und er studierte an der Kunstakademie in Düsseldorf. Bevor er nach Worpswede ging, suchte er Motive von Menschen und Landschaften in seiner näheren und weiteren Heimat. So war er auch im Sommer 1888 für zwei Wochen in Delbrück im heutigen Kreis Paderborn.
Aus dieser Zeit stammen einige Bleistiftskizzen und Ölbilder, die man bisher schon kannte. Aber, und das ist eine kleine künstlerische Sensation: Von der Existenz eines Ölbilds eines Bauernhofs mitten im Ort wusste man bisher nichts. Selbst das Otto-Modersohn-Museum im niedersächsischen Fischerhude kannte es nicht – und hat seine Echtheit bestätigt. Das nicht sehr große Gemälde (ca. 39 x 31 cm) zeigt die Rückseite eines Bauernhofs mitten im Ort. Der Hof mit Nebengebäuden, freilaufenden Hühnern, landwirtschaftlichem Gerät und mehreren Personen wird im Hintergrund überragt von dem charakteristischen Delbrücker Kirchturm. Dieser Turm ist auch auf anderen Delbrücker Zeichnungen und Gemälden Modersohns zu sehen. Der Bauernhof existiert schon lange nicht mehr, ebenso wenig wie ein Nachfolgegebäude. Heute befindet sich dort ein freier Platz mit Brunnen und Sitzgelegenheiten.
Foto H. J. Biermann
Der Autor dieses Textes hat das Bild des Hofes im Zuge einer Recherche über Modesohns Werke, die in Delbrück entstanden sind, durch Zufall entdeckt. Es hing an einer Wohnzimmerwand in Delbrück und war bis dahin nicht Otto Modersohn zugeschrieben worden. Erst als der ahnungslose Besitzer eine Bleistiftskizze Modersohns mit dem gleichen Motiv gezeigt bekam, ergaben ein Vergleich beider Werke und eine Rückfrage in Fischerhude, dass es sich zweifelsfrei um einen „echten Modersohn“ handelt. Der Besitzer hatte es vor vielen Jahren wegen des Delbrücker Motivs für kleines Geld in einer Auktion über Ebay ersteigert. Weder der Verkäufer noch der Käufer wussten aber damals, wer der wahre Künstler war, der sein Werk nicht mit seinem Namen signiert hatte.
Jetzt kann sich die Stadt Delbrück rühmen, in ihren Mauern ein Kunstwerk zu beherbergen, das von dem insbesondere wegen seiner späteren Arbeiten in Worpswede bekannten Landschaftsmaler Otto Modersohn stammt. Das Bild ist in der Studienzeit dieses Künstlers entstanden, der erst 23 Jahre alt war, als er es malte. Es wird in einer Ausstellung zu sehen sein, die das Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude von Mitte Mai bis Ende Juli 2024 dem westfälischen Frühwerk des Künstlers widmet.