Die Zeit für das neue Hilfsprogramm zum finanziellen Überleben Griechenlands im Euro-System wird immer knapper. Die Institutionen – allen voran die EU-Kommission, der “Internationale Währungsfonds (IWF), der Euro-Rettungsfonds ESM und die Europäische Zentralbank – verhandeln intensiv mit der griechischen Regierung über die Konditionen für das Rettungspaket. Zwischen 80 bis 90 Milliarden Euro oder noch mehr sind notwendig – eine gewaltige Summe, die für die Euro-Partner nicht so einfach zu stemmen ist und die nur gewährt wird, wenn Griechenland feste Zusagen für wichtige Reformen macht.
Der Zeitdruck ist gewaltig, denn am 20. August muss die griechische Regierung etwa 3,2 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank zurückzahlen. Weitere Kredite werden in den nächsten Wochen und Monaten danach fällig. Rund 10 bis 20 Milliarden Euro sind dringend nötig, um die maroden griechischen Banken zu stützen. Immerhin hat die EZB bereits die Notkredite für Griechenlands Banken gerade verlängert; der Betrag liegt bei gut 90 Milliarden Euro.
Die Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Sondergipfel am 12. Juli in Brüssel Front gegen den Grexit, also gegen den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro-System, gemacht und der Regierung Tsipras weitere Hilfen in Aussicht gestellt. Griechenland soll trotz aller Turbulenzen Mitglied der “Euro-Familie“ bleiben; die geopolitischen Gründe, die Sicherung der Südostflanke der NATO, die Lösung der Migranten-Probleme, der Druck der US-Regierung sowie vor allem die große Idee eines vereinten und solidarischen Europas überwiegen jedenfalls die ökonomischen und finanziellen Realitäten.
Schuldentragfähigkeit Athens
Die neuen Milliarden für Griechenland sollen vor allem aus dem Euro-Rettungsfonds ESM als Kredite kommen, aus Privatisierungserlösen und vom IWF. Doch alle Experten zweifeln daran, ob das “Tafelsilber“ Griechenlands – Flughäfen, Staatsbetriebe, Grundstücke usw. – überhaupt nennenswerte Beiträge für das neue Finanzpaket liefern können. Der innenpolitische Widerstand gegen die Privatisierung – etwa im Energie- und Wasserbereich – ist zudem nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt eine harte Widerborstigkeit seitens der IWF-Chefin, Christine Lagarde; sie will nur weiterhin helfen, wenn Griechenlands Schuldentragfähigkeit gegeben sein wird. In diesem wichtigen Punkt liegt man weit auseinander: Während die EU-Kommission schätzt, dass die Schulden Griechenlands, die Ende 2015 bei über 300 Milliarden Euro liegen und im Jahre 2020 zwischen 165 und 187 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen werden, geht der IWF davon aus, dass sie schon in den nächsten zwei Jahren auf 200 Prozent steigen könnten. Als tragfähig gelten 120 Prozent des Inlandsproduktes.
Der IWF setzt sich deshalb für eine deutliche Schuldenerleichterung ein, während Bundesregierung und andere Euro-Partner einen Schuldenschnitt kategorisch ausschließen. Allenfalls – so haben es die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone beim jüngsten Sondergipfel zugesagt – könnte es für das Krisenland einen längeren Tilgungsaufschub und noch längere Rückzahlungsfristen geben. Dafür müssen jedoch alle verabredeten Reformmaßnahmen von Griechenland umgesetzt werden; dazu zählen die Besteuerung von Bauern, die Deregulierung im Handels- und Dienstleistungssektor, Einsparungen im Rentensystem und die Liberalisierung einiger Berufe.
Die Operation am offenen Herzen ist in vollem Gange, doch einige Operateure bezweifeln, ob die Eingriffe, die Bluttransfusionen, das Einsetzen neuer Herzklappen und die Stabilisierung des ökonomischen Kreislaufs nun unter dem gewaltigen Zeitdruck gelingen können. Schon wird eine Brückenfinanzierung erwogen, um einen Kollaps zu vermeiden und in absehbarer Zeit dann das neue große finanzielle Hilfsprogramm sowie die griechischen Reform- und Sparmaßnahmen in einem Gesamtpaket zusammen zu schnüren. Immerhin müssen einige Parlamente –auch der Deutsche Bundestag – dem Operationsergebnis noch zustimmen. Nicht wenige Bundestagesabgeordnete haben sich dafür schon vorsorglich einige Tage in der nächsten Augustwoche freigehalten, um aus ihren Sommerferien nach Berlin zu kommen. Die Diskussion über das Abstimmungsverhalten der CDU/ CSU-Fraktion läuft bereits heiß, nachdem der Vorsitzende Volker Kauder scharfe Mahnungen an seine “Fraktionsrebellen“ geschickt hatte.
Tsipras drückt aufs Tempo
Die jüngsten Meldungen aus dem Athener Operationssaal klingen dennoch zuversichtlich. Die Regierung Tsipras drückt selbst auf’s Tempo, um die Grexit-Gefahr endgültig zu bannen. Das Land braucht dringend den finanziellen Sanierungsplan und die erneute solidarische Hilfe der Europartner, um aus dem wirtschaftlichen Tief herauszukommen, um sozialen Unruhen zu begegnen, um politische Verwerfungen zu vermeiden und um neue Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Dass dies nur mit einer bislang nie dagewesenen Solidarität der europäischen Partner möglich wird, sollte von allen Griechen begriffen werden, die den Euro behalten und im Haus Europa bleiben wollen. Mit dem Grexit, mit einer neuen Drachme, ohne grundlegende Reformen und ohne – gewiss schmerzvolle – Operation würde es zu einem dramatischen, für viele unerträglichen “Herzstillstand“ und zu einem tiefen Rutsch auf das Balkan-Niveau kommen.
Mit der Rettungsaktion könnte Europa seine Stärke demonstrieren – als Gemeinschaft des Friedens und der Freiheit sowie des solidarischen Miteinanders. Dieses Signal wäre nach innen für die Attraktivität der EU ebenso wie nach außen für die globale Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft von besonderer Bedeutung. Vor allem muss dem dritten Sanierungspaket eine Offensive für mehr Wachstum und Beschäftigung in Griechenland folgen, denn eine ökonomische Erholung könnte die schwierige Finanzoperation wirklich zu einem Erfolg machen.
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