Auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner hat Olaf Scholz eine unangefochtene Meisterschaft entwickelt. Damit hat er der SPD den gesellschaftlichen Reformwillen, der sie in der Vergangenheit zum Herz der deutschen Demokratie gemacht hat, beinahe vollständig ausgetrieben.
Die immer stärkere Individualisierung der Gesellschaft, die sich ebenfalls in neuen Parteigründungen ausdrückt, die diese Partikularinteressen bedienen, zwingt scheinbar die Politik, von großen gesellschaftlichen Notwendigkeiten Abstand zu nehmen. Dies drückt sich in dem fürsorglichen Satz „man muss die Leute mitnehmen“ wunderbar aus. Eine Volkspartei wie die SPD müsste zur Eier legenden Wollmilchsau mutieren, um all die divergierenden Interessen unter einen Hut zu bringen und dabei auch noch Reformbereitschaft zu zeigen.
Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben bewiesen, dass der Verzicht auf gesellschaftliche Visionen das politische Interesse breiter Schichten der Bevölkerung gelähmt hat. Dadurch hat sich der Blick auf das „Jetzt“ und damit den Egoismus der Einzelnen reduziert. So kann die FDP sich auf die Besserverdiener konzentrieren, ohne dabei gesamtstaatliche Verantwortung zu zeigen. Das BSW zeigt sich erfolgreich bei Rechten wie bei Linken in einem Ausmaß, das eine Erkrankung an BSE vermuten lässt. Und die Grünen haben vor lauter Kompromissbereitschaft ihr Kernanliegen vernachlässigt, was ihnen den Absturz beschert hat ( siehe VOLT ). Einzig die Union hat sich nicht gewandelt: Der Blick zurück als Programm ist nach wie vor die Konstante.
Was die SPD einst mit dem Fortschrittsglauben wie „Mehr Demokratie wagen“ oder einer wirklich in die Zukunft gerichteten Sozialpolitik und nicht zuletzt den Ostverträgen gesellschaftlich bewegt hat, ist Geschichte.
Was an Diskussionen aus den Spitzengremien der SPD an die Öffentlichkeit gelangt, erweckt den Anschein von völliger Ideenlosigkeit und verzweifelter Versuche, im politischen Klein-Klein wieder Boden zu gewinnen. Dabei wurde übersehen, dass ein Wahlkampf, der die SPD als Friedenspartei ausweist, mit gleichzeitig umfangreichen Waffenlieferungen an die Ukraine jede Glaubwürdigkeit verliert. Scholz diktiert der SPD zur Zeit den politischen Spielraum. Der Glaube an die Wirkungsmacht des „Möglichen“ und den gleichzeitigen Verzicht auf jegliche Reformvorgaben für die aktuellen Problemlagen ist sein Programm. Scholz kann offenbar nicht begreifen, dass die Menschen hierzulande Erklärungen und Führung bei der Lösung drängender Probleme erwarten. Helmut Schmidt hat vor einigen Jahrzehnten mit dem Ausspruch “ Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ den zeitweiligen Abstieg der SPD eingeleitet. Womöglich ist dies hanseatisch geprägte Denken auch der Leitgedanke bei Olaf Scholz. Davon muss sich die SPD befreien.