Was ist das schon: die AFD erhält in aktuellen Umfragen des Oktobers bundesweit um die 17%. Eigentlich vernachlässigbar, wenn alle anderen Stimmen auf glaubwürdige Demokraten entfallen?
In Österreich erhielt die AFD-Schwester FPÖ 2019 knapp 17%, nachdem sie mit der ÖVP in der Regierung saß. In der Opposition hat sie sich dann noch weiter nach rechts orientiert Richtung Ungarns Orbán mit Zielen wie Remigration und „Festung Österreich“ sowie einer Neutralitätsbetonung, die wohl bewusst eher Russland als der Ukraine nützt. Nun hat sie am 29. September 2024 mit 29% Platz 1 erreicht – letztlich dank eines 15%-Vorsprungs auf die ÖVP in Kärnten. Der derzeitige Volkspartei-Kanzler Nehammer mit seinen 26% (der ÖVP-Verlust ist fast identisch mit dem FPÖ-Gewinn!) hat sie als Koalitionspartner nicht ausgeschlossen, wenn sie ihren Führer Kickl raus kickt; mal sehen, wer da wen raus kickt, und ob sich in Wien Weimar wiederholt.
Interessant ist die Parallelität zu den letzten drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg; dort haben insgesamt 5 Mio. Wähler bei 74% Wahlbeteiligung sehr ähnlich gewählt: AFD 31% (FPÖ 29%), CDU 24% (ÖVP 26%); Grüne 4,4% (in Österreich 8%); während die SPÖ mit 21% abgeschlossen hat, kam die SPD nur auf 14% – allerdings (ohne eine Addition zu wagen) bei 13% BSW. Während man in Deutschland rätselt, ob tatsächlich die Migrationsfragen entscheidend für AFD-Siege sind, scheint das in Österreich wenig zweifelhaft. Es dürfte weder Herrn Höcke noch Herrn Kickl stören, wenn ich sie vergleiche: dabei steht Kickl dem NAZI-Erbe noch näher als Höcke, der die Sagbarkeitsgrenze noch nicht ganz so weit hat verschieben können, aber daran arbeitet.
Auch die NSDAP erhielt bei den Reichstagswahlen 1930 nur 18%, mehr hatte
nur die SPD mit 24,5%. Das änderte sich schnell: Ende Juli 1932 erhielten die Nazis schon 37%, und in der November-Wahl 1932 ging der Nazi-Anteil zwar auf 33% zurück, aber das reichte für die Kanzlerschaft Hitlers dank dem der aus dem Zentrum stammenden Kurzzeitkanzler von Papen, der meinte als Vizekanzler die Kontrolle zu haben und irrte. Hitler ist nicht der einzige geblieben, der seine absolute Mehrheit dann selber herstellte: er entzog Oppositionellen einfach ihre Mandate – Erdogan machte das ganz ähnlich mit der HDP und Kaczynski mit den Gerichten, und Meloni und Fico bauen auch gerade am Umbau Italiens und der Slowakei nach den Vorbildern in PIS-Polen, Ungarn oder der Türkei.
Der italienischen LEGA, einer scharf rechten bis faschistoiden AFD-artigen Partei, reichten einst 17%, um die Macht in Italien zu erobern. Wie? Die chaotische, dumm-dreiste Partei der 5 Sterne half mit ihren 33% Matteo Salvini in den Sattel, einem Möchtegern-Autokraten, dessen Trump-artiges Auftreten den Italienern imponierte und ihm zwischenzeitlich ebenfalls über 30% Zustimmung bescherte. Und dann? Dann wurde Salvini selbst zum Sattelhelfer für die Enkel Mussolinis, die faschistischen Brüder Italiens mit ihrer Chefin Giorgia Meloni. So ermöglichten letztlich die 17 Lega-Prozente den Umbau der italienischen Demokratie, den Frau Meloni mit großem Geschick betreibt, während die Lega des polternden Machos Salvini drastisch schrumpft. Es ist wie in den östlichen Bundesländern: die SED-Erben haben der Bevölkerung ein Opferbewusstsein eingeredet, das heute der AFD hilft, während die Linke wie die Lega versinkt.
Gut 17% (jedenfalls der Wahlberechtigten!) reichten auch der polnischen PIS für ihre Machtergreifung und den Umbau des Staates in Richtung einer faschistoiden, katholisch-konservativ-nationalistischen Autokratie. Hier reichten die wenigen Stimmen wegen der geringen Wahlbeteiligung und einem Wahlkreis- und Zählsystem, das städtisch-bürgerliche Stimmen geringer bewertet.
An zahllosen Beispiele lässt sich erkennen, wie populistische Parteien, die z.B. fast unschuldig gegen die EURO-Einführung gegründet wurden, schrittweise in die Hände immer radikalerer Gruppen gerieten. Populismus ist in der Regel ein Schleppnetz für Unzufriedene und sektiererische Außenseiter aller Art; da so keine konsistente Programmatik möglich ist, ersetzt die Führungsspitze immer konsequenter das beliebige Programm großer Versprechungen; Kompetenz wird dadurch simuliert, dass man die bekannten Probleme einfach nur drastisch und übersteigert schildert u besten Falls unrealistisch kraftstrotzenden Lösungswillen anbietet. Das heißt, dass zunächst im inneren der Partei eine autoritäre Führungsstruktur realisiert wird. Es ist dann ein Selbstläufer, dieser Führung auch die Staatsmacht zu übertragen, wenn man mal erfolgreich genug ist. Wenn die Unterstützer einmal ihre politische Identität an eine solche Partei gebunden haben, vielleicht mit Trotz oder gar Stolz ihre Eigenständigkeit gegenüber dem „System“ feiern, bemerken sie wohl gar nicht mehr, wie sich der Charakter ihrer Partei verschiebt. Insbesondere glauben wohl viele nicht – oder sie verdrängen es -, was die Parteiführung mit der einmal errungenen Macht anstellen wird. So hat die PIS in Polen vor ihrem ersten Wahlsieg nicht gesagt, welchen Umbau der demokratischen Ordnung sie plante. Auch Höcke und Kickl verbergen hinter Deutschtümelei, Migrationsstopp und Remigration das Regierungs- und Staatsmodell, mit dem sie als „Volkskanzler“ herrschen wollen.
Wie in Ungarn und USA bestehen die Instrumente faschistoider Rechtsparteien darin, zuerst die seriösen Medien durch Beschimpfungen und Diffamierung als Lügenpresse unglaubwürdig zu machen, ja Hass zu schüren auf Journalisten, Andersdenkende und Ausländer. Zu beobachten ist auch der Versuch, reiche Autokraten-Freunde zum Aufkauf kritischer Medien zu bewegen, was Trump trotz Freund Elon Musk noch nicht so gut gelungen ist wie Erdogan und Orbán. Schließlich werden auch Gerichte und Richter beschimpft und diffamiert, bis man sie einfach entlässt wie in Polen unter PIS, um gefügige Parteigänger einzusetzen. Ist die Unabhängigkeit wettbewerblich freier Medien auf ein Minimum reduziert wie auch in Russland, ist das Rechtswesen der Regierung unterstellt wie in PIS-Polen offiziell, in Russland und Türkei inoffiziell aber effektiv, dann steht der Alleinherrschaft nichts mehr im Wege. Dass die polnischen Wähler 2023 gerade noch die demokratische Kurve gekriegt haben, beruhigt nicht, weil sich die PIS bis heute nicht entscheidend geändert hat. In nächster Zeit wird es interessant sein, die Entwicklung in Italien und der Slowakei zu beobachten.
Haben faschistoide Parteien die Demokratie bis zur Unkenntlichkeit gerupft, bleiben drei Strategien zur Vollendung (bei Putin zu besichtigen):
- die Regierung präsentiert sich als Vollstrecker des reinen, homogenen „gesunden“ Volkswillens
- Opposition wird als Verrat am Volk geächtet
- Ausland und Ausländer sind grundsätzlich Feinde (Ausnahme: befreundete Autokraten).
Zurück zu AFD und Deutschland: es muss um alles in der Welt verhindert werden, dass eine demokratische Partei die AFD in eine Regierung hievt. Weder Frau Weidel noch Herr Chrupalla sind Hitler-Typen, und Höcke ist eher der Göbbels der Partei; der tatsächlich skrupellose Führertyp steht noch verdeckt in Wartestellung. Ich schließe nicht aus, dass es sich um jemanden handelt, der schon im Hintergrund mit Unterstützung von Höcke und anderen Granden des identitären Rechtsradikalismus lauert. Und man schätze Regierungsbeteiligungen in den Ländern nicht als geringfügig ein: ich möchte nicht, dass die Jugend in Thüringen mit Geschichtsbüchern unterrichtet wird, die Höckes Segen haben, öffentlich-rechtliche Sender Höckes Welt- und Menschenbild verbreiten und Gerichte nach dessen Rechtempfinden urteilen.
Was einem Demokraten ein wenig Zuversicht gibt, ist die Tatsache, dass weder AFD noch FPÖ (2019 war ein Zwischentief) zwischen 2018 und heute stärker geworden sind, auch wenn Frau Wagenknecht erfolgreich im selben Teich fischt, wo die Unzufriedenen, Klima- und Coronaleugner sowie putinblinde Russlandfreunde herumschwimmen mit so störend lautem Blupp-Blupp, dass das Wasser schäumt.
Ermutigend ist auch, dass die Polen vielleicht gerade noch die Freiheit hatten und nutzten, eine demokratische Mehrheit ins Parlament zu schicken; ob das auch Ungarn, Italienern und Slowaken noch einmal gelingt?
(Ein Essay gleichen Titels und Themas hat der Autor 2018 auf www.politikessays.de/Politik veröffentlicht, wo es nachgelesen werden kann).
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