„Nun sag, wie hältst Du´s mit der AfD?“ Ganz Deutschland stellt sich die Gretchenfrage, wie die arrivierten Parteien mit dem Newcomer aus der rechten Ecke umgehen sollen und wie weitere Erfolge wie zuletzt bei zwei Kommunalwahlen in Thüringen und Sachsen-Anhalt verhindert werden können. Verbale Empörung, harte Kritik, Ablehnung und Abgrenzungsbeschlüsse sind die Regel. Das verbreitet zwar ein demokratisches Wohlfühlgefühl. Es reicht aber nicht aus, um die Umfragezuwächse der betont rechten und nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in Teilen rechtsextremistischen Partei zu stoppen – geschweige denn zu reduzieren.
In ihrer Unfähigkeit den richtigen Kurs gegen die AfD zu fahren und einem großen Maß an Unverständnis für die Motivlage der potenziellen Wähler der Rechtsaußen-Partei, zeigen die Politiker der Ampel anklagend auf CDU und CSU und die der Union auf Rot, Grün und Gelb wegen ihrer mehr als mäßigen Performance – wie man neudeutsch so treffend sagt. Ausgenommen der Kanzler (?), denn der performt gar nicht. Gäbe es den Titel des Hitchcock-Films „Der unsichtbare Dritte“ nicht schon, müsste man ihn für Olaf Scholz erfinden.
Jeder zeigt auf jeden- keiner will es gewesen sein und schuld am „aufhaltsamen Aufstieg“ der AfD (s. Bert Brecht!) haben. Doch nützen diese gegenseitigen Vorwürfe niemandem und schon gar nicht gegen eine Partei, die in großen Teilen auf einem extrem rechten Kurs durch die Bundespolitik navigiert. Die drei von der Zankstelle, SPD, Grüne und die FDP, verbuchen aktuell das denkwürdige Umfrageergebnis, dass die Deutschen ihnen im Vergleich zu früheren Koalitionen die niedrigste Zustimmung zu ihrer Regierungsarbeit und die höchste Unzufriedenheitsrate zumessen. Dort liegt eine der Quellen für den Erfolg der AfD.
Eine andere Quelle hat etwas mit Politikverdrossenheit der Bürger zu tun, vor allem mit dem aktuellen Ärger über die Regierenden. Auch die Sehnsucht nach dem berühmten „starken Mann“, der mal auf den Tisch haut und das Gezerre um politische Lösungen beendet, sowie die Sehnsucht nach einfachen Antworten in einer immer komplizierteren Welt speisen den Trend zugunsten der AfD. Auch die Spätfolgen der Corona-Pandemie, in deren Verlauf die Menschen immer mehr das Gefühl hatten, vom Staat gegängelt und ihrer Freiheit beschränkt zu werden, gehören dazu.
Die Menschen wollen ihr altes Leben, ihre Freiheiten und vor allem ein ruhiges Leben wieder haben. Vor allem die Klimapolitik der Bundesregierung wird als Angriff auf die Privatheit begriffen. Der Staat schreibt vor, wer wann wie heizen muss. Was die Bürgerinnen und Bürger ökologisch gesehen tun und lassen müssen usw. usw. Der junge Erich Kästner schrieb in einem Beitrag für die „Neue Leipziger Zeitung“ in der 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts über den Versuch des Staates einen Film zu zensieren mit dem Satz: Das „entschuldigt in keiner Weise das eben nur verhinderte Streben bestimmter Parteien, den Staat zum Vormundschaftsgericht seiner unmündigen Bürger zu machen“.
Am Abend der Landratswahl in Sonneberg war es fast so, als könne man bundesweit den triumphalen Ausruf der 14.992 Wählerinnen und Wähler des rechten Bewerbers vernehmen: „Yessss! Denen haben wir es gezeigt!“ Dabei passt es ins Bild der medialen Aufregungskultur, dass im Fall Sonneberg nur knapp 0,002 Prozent aller Deutschen mit ihrem Stimmzettel einen riesigen Medien-Rummel und aufgeregte Diskussionen auslösen konnten. Das ist ein Lehrstück darüber, wie sich die Medienwelt verändert hat. Schlagzeilen machen nur noch diejenigen, die laut und kantig die Regierungspolitik ablehnen. Je schärfer desto mehr mediale Wahrnehmung. Deshalb sollten auch die Medien sich fragen, welchen Beitrag sie zum Höhenflug der AfD leisten.
Die weitaus meisten der aktuellen AfD-Wähler haben früher SPD, CDU oder die Linke gewählt. Sie sind keine Stammwähler und sicherlich keine in der Wolle gefärbten Rechtsextremen. Das Gezänk der Ampelkoalitionäre, ihre Bevormundungspolitik und die Unfähigkeit von CDU und CSU ein klares Gegenkonzept zum Ampelkurs vorzulegen haben sie in die rechte Ecke geleitet. In den frühen Jahren der Bundesrepublik funktionierte ein einfacher Automatismus. Die Unzufriedenen sammelten sich bis auf wenige Wählerinnen und Wähler im Lager der großen parlamentarischen Opposition. Der Automatismus sorgte dafür, dass die Zustimmung zur Opposition stieg und die radikalen Parteien trotzdem im kleineren einstelligen Stimmenbereich blieben. Das ist in der heutigen stärker aufgeteilten Parteienlandschaft sehr viel schwieriger geworden. CDU und CSU müssen sich ernsthaft die Frage stellen, wie sie mit ihren Gegenvorschlägen zu den Projekten der Bundesregierung besser über die Rampe kommen. Ich erinnere mich an Wahlkämpfe der Union aus den 70er Jahren. Sie spitzten den Streit um den richtigen politischen Weg in dem Slogan „Freiheit oder Sozialismus“ zu. Auch jetzt konkurrieren die Parteien wieder um den richtigen Weg in die Zukunft. SPD, Grüne und FDP verfolgen mit ihrer Politik der Zwangsbeglückung ein Modell des Staates als „Gouvernante seiner Bürger“, wie vor hundert Jahren Erich Kästner schrieb. CDU und CSU sollten dagegen demonstrativ ihr freiheitliches, liberales Staatsverständnis herauskehren.