Lange haben sie gebraucht in München, bis sie sich aufrafften, ein Zentrum zu errichten, das an die schlimme, die braune Vergangenheit dieser schönen Stadt erinnert. Fast schien es so, als wollte man in der bayerischen Metropole nichts mehr hören noch sehen von der Nazi-Zeit und den Spuren, die sie hinterlassen hat, eine Zeit, in der sich München den wenig ruhmreichen Titel „Hauptstadt der Bewegung“ erwarb. Heute, knapp ein Jahr nach Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums, ist dies kein Thema mehr. Besucherströme, die in dieser Größenordnung nie erwartet worden waren, haben jenen Recht gegeben, die in ihrem Drang nie nachgegeben haben, ein solches Haus errichten zu lassen und sie haben die Notwendigkeit unterstrichen, dass ein solches Zentrum genau dort gebaut werden musste, wo es heute steht: Am feinen Königsplatz, dort wo einst das braune Haus seinen Platz hatte, die Parteizentrale der Nazis. Bis jetzt haben 220000 Menschen das Zentrum besichtigt, die Schätzungen beliefen sich einst auf gerade mal 150000.
Das Interesse sei riesig, schildert die Pressereferentin, Dr. Kirstin Frieden. „Das Zentrum mit seinen Inhalten ist ein enormer Erfolg“. Noch haben sie keine Erhebung über die Altersstruktur der Besucherinnen und Besucher gemacht, aber so viel wissen sie heute schon: Allein 400 Schulklassen haben sich das Haus angeschaut und die Bilder und Texte verfolgt, die die Spuren der Nationalsozialisten in München aufzeigen. Es sind eher Schülerinnen und Schüler der mittleren bis oberen Klassen, die gerade diese Zeit im Unterricht behandelt haben oder behandeln. Natürlich besuchen auch Ältere das Zentrum, die diese Zeit nur aus Büchern und Erzählungen kennen. Es ist halt lange her.
Tausende von Zwangsarbeitern
Die Dauerausstellung „München und der Nationalsozialismus“ behandelt entlang von 33 Leitbildern über vier Etagen die Entstehungs- und Aufstiegsperiode der NSDAP, beginnend mit dem Ersten Weltkrieg, der Novemberrevolution 1918 und der Machtergreifung Hitlers 1933, wobei die besondere Rolle Münchens im Mittelpunkt steht. Mitmachen und Ausgrenzen, die Sache mit der Volksgemeinschaft, der Alltag der Münchner, die beginnende Diskriminierung von Juden, der Weg in den Krieg und die Vernichtung, sind die weiteren Stationen der Ausstellung. Es folgen die Verbrechen von Münchnern sowie die Auswirkungen des Vernichtungskriegs in den Kriegsgebieten wie in der bayerischen Metropole. Man darf nicht vergessen, dass München ein Zentrum der Rüstungsindustrie war,
Tausende und Abertausende von Zwangsarbeitern wurden Tag für Tag durch die Stadt geführt- vor den Augen der Bevölkerung, die mehr gewusst haben muss, als sie später einräumte. Der Widerstand gegen die Nazis war gering, man denke an die Geschwister Scholl, aber es gab ihn auch in München. Den Zusammenbruch und die Zeit nach 1945, ja auch das Wiederaufleben des Nationalsozialismus bis in die heutigen Tage, darüber liest der Besucher und sieht die dazu passenden Bilder am Ende der Ausstellung, wobei er erfährt, dass die NS-Geschichte nicht abgeschlossen ist und auch heute noch Ausprägungen dieser üblen Ideologie in Deutschland zu finden sind.
Auch München-Reisende haben das NS-Dokumentationszentrum längst als Teil ihrer Stadt-Tour entdeckt und schauen sich die Hintergründe an, die zum Erfolg der Nazis auch und gerade in München beitrugen. Die Frage, warum ausgerechnet München zur Quelle der Nazis wurde, warum ausgerechnet die Schlägertrupps der SA zum Beispiel in München sich breit machen konnten, warum ein Prolet wie Adolf Hitler hier gesellschaftsfähig gemacht werden konnte, warum die feine Gesellschaft Sympathie mit den braunen Horden erwarb, beschäftigt viele Besucher.
Kurt Landauer landete im KZ Dachau
Natürlich wollen auch mehr und mehr Münchner die Seiten ihrer dunklen Vergangenheit kennenlernen. Hier im Zentrum hat er Gelegenheit dazu. Der Fußball- und FC-Bayern-Fan entdeckt, wenn er es noch nicht gewusst haben sollte, dass einer ihre wichtigen Präsidenten, Kurt Landauer, ein Deutscher jüdischen Glaubens, von den Nazis entrechtet, enteignet und im ersten KZ überhaupt, in Dachau, misshandelt wurde. Unter der Präsidentschaft Landauers gewannen die Bayern ihre erste deutsche Fußballmeisterschaft, der Rekordmeister hat sich der Geschichte dieses Mannes vor ein paar Jahren angenommen. Übrigens: Als Landauer in seine völlig zerstörte Heimat zurückkehrte, zeigte im Land der Mörder kaum jemand Reue. Aber so war das in weiten Teilen Deutschlands, man wollte es nicht wissen, was passiert war, man kümmerte sich um den Wiederaufbau, um einen Job, um etwas zu essen, Frauen warteten auf ihre Männer, die vermisst oder in Kriegsgefangenschaft waren.
Im Gästebuch, so Kirstin Frieden, fänden sich fast nur zustimmende Worte. Die meisten seien froh, dass es dieses Zentrum endlich gebe und sie seien auch sehr damit einverstanden, dass es sich am Königsplatz befindet. Dieser Zuspruch gelte den Inhalten der Dauerausstellung, die Besucher erwarteten kein Tabu in diesem Haus, auch eigentlich schockierende Themen wie die Euthanasie stießen auf reges Interesse. Man will wissen, was hier mal war, wer dabei war. Wie alles geschah. Hier erfährt man mehr dazu. Und dass das NS-Dokumentationszentrum architektonisch anders angelegt ist als die sonstige Umgebung, dass es bewusst als ein Kontrapunkt entworfen und gebaut wurde, eben nicht im mehr klassizistischen Stil, sondern als weißer Kubus im Bauhausstil, hat die Anerkennung der Besucher wie der Münchner Bevölkerung gefunden.
Dass diese Stadt der Kunst zu einem Hort der Reaktion verkam, wie es Thomas Mann einst beklagte und drum wohl München „die eigentlich dumme Stadt“ nannte, das ist Geschichte wie die Zeit der Verdrängung Geschichte ist. An der Stelle, wo die Brutstätte für den Nazi-Terror war, nämlich das braune Haus, steht heute das weiße Haus. Es zu besuchen lohnt sich, auch wenn ein solcher Besuch den Besucher nachdenklich macht.
Bildquelle: Wikimedia, Guido Radig (Own work), CC BY 3.0
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