Am kommenden Samstag wird die SPD- Nordrhein-Westfalens einen neuen Landesvorstand sowie einen neuen Landesvorsitzenden wählen – digital und ohne Parteitagsatmosphäre. Fast wie Trockenschwimmen. Die Landesorganisation ist Ende 2020 unter die Zahl von 100 000 Mitgliedern gerutscht. Dennoch sind deren Einfluss auf die Bundespartei und das Stimmwähler-Gewicht Nordrhein-Westfalens im Bund immer noch riesig. Kriegt die NRW –SPD die Lampen nicht hell genug an, wird es für andere Landesverbände der SPD zappen-duster. Der Landesvorsitzende hat also Gewicht und Verantwortung.
Als Vorsitzender will der jetzige Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty, kandidieren. Er ist Jurist. Er war Landesjustizminister zwischen 2010 und der Abwahl der SPD 2017.
Vielen – nicht nur in der SPD – ist nicht klar, ob Kutschaty eher Chance oder Hypothek für die SPD ist. Ausweislich seiner langen Verantwortung im Essener Lokalverband der SPD ist er keine Integrationsfigur. Er hat als Justizminister keine bleibenden Spuren hinterlassen. Kölnerinnen spricht man besser nicht auf ihn an, denn sein tagelanges Wegtauchen nach der Silvesternacht 2015, als aberhunderte Frauen sexueller Gewalt ausgesetzt waren, ist nicht vergessen.
Kutschaty favorisiert für den Landesverband NRW, also für eine Organisation, die sich deutlich diversifiziert, ein extrem zentralistisches Konzept. Heute bereits überwiegt im Landesverband die Landtagsfraktion mit der Generalsekretärin und dem Schatzmeister als Mitgliedern. Künftig sollen Fraktion und Landesverband von einer Person geführt werden; eine Organisationsrealität, die auf eine Regierungspartei sicher passt, aber nicht auf eine Opposition. Opposition sollte den politischen Kontrahenten zwingen, sich mit verschiedenen Persönlichkeiten auseinander zu setzen, so dass die Schwerpunkte in Auseinandersetzungen differieren. Die SPD ist, so wie sie sich heute darstellt, keine Veranstaltung für „Einhandsegler“.
Manches ist erstaunlich, was Thomas Kutschaty von sich gibt. „In der SPD darf jeder und jede seine Meinung äußern“, sagte er den Zeitungen der Gruppe der Rheinischen Post am Mittwoch (Titelzeile: „Vielen Menschen droht Armut“). Nichts kann oder soll, sondern darf. Schön das zu wissen.
Er erklärte auch, was Demokratie sei: „Wenn sich verschiedene Kandidaten um Spitzenpositionen bewerben, nennt man das Demokratie.“ So gesehen war ein Thing der Germanenstämme auch Demokratie. Kutschaty hat sich während der vergangenen Monate eine keineswegs faire Kontroverse mit dem bisherigen Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann geliefert. Hartmann gab auf. Am Samstag wird der Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, elektronisch zu den Delegierten des Digital- Parteitags sprechen. Scholz tritt für Respekt im Gegen- und Miteinander ein. Mal schauen, ob seine Lektion wirkt.
Bildquelle: Pressefoto NRWSPD