Es war die schlimmste Wahlniederlage der SPD in NRW nach dem Krieg und dennoch verhält sich die Partei erstaunlich ruhig und gefasst. Der eine oder andere Juso muckt zwar auf und möchte die Suche nach dem oder den Schuldigen der Pleite eröffnen, eine offene Diskussion findet aber bisher nicht statt. Hannelore Kraft, die amtierende Ministerpräsidentin, hatte ja alle Verantwortung auf sich genommen und war von den Spitzenämtern der SPD im Land und im Bund mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Wars das also mit der Wahl-Abrechnung?
Jedenfalls scheint kein Genosse in Sicht, der sich mit Hannelore Kraft anlegen würde. Gründe dafür gebe es einige. Sie hat einen auf sich bezogenen und fokussierten Wahlkampf an Rhein, Ruhr und Lippe zu verantworten. Sie hat den mehr als umstrittenen Innenminister Ralf Jäger im Amt belassen, obwohl er die politische Verantwortung für einen der größten Skandale zu übernehmen hatte: den Silvesterabend auf der Kölner Domplatte, wo Tausende und Abertausende Frauen von Männern vornehmlich aus Nordafrika bedrängt, begrapscht, beleidigt, ja auch einige vergewaltigt wurden. Ein übles Schauspiel, dem ein Untersuchungsausschuss folgte. Und der lieferte Schlagzeilen bis zur Wahl. Immer in die eine Wunde: Jäger wurde zum Gejagten. Und zur Belastung der SPD-geführten-Landesregierung. Die CDU machte ihn zum Sicherheitsrisiko, weil mit Jäger auch das Thema innere Sicherheit und Einbruchsrekorde an Rhein und Ruhr verbunden waren. Der Innenminister konnte machen, was er wollte, er war längst zum Gewinner-Thema der Union geworden. Wo man auch hinhörte, Jäger war unten durch. Aber Hannelore Kraft hielt an ihm fest.
Jäger und die Sicherheit
Und das sollte sich für die SPD rächen. Die CDU stellte die innere Sicherheit und Jäger ins Zentrum ihres Wahlkampfs, schürte Ängste beim ohnehin wegen des Flüchtlingsthemas verunsicherten Publikum und sie hatte das, was sie wollte: gerade auch im Ruhrgebiet, der Herzkammer der SPD, gelang der Einbruch ins sozialdemokratische Mark. Beinahe täglich wurden Einbrüche von irgendwelchen Banden von woher auch immer gemeldet, Festnahmen so gut wie keine. Das Thema war auch längst vorgerückt in die Talkshows und erzielte die gewünschte Wirkung. Die SPD war in einer Verteidigerrolle, aus der sie nicht mehr herauskam. Erklärungen helfen wenig, wenn Zahlen der Polizei belegen, dass Einbrüche an der Tagesordnung sind.
Es kam aber noch schlimmer. Als der Terrorist Anis Amri auf einem Berliner Weihnachtsmarkt mit einem zuvor geklauten LKW Menschen zu Tode fuhr, geriet Jäger erneut ins Schussfeld der Kritik. Schließlich war Amri in NRW gewesen, schon allein wegen seiner Drogenvergehen und seiner vielen Pässe hätte der Mann in Gewahrsam genommen werden können, zumal er als Gefährder eingestuft worden war. Amri wurde schließlich in Italien von Sicherheitskräften erschossen. Die Debatte lief heiß und wieder gegen Jäger, dessen Erklärungen, man habe im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten gehandelt und alles ausgereizt, aber ins Leere liefen. Kaum einer glaubte ihm.
Das Land schlecht reden
Mochte die regierende SPD mit Kraft und Jäger noch überzeugt gewesen sein, die Opposition werde mit der Methode, das Land schlecht zu reden, nicht durchkommen, so wurde sie mit weiteren negativen Meldungen über die Qualität des Landes bald eines Besseren belehrt. Der alltägliche Stau von Hundert und mehr Kilometern, jeden Morgen im Rundfunk zu hören und täglich von Millionen Autofahrern zu erleiden, schürte die Stimmung gegen die rot-grüne Regierung in Düsseldorf weiter. Verkehrsminister Groschek versuchte aus dem Stau-Dilemma das größte Investitionsprogramm aller Zeiten in NRW zu machen, um es positiv für sich und die Regierung zu wenden, es half nicht. Vielmehr passte diese Debatte in die Schlußlicht-Kampagne der CDU.
Weiteres kam hinzu, wie die nicht endenwollende Schuldebatte. Dass das Ressort von der Grünen-Politikerin Löhrmann geleitet wurde, kann hier als Randaspekt eingestuft werden. Denn die Kritik traf auch hier die SPD und die Regierungschefin. Sie hätte, so hörte ich mehrfach, eingreifen müssen. Hätte, hätte, Fahrradkette..?
Der neue SPD-Chef in NRW, Michael Groschek meint, die SPD sei mit ihrer Erfolgsgeschichte gegen eine Stimmungs-Kampagne nicht durchgedrungen. Wenn er sich da mal nicht täuscht! Die CDU habe nur auf Stimmungen und nicht auf Fakten gesetzt und damit gewonnen. Na ja, das kann man auch anders sehen. Die CDU hat die negative Bilanz der Regierung der Ministerpräsidentin wie einen Spiegel vorgehalten, immer und immer wieder diese negativen Zahlen der Öffentlichkeit präsentiert. Und irgendwann war die Schlusslicht-Debatte das Tagesgespräch des Landes, es klebte an der SPD wie Pech.
Fehler suchen, nicht Schuldige
Die SPD werde sich auf die Fehlersuche begeben, hat er in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ angekündigt. Man suche die Fehler, nicht die Schuldigen. Das ehrt ihn, weil er damit die Debatte wegführen will von seiner Regierungschefin auf Abruf. Sie hat ja auch die Verantwortung übernommen und ist gegangen. Damit ist alles gesagt. Oder? Sie hat darauf gedrungen, dass der Kanzlerkandidat Martin Schulz nicht so in den NRW-Wahlkampf eingriff, wie der das vorhatte. Das mag gut gemeint gewesen sein, gut war es aber nicht, weil dadurch eine unnötige Diskussion über die Rolle des Bundesvorsitzenden der SPD geführt wurde und darüber, ob es nützlich sei, diesen aus einem Wahlkampf bewusst herauszuhalten.
Die SPD wird ein Weiteres tun müssen. Sie wird die Fehler aufzuarbeiten haben, die schon während des letzten Kommunalwahlkampfes deutlich wurden, als man mit Köln die größte Stadt im Land verlor und dazu noch die Mehrheit in Essen und Oberhausen. Innerparteiliche Kämpfe waren hier mit ausschlaggebend für den Wahlsieg der CDU. Das Problem AfD kommt hinzu. Gerade in Arbeitervierteln des Ruhrgebiets hat die rechtspopulistische Partei viele Protestwähler auf sich ziehen können und damit weg von der SPD. Der Fall Reil ist nur einer von vielen, den man offensichtlich nicht ernst genommen hat.
Groschek muss die Partei neu aufstellen. Das sagt sich leicht, zumal in wenigen Monaten der nächste Wahlkampf ansteht, da geht es um die Macht in Berlin. Und die SPD ist auch seit NRW ins Hintertreffen geraten. „Mehr Emotion wagen“ heißt der Titel des SPD-Interviews in der SZ, in dem der Parteichef auf Zeit an Willy Brandt erinnert. Aber einen solchen gibt es nicht in der SPD.