Über 110 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht – so viele Menschen wie in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Tschechien leben. Eine unvorstellbare Zahl. Die Zahlen sind verheerend, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. „Es ist ein Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt“. Es gebe immer mehr Krisen, aber kaum Lösungen.
Menschen verlassen ihre Heimat aus ganz unterschiedlichen Gründen. An erster Stelle stehen Krieg, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung.
Dürre verschärft Hunger und Konflikte
Aber durch die Auswirkungen der Klimakrise kommen Naturkatastrophen und die Zerstörung der Umwelt hinzu. Ihnen folgen mitunter Gewalt, Vertreibung und Flucht, denn der Kampf um begrenzte Ressourcen und Lebensräume steigt. Die Region am Horn von Afrika wird weiterhin von der längsten und schwersten Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen heimgesucht. Seit vier Jahren warten die Menschen auf Regen. Die Trockenheit bedroht Leben und Existenzgrundlagen von Millionen Menschen, darunter viele Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Es kommt zu gravierenden Ernteausfällen sowie Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln. Durch die anhaltende Dürre wird es für die Menschen schwieriger, Getreide anzubauen oder Futter für ihr Vieh zu finden. Angesichts der hohen Lebensmittelpreise verschlimmert sich die Ernährungssituation der Menschen weiter. Die dramatische Ernährungsunsicherheit in den betroffenen Gebieten wird voraussichtlich anhalten, denn auch die kommende Regenzeit wird voraussichtlich ausbleiben.
Sudan, Jordanien und die Ukraine
Durch immer neue Konflikte, gepaart mit der Situation für Flüchtlinge in den sogenannten „vergessenen Krisenländern“ wächst die Zahl der Flüchtlinge von Jahr zu Jahr. So sind im Sudan seit dem Ausbruch des Krieges zwischen der Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces Mitte April 2023 rund 350.000 Menschen über die Grenzen geflohen. Überwiegend nach Ägypten, in den Tschad und den Südsudan. Mehr als 843.000 Menschen wurden sogenannte Binnenvertriebene, weil sie innerhalb des Sudans Schutz gesucht haben. In Jordanien hat mehr als 660.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Der Großteil der Flüchtlinge lebt in Städten, fast die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. In der Ukraine sind seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 etwa ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung zur Flucht gezwungen. Rund 5,3 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht und fast 8,3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer leben inzwischen als Flüchtlinge in europäischen Staaten. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am 6.Juni, hat der UNHCR in den ersten 24 Stunden Nothilfegüter für über 2.000 Personen, die von den Überschwemmungen betroffen sind, verteilt. In Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Organisationen koordiniert der UNHCR weiteren Bedarf und konkrete Hilfe vor Ort.
Hat Europa eine Antwort?
Neben der wichtigen Hilfe und Unterstützung aus den Mitgliedsstaaten der EU, beispielsweise als Geber für den UNHCR oder während der Fluchtbewegungen aus der Ukraine, haben die EU-Innenminister*innen nun einen Vorschlag unterbreitet, der erstmals alle EU-Mitgliedsstaaten einbeziehen soll. So ist vorgesehen, dass bereits an den EU-Außengrenzen das Asylverfahren in Camps unter haftähnlichen Bedingungen durchgeführt werden soll. Ein Verfahren, das von Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, aber auch in anderen EU-Mitgliedstatten scharf kritisiert wird. Der UNHCR verweist mit Recht darauf, dass Schutzsuchenden in Europa uneingeschränkter Zugang und ein faires Asylverfahren zu gewährleisten ist. Schutz vor völkerrechtlich illegalen Zurückweisungen müssen ebenso sichergestellt sein, wie auch eine faire Lastenverteilung innerhalb Europas. Filipp Grandi ist aber auch klar, „dass Asylsuchende nicht in Gefängnisse gesteckt werden sollen. Asyl beantragen ist keine Straftat.“ Jetzt müssen das EU-Parlament, die EU-Kommission und Ministerrat gemeinsam Lösungen finden, die unter dem Strich Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik bedeuten und auch für Europa der Mitmenschlichkeit stehen.
Grenzen sind die Visitenkarten der Staaten und der Werte, die sie vertreten sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus – und das gilt auch für unseren Kontinent. Das jüngste Unglück im Mittelmeer ist als Visitenkarte Europas und seiner Werte unwürdig.
Mehr Informationen unter www.uno-fluechtlingshilfe.de
Zum Autor: Peter Ruhenstroth-Bauer ist der Nationale Direktor der UNO-Flüchtlingshilfe.
Bildquelle: UNO-Flüchtlingshilfe