In der aktuellen Berichterstattung sowie in den gesellschaftlichen und politischen Debatten über die große Anzahl von Flüchtlingen, die tagtäglich nach Europa oder Deutschland kommen, werden meines Erachtens die Fluchtursachen, d.h. die Gründe, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen und sich auf den weiten, oft gefährlichen Weg machen, kaum angesprochen. Stellt man sich jedoch dieser Frage, dann wird sehr schnell klar, dass das, was wir zur Zeit an Migration erleben, zum einen von Experten schon seit Jahren vorhergesagt wurde und zum anderen nicht von kurzer Dauer ist, sondern die Weltgemeinschaft noch über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen wird.
Weltweit sind nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) 2015 rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) gibt es neben Millionen von Binnenflüchtlingen, die sich im eigenen Land auf der Flucht befinden,
- ca. 10 Millionen Kriegsflüchtlinge, die vor Gewalt und Leid von kriegerischen Auseinandersetzungen fliehen (im Übrigen die einzige national und international nach der Genfer Konvention über den Status von Flüchtlingen von 1951 völkerrechtlich anerkannte Gruppe von Flüchtlingen),
- mehr als 50 Millionen „Umweltflüchtlinge“ (Stand: 2010), andere nennen sie auch „Klimaflüchtlinge“ oder „Wasserflüchtlinge“; unabhängig von der Nomenklatur sind es Menschen, die wegen der Zerstörung oder Schädigung ihrer natürlichen Lebensgrundlage durch ökologische oder wirtschaftliche Ursachen auf der Flucht sind, um zu überleben.
Mehr Umwelt- als Kriegsflüchtlinge
Damit ist schon heute die Zahl der Umweltflüchtlinge deutlich größer als die Zahl der Kriegsflüchtlinge, und diese Zahl dürfte sich durch die menschengemachte Klimaerwärmung in Zukunft noch deutlich erhöhen. Greenpeace prognostiziert 2014 in der Studie „Klimaflüchtlinge“, dass „in den nächsten 30 Jahren 200 Millionen Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, wenn der Klimawandel sich fortsetzt wie bisher“. Demnach könnte der derzeitige Flüchtlingsstrom nur der Anfang einer globalen Völkerwanderung historischen Ausmaßes sein. Sind diese Fakten wirklich so überraschend, wie es die Politiker in Europa und Deutschland zurzeit unisono erklären?
Schaut man sich in diesem Zusammenhang die sich abzeichnende globale Wasserkrise an, so war diese Entwicklung schon seit Jahren zu erkennen. Denn global gesehen stieg der Wasserverbrauch im letzten Jahrhundert doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung. Dies führte durch übermäßige Entnahmen aus oberirdischen Gewässern und dem Grundwasser zum Versiegen der Quellen, insbesondere in vielen wasserarmen Regionen dieser Welt. Maude Barlow, eine der weltweit führenden Wasser-Aktivistinnen, zeigte schon 2013 in ihrem lesenswerten Buch „Blue Future“ (Blaue Zukunft) ganz konkret die Folgen der Übernutzung der Wasserressourcen anhand der großen Dürren der letzten Jahre auf; verstärkt oder angetrieben durch die globale Klimaerwärmung haben sie zu einem raschen Fortschreiten der Wüstenausbreitung in mehr als 100 Ländern dieser Welt geführt.
Beispiel Sahara: Nach Lester Brown, dem Gründer des renommierten World Watch Institute, breitet sich die Sahara in alle Richtungen zunehmend aus. Im Norden beeinträchtigt dies den Lebensraum der Menschen in Tunesien, Marokko und Algerien immer stärker. Nach Süden schrumpft der Savannengürtel der Sahelzone zwischen der Sahara und dem afrikanischen Regenwald; die Wüste breitet sich so rapide aus, dass sie inzwischen Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas (140 Mio. Einwohner), erreicht hat.
Beispiel Tschadsee: Der einstmals sechstgrößte Binnensee der Welt ist heute zu 90 % ausgetrocknet. Dadurch ist die Lebensgrundlage von rund 30 Millionen Westafrikanern massiv gefährdet.
Auch Ost-Kanada, die USA und Europa betroffen
Weitere Beispiele aus Brasilien, Mexiko und Argentinien, dem Aral- und Urmiasee im Mittleren Osten, der Wassermangelsituation im Norden und Westen Chinas belegen die Dramatik der Desertifikation eindringlich. Dass sich das Problem nicht nur auf die Länder des Südens beschränkt, zeigt ein Blick auf Ost-Kanada und die USA (Ogallalla-Aquifer in den Great Plains, Great Lakes) sowie die Dürreereignisse in Europa in den Jahren 2011, 2012 und 2015.
Maude Barlow schließt daraus, dass wegen „versiegender Wasserquellen Millionen Menschen sich von der Südhalbkugel in Richtung Norden in Bewegung setzen werden“. Als realistisch eingestufte wissenschaftliche Schätzungen gehen von den o .a. etwa 200 Mio. Menschen aus, die bis Mitte des Jahrhunderts de facto als „Wasser- oder Klimaflüchtlinge“ weltweit umherziehen werden, unabhängig davon, welchen völkerrechtlichen Status man ihnen zubilligt und sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert. Ein Teil dieses Flüchtlingsstroms wird mit Sicherheit die reichen Länder Mittel- und Nordeuropas als Migrationsziel wählen.
Die stereotype Aussage der Politiker der westlichen Welt, dass die derzeitige Flüchtlingssituation nicht vorhersehbar gewesen sei, erscheint danach mehr als fragwürdig. Richtiger erscheint mir, dass die Warnungen nicht ernst genommen und die in den Studien vorgeschlagenen Lösungsansätze einfach ignoriert wurden.
In den aktuellen politischen Debatten zu Flucht und Asyl wird regelmäßig die Forderung erhoben, dass es wichtiger und besser sei, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen, als den Flüchtlingen bei uns in Europa oder Deutschland Aufnahme und Asyl zu gewähren.
Ungerechte Handels- und Wirtschaftsbeziehungen
Dies klingt plausibel, ist aber, wie Ruth Gütter 2011 in einer Ausarbeitung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu diesem Thema treffend anmerkt, schwierig, da die Ursachen sehr vielfältig und komplex sein können. Es geht nicht nur um die Bekämpfung von Hunger und Umweltzerstörung in den Herkunftsländern (lt. BMZ leben 9 von 10 Flüchtlingen in einem Entwicklungsland) durch mehr Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit, damit die Über-Lebensbedingungen der Einheimischen verbessert werden oder um bessere Regierungsführung in den Herkunftsländern. In zunehmendem Maße spielen in einer globalisierten Welt ungerechte internationale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie die Konsum- und Essensgewohnheiten in den reichen Ländern eine große Rolle.
Am Beispiel des europäischen Hähnchenexports nach Westafrika wird dies in der Studie der EKD konkret vorgestellt: Der Export von Geflügelteilen aus der EU nach Westafrika hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, weil die Konsumenten in Europa bevorzugt nur noch bestimmte Hähnchenteile (z.B. Hähnchenbrust) essen. Die restlichen Teile werden nach Afrika „entsorgt“. Dadurch werden die einheimischen Geflügelmärkte zerstört, Menschen verarmen und können ihre Familie nicht mehr ernähren. So wird direkt und indirekt zum Anwachsen der Flüchtlingsströme nach Europa beigetragen.
Dieses Beispiel macht deutlich dass die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht nur irgendwo in Afrika, sondern vor der eigenen Haustür beginnt. Es geht darum, den nationalen und internationalen Handel (Import, Export) nachhaltig für beide Seiten zu gestalten und die eigene Konsum- und Ernährungsweise zu überdenken (Zur Erinnerung: Deutschland importiert jedes 2. Nahrungsmittel, häufig wasserintensive Güter, die in Ländern mit Wassermangel produziert werden und die Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung u.U. massiv verschlechtern).
Ursachen sind globaler Natur
Neben diesen individuellen und wirtschaftspolitischen Verhaltensänderungen sollte zwingend ein internationales (Klima-) Abkommen (z.B. innerhalb des Systems der Vereinten Nationen) geschaffen werden, dass rechtsverbindlich gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten aller Länder (eine Art internationale Lastenteilung) umfasst und dabei die Klima- oder Wasserflüchtlinge insbesondere im Blick hat, wie es Steffen Bauer vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in seiner 2010 erschienenen Studie formuliert.
Als Begründung dafür schreibt er im Fazit: „Wir haben es (bei der Flüchtlingsproblematik) mit einer noch nie dagewesenen globalen Herausforderung zu tun, weil ihre Ursachen globaler Natur sind, weil sie zwangsläufig weltweit zur Realität wird und weil sie politische Lösungen auf der Ebene internationaler Politik und globaler Ordnungspolitik erfordert.“
Bauer schließt mit der guten Nachricht, dass Migration schon immer eine Bewältigungsstrategie der Menschen war, und es gibt keinen Grund, warum eine organisierte Migration und vorausschauende Umsiedlungen die Möglichkeiten der Zivilisation übersteigen sollten. Aber wir müssen uns auf den Weg machen…, wie Perikles (493-429 v. Chr.) im alten Griechenland schon voraussagte:
Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen,
sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein.
Bildquelle: Bundeszentrale für politische Bildung, cc by-nc-nd/3.0/de/
Alle reden nur über die Probleme die Flüchtlinge unterzubringen. Das Problem ist aber nicht beseitigt wenn wir tausende oder gar Millionen aufnehmen. Seit gestern bin ich guter Hoffnung. In den Medien wurde propagiert das Merkel die USA und Russland an einen Tisch gesetzt hat um das Problem in Syrien an der Wurzel zu packen. Vielleicht gelingt es den drei Mächten BRD, USA und Russland doch noch das Regiem dort zu stürzen, so das die Leute auch nicht mehr flüchten müssen sondern ein ruhiges Leben in Ihrem eigenen Land verbringen können. Das sollte doch im Interesse eines jeden liegen denke ich.