Es ist vollbracht. Der Bundestag wird kleiner, ein weiteres Aufblähen wird dauerhaft ausgeschlossen. Der Kern der Wahlrechtsreform hat vor dem höchsten deutschen Gericht Bestand. Das ist ein Erfolg der Ampelkoalition, die das seit Jahrzehnten schwelende Problem entschlossen angegangen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich ein Vorhaben gestoppt: Mit der geplanten Abschaffung der Grundmandatsklausel ist die Ampel übers Ziel hinausgeschossen.
Diese Regelung, nach der drei gewonnene Direktmandate für den Einzug ins Parlament genügen, auch wenn eine Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht schafft, bleibt bei der kommenden Bundestagswahl in Kraft. Die Linkspartei atmet auf. Sie hatte 2021 nur 4,9 Prozent der Wählerstimmen erzielt und von der Grundmandatsklausel profitiert. Durch die Abspaltung des BSW hat sich die Linksfraktion zwar gerade selbst zerlegt, doch für den nächsten Urnengang hofft sie unverdrossen auf diese Ausnahme von der Fünf-Prozent-Hürde.
Auch die CSU hatte in Karlsruhe das geplante Ende der Grundmandatsklausel beanstandet. Für die Partei, die nur in Bayern antritt und die bundesweit 2021 auf umgerechnet 5,2 Prozent der Stimmen gekommen war, stellt die Klausel einen Rettungsanker für den Fall dar, dass es nicht mehr für fünf Prozent reicht. Sollte das schon 2025 der Fall sein, hat die CSU erstmal nichts zu befürchten. Sie hat in der vergangenen Wahl fast ausnahmslos alle Direktmandate in Bayern gewonnen.
Eine derart erfolgreiche Regionalpartei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern zu lassen, hält der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts für rechtswidrig. Zumal die CSU im Bundestag regelmäßig eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU eingeht. Das Argument der Zersplitterung des Parlaments durch zu viele Kleinstparteien zieht aus der Sicht des Gerichts hier nicht. Der Gesetzgeber wird also neu zu entscheiden haben, wie er die Fünf-Prozent-Hürde verfassungsfest macht.
Eine Absenkung der Sperrklausel etwa auf drei Prozent ist ebenso in der Diskussion wie eine Neugestaltung von Ausnahmeregelungen oder auch eine Beibehaltung der Grundmandatsklausel. Deren Abschaffung hatte die Ampelkoalition tatsächlich erst ganz zum Schluss ihrer Reformverhandlungen vorgesehen und dabei die von vielen Kritikern – beileibe nicht nur den Profiteuren – geäußerten Bedenken ignoriert.
Die Kritik an dem Kern der Wahlrechtsreform jedoch lief in Karlsruhe ins Leere. Der Bundestag, der dem personalisierten Verhältniswahlrecht nach 598 Sitze haben sollte, ist von Wahl zu Wahl angewachsen und hat aktuell 734 Abgeordnete. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte bereits gewarnt, das Parlament könne ohne die Reform beizeiten die Tausendermarke erreichen. Schon sein Amtsvorgänger Norbert Lammert (CDU) hatte vergebens auf eine Gesetzesänderung gedrängt. Erst die amtierende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) löste ihr Versprechen zur Verkleinerung des Parlaments ein.
Das gelang mit einem Umdenken, das auf den ersten Blick wie ein Kulturbruch erschien. Direkt in ihrem Wahlkreis gewählte Volksvertreter sollen ihr Mandat nicht erhalten, wenn das Zweitstimmenergebnis ihrer Partei das nicht hergibt. Nur so lässt sich das Aufblähen durch Überhang- und Ausgleichsmandate tatsächlich stoppen und garantieren, dass in Zukunft dauerhaft nicht mehr als 630 Abgeordnete den Willen den Wählerinnen und Wähler vertreten.
Das ist nicht undemokratisch und auch nicht machtversessen, sondern eine Folge gesellschaftlichen Wandels. Das Wählerverhalten hat sich entsprechend verändert. Nicht mehr nur drei Parteien, sondern inzwischen sieben sitzen im Bundestag, die Zweitstimmen verteilen sich auf deutlich mehr Angebote als die Erststimmen. Und die Zweitstimmen waren seit jeher die für die Mehrheitsverhältnisse im Parlament entscheidenden. Kein Grund zum Jammern also, sondern eine wirklich gute und zukunftsweisende Reform. Auch wenn uns die Demokratie jeden Cent wert sein sollte: Ein überdimensioniertes Parlament ist unnötig teuer und dabei keineswegs besser. Im Gegenteil droht ihm lähmende Schwerfälligkeit in den Gesetzgebungsverfahren, bei der Entscheidungsfindung und den Kompromissbildungen. Die Enge im Plenum des Reichstagsgebäudes, die kaum noch die Unterbringung ausreichender Stühle gestattet, ist bei all dem nur ein Randaspekt.
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