Am nächsten Sonntag startet der nächste Versuch, doch noch eine Mehrheit für eine Regierungskoalition im Bund zu erreichen.
Der erste Anlauf in Richtung Jamaika, nämlich CDU, CSU, FDP und Grüne zu einem Bündnis zusammenzubringen, ist grandios gescheitert.
Die Unionschristen und Liberalen stimmten zwar weitgehend auf vielen Sachgebieten überein, doch als Angela Merkel mit immer größeren Zugeständnissen die Grünen ins Boot zu locken versuchte, stieg die FDP aus.
Es bedurfte der Mahnung des Bundespräsidenten an die staatspolitische Verantwortung der Parteien, um die SPD, die gleich zweimal eine
Regierungsbeteiligung abgelehnt hatte, zur Kehrtwende zu bewegen.
Am 7. Januar werden sich nun Merkel, Schulz und Seehofer mit kleinem Gefolge zusammensetzen und sondieren, ob und wie eine Neuauflage einer arg gebeutelten Großen Koalition möglich werden könnte. Fünf Tage wollen die Parteispitzen darüber beraten, was gemeinsam in dieser Legislaturperiode zu schaffen wäre. Ende Januar wird dann die SPD auf einem Sonderparteitag in Bonn darüber entscheiden, ob Martin Schulz und seine Genossen letztlich in Koalitionsverhandlungen mit der CDU und CSU einzutreten bereit sind.
SPD zwischen Scylla und Charybdis
Das wird nicht leicht für den Parteivorsitzenden Schulz. Der SPD-Chefverhandler muss mit verlockenden Angeboten seine Mitglieder davon überzeugen, dass das Mitregieren doch besser ist als das Opponieren, das sein einstiger Vorgänger Franz Müntefering als „Mist“ bezeichnet hatte. Noch bevor sich nun die Sondierer treffen, werden von einigen Sozialdemokraten Forderungen aufgestellt, rote Linien gezogen und Claims abgesteckt.
Die Messlatte wird auf zum Teil unerreichbare Höhen gelegt, was Enttäuschungen geradezu vorprogrammiert. Derweil registrieren Demoskopen bei der Sonntagsfrage für die SPD mit weniger als 20 % einen bislang noch nicht festgestellten Pegeltiefststand.
Niedergang der Volksparteien
CDU und CSU stehen mit etwa 31 % zwar etwas besser da, von Jubelstimmung ist die Union jedoch weit entfernt. Die CDU-Erfolge bei den Landtagswahlen im letzten Jahr im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen waren für die Partei sehr erfreulich, verblassten jedoch bei der Bundestagswahl; die Verluste glichen einem politischen Erdrutsch. Die Begeisterung über die Parteivorsitzende Angela Merkel schlug vielfach in Enttäuschung um. Insbesondere ihre Wertung, stieß manchen sauer auf: Sie wollte und konnte trotz der mageren 32 %, die noch von der Union insgesamt erzielt wurden, keine eigenen Fehler erkennen. Echte Alarmstimmung wurde in Bayern bei der CSU mit ihren gut 6 % ausgelöst. Horst Seehofers Ende wurde mindestens zur Hälfte eingeläutet: Er bleibt zwar zunächst Parteivorsitzender, doch Söder wird ihn nun zu Beginn des neuen Jahres als Ministerpräsident beerben. Mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst dieses Jahres hofft die CSU-Führung immer noch darauf, die absolute Mehrheit wiedererlangen zu können. Derzeit weisen die Umfragen für die CSU kaum 40 % aus. Doch wird dies – so die Einschätzung – nur mit klarer Kante und scharfem Profil der CSU möglich werden. Auf den Feldern der Migration, Innere Sicherheit und Steuern sowie EU wird sie bei ihrer aktuellen Klausur im Kloster Seeon dicke rote Linien ziehen, um die politischen Wilderer rechts von der CSU zu stoppen.
GroKo mit großen Tücken für die Union
Für Angela Merkel, die bei den anstehenden Sondierungen alles daransetzen wird, um echte Koalitionsverhandlungen und am Ende ihre erneute Wahl zur Kanzlerin einer GroKo zu zu erreichen, wird es außerordentlich schwierig. Denn sie muss die vielfach schon nicht kompatiblen Vorstellungen von SPD und CSU auch mit denen ihrer CDU auf einen gemeinsamen Nenner bringen.
Nicht wenige Mitglieder der CDU haben das Abschneiden bei der Bundestagswahl mit etwa 26 % als Schock oder zumindest als Menetekel empfunden. Die Sorge ist jedenfalls groß, dass die CDU ähnlich wie die SPD ihren Status als „große Volkspartei“ verlieren könnte oder schon verloren hat. Mit der AfD ist jedenfalls eine Partei in den Bundestag und in zahlreiche Landtage eingezogen, die insbesondere in den politischen Jagdgründen der Union wildert; seit langem hatten die Konservativen – etwa der Berliner Kreis – in der CDU davor gewarnt. Denn unter der Parteivorsitzenden Merkel sind wichtige Markenkerne fast unkenntlich, die Koordinaten der Werte verschoben und die Außendarstellung der Union kläglich geworden. Mit einigen Regionalkonferenzen, zu denen handverlesene Mitglieder ihrer Angela zujubeln, ist es bei den einen zu einer grandiosen Selbsttäuschung gekommen; bei anderen haben Enttäuschung und Frustration weiter zugenommen. Neben der AfD lockt inzwischen auch die FDP wieder Wähler aus dem Unionspotenzial an. Bei mancher Kritik an Christian Lindner, die von enttäuschten Jamaika-Fans geübt wurde, sind viele Bürger von der klaren Linie des Liberalen positiv angetan und finden seinen Befund „lieber nicht regieren als falsch regieren“ als mutig und richtig. Nicht wenige Unionschristen sind gar froh, dass ihnen nach der Phase der Sozialdemokratisierung ihrer Partei durch Angela Merkel nun dank Lindner auch die Vergrünung der Union erspart wurde.
Angela Merkel befindet sich in einer wahrlich schwierigen Situation: Sie hat eindeutig ihre Präferenz für die GroKo signalisiert und muss der widerborstigen SPD verlockende Angebote für den erneuten Eintritt in eine solches Bündnis machen. Geht sie dabei allzu sehr auf die Genossen ein, macht sie allzu große Zugeständnisse, dürfte sie mit Schwierigkeiten in der CDU und insbesondere in der CSU konfrontiert werden. Nicht wenige aus der Union befürchten nämlich eine weitere, noch stärkere Sozialdemokratisierung und damit eine Fortsetzung des Verlustes an klarem Unionsprofil. Für einige ist es gar die Wahl zwischen Pest und Cholera; sie machen sich eher für eine Minderheitsregierung stark – wie jüngst der einst von Merkel vom Acker gejagte Minister a. D. Norbert Röttgen.
Gelingt Merkel der Befreiungsschlag?
Mehr und mehr droht die Kanzlerin auch den Rückhalt in weiten Kreisen der Wirtschaft zu verlieren. Sie sind geradezu darüber irritiert, dass Angela Merkel außerordentlich defensiv agiert und es bislang an einer deutlichen Zukunftsstrategie fehlen lässt. Besonders treffend formulierte es jüngst der Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub: „Deutschland wird nur noch verwaltet, aber nicht reformiert. Von Aufbruchsstimmung kann überhaupt keine Rede sein.“ Und der frühere Chef des renommierten Instituts für Wirtschaftsforschung Ifo, Hans-Werner Sinn, spricht gar von „Realitätsverlust“. Angesichts einer fast überschäumenden Konjunktur, einer Rekordzahl bei den Beschäftigten, steigender Gewinne, Löhne und Renten mag das überraschen. Doch zu Recht werden von einer neuen Bundesregierung mit Angela Merkel als CEO der Republik zukunftsorientierte Vorstellungen, ja eine Agenda 2030 gefordert. Die derzeit gute Basis soll und muss als Sprungbrett genutzt werden, um in politisch unsicheren Zeiten das eigene Haus auch für die nächste Generation zu bestellen und wetterfest zu machen. Auf den wichtigen Feldern der Bildung und Ausbildung, der Digitalisierung, Infrastruktur, des Gesundheits- und Pflegesystems, der inneren und äußeren Sicherheit, der Migration und Integration, der Reform der EU und der Stärkung des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft ist wahrlich viel zu tun. Wenn jetzt nicht der Boden dafür bereitet wird und die Aussaat erfolgt, droht die Ernte für die jüngere Generation eher mager auszufallen.
Euphorie und Empathie entfachen!
Es gibt viel zu tun in unserer Republik. Da reicht es nicht, einige aktuelle Glücksmomente zu genießen und die großen Probleme unter einer Grabplatte zu verstecken. Angela Merkel muss in die Offensive gehen und Mut beweisen – etwa mit einer Agenda 2030 nach dem Vorbild ihres einstigen Vorgängers Gerhard Schröder. Als pure Physikerin der Macht wird dies nicht zu schaffen sein. Um für einen neuen Aufbruch die Menschen wirklich zu begeistern, reichen auch nicht die salbungsvollen, zum Teil gewiss richtigen Worte einer Neujahrsansprache. Vielmehr sind viel mehr Empathie und Sensibilität gefordert, mehr Einfühlungsvermögen für die, die sich als vergessen, zurückgelassen und kaum beachtet sehen, die in strukturschwachen Regionen leben, die bereits seit langem arbeitslos sind, die ihr Dasein am Existenzminimum fristen, die kaum noch eine menschenwürdige Wohnung finden, die in „no go areas“ leben müssen, die sich auf Straßen und in ihren Wohnungen vor Verbrechern fürchten. Es gilt, den Riss in der Gesellschaft so schnell wie möglich zu kitten und nachhaltig zu überwinden. Eine neue Regierung hat dafür einige Herkulesaufgaben zu bewältigen, um Konsens und das friedliche Miteinander in unserem Land zu sichern.
Die Soziale Marktwirtschaft mutig wiederzubeleben und fortzuschreiben, das bietet sich an, um die vielfältigen Spaltungen, Ungleichgewichte und Fehlentwicklungen in unserem Land zu beseitigen, um inklusive Teilhabe aller am Wachstum und Wohlstand zu realisieren. Die Relationen der normalen Lohn- und Gehaltsempfänger zu den Bossen vieler Unternehmen, vor allem zu den Turbo-Kapitalisten sind aus den Fugen geraten.
Merkel muss deshalb – nicht nur auf den politischen Spielfeldern – umdenken. Die Tatsache, dass sie die Opfer und Betroffenen des schrecklichen Attentats vom Berliner Breitscheitplatz erst ein ganzes Jahr später zu einer Begegnung eingeladen hat, spricht geradezu Bände. Sie und ihr Team erscheinen eher als abgehoben und realitätsfern. Viele engste Zuarbeiter agieren wie Adlaten, die das Weihrauchfass schwenken und dem Opportunismus frönen. Ihre Regierungsmannschaft rangiert kaum im Mittelfeld einer Bundesliga, bei einigen reicht es gerade für die Kreisklasse. Die Phase der Merkel-Dämmerung hat längst begonnen. Ob der Kanzlerin doch noch der echte Befreiungsschlag gelingen wird, entscheidet sich in den nächsten Wochen. Als sie vor fast zwei Jahrzehnten Generalsekretärin ihrer Partei war, wartete sie mit dem Slogan „CDU – mitten im Leben“ auf. Ein mutiges Revival könnte helfen. Falls dies nicht gelingt, könnte die biblische Prophetie“ mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ Realität werden.
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