Man benötigt keine Schadenfreude, um diese Meldung als befreiend zu finden. Im kleinen EU-Mitgliedsland Portugal wurde der langjährige sozialistische Ministerpräsident Jose Socrates bei der Ankunft am Flughafen in Lissabon verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Der strafrechtliche Vorwurf: Gemeinsam mit Bundesgenossen aus der portugiesischen Wirtschaft soll sich der prominente Chef-Sozialist, der sogar für die Nachfolge des amtierenden Staatspräsidenten Cavaco Silva im Gespräch war, in unzulässiger Weise bereichert haben. Der Verdacht auf Korruption, Geldwäsche und Steuerbetrug scheint gegeben. Die Zeitung „ Sol“ veröffentlichte Dokumente, wonach der Beschuldigte über zwanzig Millionen Euro auf einer Schweizer Bank deponierte.
Mit dem Skandalstück ihres Spitzengenossen wird Portugals Sozialistische Partei, die gerne von der legendären Aura ihres ehemaligen Gründers Mario Soares zehrt, noch sehr lange auskommen müssen. Der Fall des zwielichtigen Spitzengenossen wird zur schweren politischen Hypothek, die das Ansehen der Gesamtpartei beschädigt. Aber noch wichtiger ist die Einsicht, dass Portugals politische Klasse vor juristischer Strafverfolgung nicht länger davon laufen kann. Man darf sehr gespannt sein, wie dem raffgierigen Ex-Premier bald der Prozess gemacht wird.
Der Satz von Justizministerin Paula Cruz, wonach die Zeit der Straflosigkeit in Portugal vorbei ist, scheint auch in Spanien endlich beherzigt zu werden. Hier hat sich der langjährige katalanische Regionalpräsident Jordi Pujol gegen den gerichtlichen Vorwurf zu wehren, während seiner zwanzigjährigen Amtszeit fast zwei Milliarden Euro bei ausländischen Banken in Sicherheit gebracht zu haben. Die Geschäfte wurden gemeinsam mit seinem Sohn getätigt, der von den Geldgeschäften des Vaters, der als enger Freund des spanischen Ex-Königs Juan Carlos gilt, erheblich profitierte. Als Quelle des ungewöhnlichen Reichtums sollen die in Spanien berüchtigten „drei Prozent“ gelten, die sich Pujol bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für sich und die eigene Partei genehmigt hatte.
Der betagte Politiker bestreitet zwar alles und spricht von einer Erbschaft der Familie, die ihm das stattliche, auf einer Bank in Andorra versteckte Vermögen eingebracht habe. In Spanien gilt als sicher, dass sich der als untadelig beschriebene Pujol demnächst gerichtlich verantworten muss.
Damit werden zwei prominente Politiker von ihrer Vergangenheit eingeholt, die sich vor Nachstellungen der eigenen Justiz ziemlich sicher fühlen konnten, weil es eine echte Kontrolle der Macht in ihren Ländern kaum gab. Immer wieder kam es vor, dass Anläufe zur strafrechtlichen Untersuchung mit dem Hinweis auf die Immunität, auf Persönlichkeits-oder Geheimhaltungsschutz abgeblockt wurden. Wo sogar der Oberste Rechnungshof in handfeste Korruptionsskandale verwickelt war, konnte die immer wieder geforderte Kontrolle der spanischen Steuergelder nicht funktionieren. Wo Gewerkschaften und Parteien häufig in die eigene Tasche arbeiteten, hielt sich eine opportunistische Justiz augenfällig zurück, um es mit der nahestehenden politischen Klientel nicht zu verderben. Die skandalöse Aufarbeitung im berüchtigten „ Caso Gürtel“, wie Spaniens langjähriger Parteienskandal inzwischen heißt, spricht Bände und lässt sogar objektive Betrachter an Spaniens echtem Aufklärungswillen zweifeln.
Aber jenseits der Pyrenäen hat sich das Klima gewandelt. Seitdem die „Operacion punica“ am 27.Oktober 2014 über fünfzig Bürgermeister, Bauunternehmer, Regionalpolitiker, Stadträte sowie Helfershelfer in Murcia, Valencia, Madrid und Leon unter dem Verdacht verhaftete, 250 Millionen Euro an öffentlichen Geldern veruntreut und auf Schweizer Konten deponiert zu haben, macht sich auch bei der spanischen Justiz ein längst fälliges Umdenken bemerkbar. Vor dem Hintergrund einer breiten Empörungswelle scheinen endlich mutige Richter eine Bresche in die Abwehrfront jener politischen und ökonomischen Kaste zu schlagen, die gegen Verlockungen von Macht und Geld nicht gefeit ist und sich allzu willig die eigenen Taschen vollstopfen will.
Schon ist von einer zweiten „transicion“ die Rede, von einer Erneuerung, die zwar in der jungen Demokratie nach Franco existierte, die sich aber im aktuellen Sumpf von Steuerbetrug, Geldwäsche und Korruption gründlich verlor. Wenn spanische Intellektuelle heute sehr besorgt von einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise reden, die das ganze Land gefährden könne, dann ist ihnen recht zu geben. Das Land scheint zwischen einer egoistischen Politik-Klasse polarisiert, die keinen sauberen Weg aus der Krise mehr findet und einer Gruppe von politisch-moralisch Engagierten, die sich unter dem Etikett „Podemos“(„ Wir können es“) zu einer politisch-moralischen Grundströmung entwickelt hat, die bereits vier Sitze im Europaparlament gewann und der gute Chancen bei den nächsten Kommunal-und Parlamentswahlen eingeräumt werden.
Was dann passieren kann, hat das junge EU-Mitgliedsland Rumänien gezeigt: Dort hat ein Politiker die Mehrheit bei den Parlamentswahlen gewonnen, der als Bürgermeister einer rumänischen Großstadt mit der Korruption aufgeräumt hat und der sein Modell jetzt auf das ganze Land übertragen will. Was sich junge Polit-Moralisten in Spanien noch erträumen, setzt dieser Politiker in Bukarest endlich um: Acht korruptionsverdächtige Abgeordnete, die sich bisher hinter ihrer Immunität verstecken konnten, wurden der Justiz ausgeliefert, weil der neu gewählte Präsident Klaus Johannis dies angeordnet hat und Rumäniens jahrzehntelang vernachlässigten Kampf gegen die Korruption damit auf eine neue Grundlage stellt.
Sobald die angebliche Elite des Landes zur Verantwortung gezogen werde, beginne das gesamte System zu wackeln, sagte die euroaffine Justizexpertin Laura Stefan über diesen Trend. Zum ersten Mal in der Geschichte Rumäniens werde gegen eine Praxis eingeschritten, die man bisher leider fatalistisch hingenommen habe. Der Fisch stinke in Rumänien „vom Kopf“, wie das Sprichwort sage. Viel Glück beim Angeln–in Rumänien, Spanien und anderswo!
– Agência Brasil