Weltkulturerbe soll sein oder werden, was als unschätzbar wertvoll erachtet wird; was aus dem kollektiven Gedächtnis der Völker nicht verschwinden sondern darin erhalten bleiben soll. Die UNESCO, die Kommission für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation hat sich vor Jahrzehnten mit dem beschäftigt, was in Erinnerung bleiben solle, damit die nachrückenden Generation verstehen, woher wir kamen und was die Zeiten bis in Gegenwart und Zukunft prägt. Das betrifft Materielles, Gebäude, Gärten, Landschaften, Täler und Berge. Daneben existiert ein UNESCO Übereinkommen, das Immaterielles schützen und bewahren will, Partituren und Dokumente andere Art. So wurden die Protokolle des Frankfurter Auschwitz-Prozesses ins immaterielle Erbe aufgenommen. Sie dürfen nicht vergessen werden.
Jedes Jahr berichten viele Medien darüber, weil wieder ein Stadtteil, ein Gebäude-Ensemble zum Weltkulturerbe bestimmt worden ist. Kommunen und Länder reißen sich darum, weil Ansehen und Attraktivität steigen, was sich in den Beherbergungszahlen niederschlägt. Die Vorstellung, dass sich die Welt, kulturell unterschiedlich ausgerichtete Länder, konkurrierende Staaten zum einem gemeinsamen Erbe bekennen, hat ja etwas durchaus Tröstliches.
Nun möchte die Mecklenburg-vorpommersche Landesregierung mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig an der Spitze das Historisch-Technische Museum Peenemünde in die Stätten des Weltkulturerbes einreihen. Bereits vor zehn Jahren hätten Fachleute erklärt, dass das Museum das Potenzial habe, Weltkulturerbe zu werden, meinte die Ministerpräsidentin. Mit anderen Worten: Pionierleistungen auf dem Feld der Raketentechnik von „epochaler Bedeutung“ sollten Weltkulturerbe werden.
Wikipedia beschreibt Peenemünde so: „Bekannt ist der Ort für die Raketenentwicklung in der einst dort stationierten Heeresversuchsanstalt Peenemünde, worunter der als V2 bekannte Flugkörper Aggregat 4 Einsatzreife erlangte.“ Weiter heißt es: „1936 erwarb die Wehrmacht den gesamten Norden der Insel von Karlshagen bis zum Peenemünder Haken von der Stadt Wolgast und von Privatpersonen. Die Bevölkerung musste den Ort verlassen, nur fünf Einwohner blieben als Zivilbeschäftigte der HVA (Heeresversuchsanstalt Peenemünde.“
Klartext: In Peenemünde wurden Massenvernichtungswaffen konstruiert und ausprobiert und hergestellt. Mit diesen Waffen wurden Abertausende getötet. Tausende Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen haben die Voraussetzungen für fabrikmäßige Herstellung dieser Waffen schaffen müssen. Was Zwangsarbeit bedeutete, hat Ruth Klüger 2016 im Deutschen Bundestag berichtet: „Genau gesehen ist Zwangsarbeit insofern schlimmer als Sklavenarbeit, weil der leibeigene Sklave einen Geldwert für seinen Besitzer hat, den dieser verliert, wenn er den Sklaven verhungern oder erfrieren lässt. Die Zwangsarbeiter der Nazis waren wertlos, die Ausbeuter konnten sich immer noch neue verschaffen. Sie hatten ja so viel `Menschenmaterial`, wie sie es nannten, dass sie es wortwörtlich verbrennen konnten. Und erst die Frauen! Die konnten ja nicht einmal so gut arbeiten wie die Männer. Manche Männer, wie die eben erwähnten Franzosen, waren ausgebildet in Berufen die für den Kriegseinsatz brauchbar waren. Doch die Frauen? Man konnte sie ruhig bis zum Verhungern ausnützen.“
Da nutzt es wenig, dass Manuela Schwesig sagt, die Raketentechnik sei „untrennbar mit der menschenverachtenden Ideologie des NS-Systems verbunden.“ Das Waffenmuseum hat im Weltkulturerbe nichts zu suchen.
Ihr Vorgänger im Amt, Erwin Sellering wusste das. Der hat 2011 virulenten Peenemünde-Welterbe-Plänen des damaligen Landesbildungsministers Henry Tesch die rote Karte gezeigt. Es war damals ein merkwürdiges Spiel aufgezogen worden, das die Schweriner Volkszeitung detailliert wieder gab: „Heute soll der Bildungsminister im Kabinett einen Bericht abgeben, welche Pläne er im Bezug auf das Historisch-Technische Museum hat. Dabei wird es auch um den umstrittenen Deichrückbau südlich von Peenemünde gehen. Tesch ist gegen die Deichöffnung, unter anderem weil damit die darauf befindlichen Reste von Raketenbunkern und die Orte von drei Abschussrampen verschwinden. Die Denkmallandschaft in Peenemünde in die Liste des Unesco-Welterbes aufzunehmen, hätten so weniger Erfolgsaussichten. Den Abriss des Deiches hatte Umweltminister Till Backhaus (SPD) dagegen bislang befürwortet, um den dahinterliegenden Cämmerer See sowie insgesamt 950 Hektar Wiesen- und Waldfläche zu renaturieren.“
Eine Provinzposse ist das nicht. Diese Peenemünde- Geschichte zeigt, wie rasch manches vergessen wird. Pionierleistung epochalen Ausmaßes und Verbrechen: Das ist ein Erklärungs- Muster aus den Jahren nach dem Krieg: Ja sicher haben die Nazis schreckliche Verbrechen begangen, hieß es, das wird doch nicht bestritten! Aber die Ingenieurkunst! Das technische Können! Damals wurden auch dolle Sachen gemacht! Raketentechnik, die später half den Weltraum zu erobern. Wollen wir einen „Wallfahrtsort“ für ewig Gestrige schaffen? Für Rechtsradikale, die vor der früheren Abschussrampe posieren mit der Gedenktafel daneben? Sind wir nicht ein gutes, großes Stück weiter mittlerweile? Also: noch mal gut nachdenken, das Projekt dann vergessen.
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 141-1875A / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons