1. Kriegsgeschichte als Hintergrund
Der alsbald abtretende US-Präsident, Joe Biden, wird regelmäßig als bekennender und erfahrener „Transatlantiker“ bezeichnet. Als solcher ist er so etwas wie ein tragischer Held geworden. Was auch immer die Rolle von Kanzlerin Merkel in diesem Kontext, nach Bidens Amtsantritt, gewesen sein mag: Er war es, der mit seinem Umgang mit dem zugespitzten Konflikt um die Ukraine, mit Russlands Ansatz von „coercive diplomacy“, im Ergebnis Russland an die Seite Chinas gerückt hat, was definitiv gegen elementares US-Interesse verstößt. So kann es gehen, wenn man als „Transatlantiker“ Politik als Herzensangelegenheit betreibt und nicht kühl bis ans Herz strategisch durchkalkuliert.
Mit der bedingungslosen („as long as it takes“) Unterstützungszusage für die Ukraine, die er in anrührender Weise in Selenskyjs Anwesenheit bei dessen vorweihnachtlichem Washington-Besuch im Dezember 2023 zu „as long as we can“ abgemeiert hat, ist ihm zudem etwas menschlich höchst Problematisches unterlaufen. Er hat der Ukraine freihändig Zusagen gemacht, hinter denen kein belastbarer Wille im Kapitol in Washington stand; damit wohl hat er sie dazu gebracht, dass sie sich schließlich entschied, einen Krieg zu ausfechten, den sie auf Dauer militärisch nicht gewinnen konnte. Gleichsam verführt wurde sie, und wohl auch Präsident Biden, dazu dadurch, dass sie in der Abwehr der beiden russischen Vorstöße auf Kiew im Frühjahr 2022 grandiose Anfangserfolge zu erzielen vermochte.
Oberst Markus Reisner hat (u.a. hier) den zweiten Erfolg in seiner militärischen Machart analysiert und überzeugend ausgearbeitet, dass der durch eine sehr kluge Kriegslist des eigentlich Unterlegenen errungen wurde. Kern der ukrainischen Strategie war, aus dem Scheitern der Vorneverteidigung gegen die russischen Truppen im Januar/Februar 2015 eine Lehre zu ziehen – der Versuch der Verteidigung des Landes an der Landesgrenze endete damals in der Einkesselung bei Debalzewe. Die List bestand darin, anders als 2015, die gegnerischen Truppen erst einmal weit ins Land zu lassen, den Gegner dazu sogar zu verführen, und ihn damit maximal verwundbar zu machen. Erst dann wurde, so der Plan, gegen dessen schutzarme Panzer mit modernen handgestützten Panzerabwehrwaffen gekämpft, und zwar bevorzugt gegen dessen Nachschub. Damit setzte man natürlich, das ist die Kehrseite, Teile der eigenen Bevölkerung einer Schutzlosigkeit aus. Für Bewohner in ukrainischem Kernland nordöstlich von Kiew materialisierte sich dieses Risiko in Form der russischen Massaker, so Reisner, sie waren in gewisser Weise ein Teil des Preises für diese erfolgreiche List des Davids gegen Goliath.
Dass die Ukraine nicht siegen konnte, darf aus der Konzeptlosigkeit dieses Kampfes geschlossen werden – das gilt, nachdem zwei Entscheidungen gefällt worden waren, nachdem (1) Russland, nach dem Scheitern des Zugriffs auf Kiew und dem Abbruch der Verhandlungen mit der Ukraine im April 2022, den Krieg zur Abnützungsschlacht rekonfiguriert hatte; und nachdem (2) der Westen angesichts dieser neuen Konstellation bei seiner Entscheidung blieb, das soldatische Potential allein der Ukraine dagegen antreten zu lassen. Produktionstheoretisch gilt eben: Militärischer Kampf bedarf des komplementären Einsatzes von Mitteln, sowohl von Waffen als auch von Menschen; beide sind nur sehr begrenzt durcheinander substituierbar. Die westliche Entscheidung, nur moderne Waffen aber keine Soldaten zur Unterstützung der Ukraine zu senden, war deshalb eine Unterwerfung unter das russische Kriegskonzept. Nach den Ehrenregeln der Kampfsportart „Schach“ hätte der absehbar Unterlegene bereits zu diesem Zeitpunkt seiner Niederlage eingeräumt. Eine aussichtslose Partie zu Ende zu spielen, ist regelwidrig.
Seitens der westlichen Unterstützer gab es nur einmal einen Versuch, ein Konzept dafür zu entwickeln, wie die Ukraine in dieser militärisch geführten Auseinandersetzung mindestens zeitweilig militärisch in die Oberhand kommen könnte, d.i. qua Ausrüstung und Unterstützung für die Sommeroffensive 2023 der Ukraine – seit deren Scheitern wird der Krieg seitens der Ukraine/ des Westens ohne strategisches militärisches Konzept bzw. sogar, seit Juli 2024, wider besseren Wissens weitergeführt, gemäß der Formel „Russland darf nicht siegen“. In Wirtschaftsdeutsch übersetzt: Er ist einer Situation vergleichbar, wo einer pleiteträchtigen Unternehmung mit ihren bereits abgeschriebenen Investitionen immer noch mehr gutes Geld nachgeworfen wird.
2. Die im US-Haushalt von April 2024 verankerte Pflicht zur Klärung des erreichbaren Ziels der westlichen Militärhilfe
„Wider besseren Wissens“ kann man seit Juli 2024 behaupten. Auf Ende Juli hatte die US-Regierung, vertreten durch das Department of Defense und das State Department, einen Bericht vorzulegen zur Beantwortung der Frage nach dem mit den zu gewährenden Finanz- und Rüstungsmitteln militärisch erreichbaren Zweck – auf die Frage nach dem militärischen Kriegsziel des Westens war in diesem Bericht also Antwort zu geben. Die Verpflichtung zur Vorlegung dieses Berichts hat die republikanische Seite des US-Kongresses in das Ukraine Security Supplemental Appropriations Act, 2024 hineingebracht. Das Haushaltsgesetz war als Antrag der Biden-Administration zur Genehmigung weiterer Hilfen für die Ukraine im Haushalt 2024 eingebracht worden, wurde dann erst nach langem Gezerre, mit erheblichen Veränderungen gegenüber der Antragsfassung, Ende April 2024 verabschiedet.
Der geforderte Bericht von Pentagon und Außenamt ist dann auch vorgelegt worden, selbstverständlich „restricted“ – die mit der Sache befassten Abgeordneten aber konnten sich damit bestens informieren und haben auch getan. Bei dem Besuch Selenskyjs Ende September 2024 in Washington ging es in den Gesprächen um den Haushaltsvoranschlag für 2025 – das Haushaltsjahr beginnt in den USA am 1. Oktober. Diese Gespräche wurden offen geführt mit bohrenden Nachfragen, was denn mit den zu liefernden Waffen ggfls. zu erreichen geplant sei. Zusagen hat der ukrainische Staatschef im Ergebnis nicht erhalten. Der Vorschlag der Biden-Administration für ein neuerliches Unterstützungspaket für die Ukraine ist zunächst einmal vertagt worden, der 20. Dezember 2024 ist der Termin, auf den sich die im Kongress vertretenen Parteien geeinigt haben, dass der Haushalt für 2025 mit dem, was dann entscheidungsreif ist, auch verabschiedet wird.
3. Der Stand der Vorbereitung der Ukraine-Hilfen im US-Haushalt 2025
Die Vorbereitung dafür ist, seitens des Kongresses, gegenwärtig im Entwurf des „Stand With Ukraine Act“ zusammengefasst. Dahinter steht eine Gruppe aus Vertretern beider Parteien, die für die Unterstützung der Ukraine eintreten. Die Vorkehrungen in dem Entwurf sind sehr weitreichend, auch zeitlich, mit Ermächtigungen bis zum Jahre 2035. Nach dem Ergebnis des 5. Novembers 2024, dem erdrutschartigen Sieg Trumps und damit der MAGA-Fraktion innerhalb der Republikaner, scheint die Aussicht auf eine bruchlose Weiterführung der Unterstützungspolitik aus der Zeit der Biden-Administration sehr an Wahrscheinlichkeit verloren zu haben. Im Raume stehen die Optionen, entweder beides, Rüstungslieferungen als auch deren Finanzierung gegen Null zu fahren, oder Rüstungslieferungen weiterhin anzubieten, die Finanzierung aber vollständig aus dem US-Haushalt zu verbannen, sie Dritten (den Europäern bzw. qua Krediten) zu überantworten.
Zum Kehraus gehört zur Stärkung der Kreditfähigkeit der Ukraine an den Finanzmärkten dann auch dies. Der Supplemental Security Assistance Act von April 2024 enthielt etwa 10 Mrd. $ an sog. “ökonomischer” Hilfe, d.i. zur Haushaltsunterstützung, als Kredit, nicht als Geschenk. Die Bedingungen gaben Präsident Biden das Recht, bis zu 50 Prozent dieser Summe in ein Geschenk umzuwandeln.
Präsident Biden hat dem Kongress nun ein statement of intent unterbreitet, sein Mandat voll in Anspruch zu nehmen, also für die Hälfte der Haushaltsunterstützung für die Ukraine den Kreditcharakter zu streichen. Es geht in Summe um ein Kreditvolumen in Höhe von etwa 4,65 Mrd. $.
Der Kongress hat nun das Recht, dem zu widersprechen. Es wird aber nicht erwartet, dass er Einspruch erheben wird.
Merke: Ein Krieg wird nur solange geführt, wie er finanziert wird. Vor diesem Hintergrund ist das geringe Engagement der Sicherheitscommunity, die Freigaben von Ukraine-Hilfen in den Haushalten der Unterstützer-Staaten präzise nachzuzeichnen, so unverständlich.
[1] https://www.sinn-schaffen.de/hans-jochen-luhmann/die-mechanik-eines-kriegs-ausbruchs-irak-krieg-und-ukraine-krieg-im-vergleich/
[2] https://welttrends.de/die-entscheidung-des-westens-fuer-den-ukraine-krieg-ein-globalstrategischer-irrtum-der-usa/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=qNeXbNY3HYQ
[4]https://www.truppendienst.com/fileadmin/user_upload/Einzelbeitraege/2020/Schlacht_um_Debalzewe_-_Teil_1/Teil_2/td376380_Debalzewe_Teil2.pdf
[5] https://democrats-appropriations.house.gov/sites/evo-subsites/democrats-appropriations.house.gov/files/Ukraine.pdf
[6] https://fitzpatrick.house.gov/2024/9/fitzpatrick-ukraine-caucus-co-chairs-introduce-stand-with-ukraine-act#:~:text=The%20Stand%20with%20Ukraine%20Act%20strengthens%20that%20promise%20by%20fast,our%20commitment%20to%20their%20reconstruction.
[7] https://www.congress.gov/bill/118th-congress/house-bill/9501/text
[8] https://www.blog-der-republik.de/auslegung-der-schuldenbremse-und-finanzielles-endspiel-im-ukraine-krieg-im-januar-2025/
[9] https://kyivindependent.com/biden-seeks-to-cancel-over-4-5-billion-in-ukraines-debt/