Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen zahlreichen Urteilen zum Rundfunk in der Bundesrepublik immer wieder betont, dass der Gesetzgeber – nach unserer föderalen Systematik die Bundesländer – verpflichtet ist, eine positive Ordnung für die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu definieren. Mit der jüngsten Novelle des Medienstaatsvertrags, dem noch ein weiterer Staatsvertrag zur Finanzierung des Ganzen folgen soll, ist ein wichtiger Schritt getan, diese Ordnung der digitalen Welt anzupassen. In Zukunft sollen die öffentlich-rechtlichen Anstalten flexibler darüber entscheiden können, welche Programme sie linear wie bisher verbreiten, beziehungsweise wie sie ihren Auftrag in Zeiten des Internets und veränderten Nutzungsverhaltens zeitgemäß ausgestalten. Es liegt also jetzt in den Händen der Anstalten und ihrer Gremien selbst, ob sie auch weiterhin die mehr als 20 TV- und über 60 Hörfunkprogramme wie bisher auf allen technisch möglichen Verbreitungswegen beibehalten wollen oder manches davon in Mediatheken oder auf andere nicht-lineare Plattformen verlagern können. Natürlich hat dies auch finanzielle Dimensionen, aber das Entscheidende ist die Sicherung und Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der sich weiter dynamisch entwickelnden Medienwelt.
Vor diesem Hintergrund lässt eine Rede aufhorchen, welche die Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks, Karola Wille, Ende Juni anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gehalten hat. Eine Passage aus dieser Rede ist es wert, wörtlich zitiert zu werden:
„Wenn ich ganz wagemutig bin, dann sehe ich […] am Horizont ein weit ausgreifendes, in jeder Hinsicht vernetztes und vernetzendes digitales Kommunikationsmodell, in der [sic!] alle linearen und nonlinearen Angebote von ARD und sinnhafterweise mit ZDF und Deutschlandradio kinderleicht aufzufinden sind und das mit Empfehlungssystemen, die Vielfalt sichern und nicht einengen. Ein gemeinwohlorientiertes Kommunikationsnetzwerk – die Medienadresse Nr. 1 in Deutschland.“
Diese Sätze sollten die Verantwortlichen in den Anstalten wie in der Politik nicht bloß als eine Vision am Horizont, sondern als konkreten Auftrag verstehen. Es wäre kein Wagemut, sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit, dieses Ziel ernst zu nehmen und daraus einen inhaltlich und zeitlich verlässlichen Fahrplan abzuleiten. Der Gesetzgeber hat dazu alle Möglichkeiten eröffnet. Gefordert sind nun die Anstalten selbst. Sie haben jetzt die Chance, aus dem Kleinklein des bisherigen Handelns und der Kirchturmpolitik herauszukommen. In den Anstalten und ihren Gremien muss man – wie auch in der Politik – über die bisherigen Reformansätze hinaus bereit sein, liebgewonnene Strukturen aufzugeben und größer zu denken als nur bis zur Landes- oder Sendergrenze.
Die Gremien von ARD, ZDF und Deutschlandradio dürfen sich dabei nicht länger in erster Linie als Verteidiger ihrer Anstalten verstehen. Sie vertreten die Allgemeinheit, sprich die Beitragszahler und -zahlerinnen, die sicherlich ein Kommunikationsmodell begrüßen würden, wie es Karola Wille skizziert hat. Es dürfte nicht so schwer sein, eine konkrete Roadmap zu erarbeiten, vor allem, wenn sich die Gremien gemeinsam dieser Aufgabe stellen. Allen Beteiligten in den Sendern ist dafür Mut zu wünschen, Mut zur Bereitschaft, über den eigenen Schatten und die eigenen Anstaltsgrenzen zu springen, Mut zu großen Schritten und auch zu unbequemen Entscheidungen. Wenn dieser Mut vorhanden wäre, müsste einem um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht bange sein.
Mit seinen Anmerkungen zum anstehenden Medienstaatsvertrag hat Jürgen Brautmeier sehr klug darauf hingewiesen, dass nun die Sender am Zug sind. Die Novelle des Medienstaatsvertrags ist ein wichtiger Schritt, fast sogar ein revolutionärer, der ebenso mutig wie richtig ist. Die Politik zieht sich ein gutes Stück zurück und überlässt das Feld weitgehend der Selbstverwaltung der Sender. Die ist nun (heraus-)gefordert. Die Gremien müssen beweisen, dass sie sich als VertreterInnen der Allgemeinheit verstehen, Aufsicht und Kontrolle wirklich ausüben. Die Selbstverwaltung erfordert ein neues Selbstverständnis von Gremien und IntendantInnen. Und dieser Mind-Change wird vermutlich schwieriger als viele in den Sendern es sich vorstellen.