Der Titel klingt paradox. „Mehr Zuversicht wagen“. Zuversicht hat man. In Zuversicht ruht man. Wie kann sie ein Wagnis sein? Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien in Hamburg, löst dieses Paradoxon in einer Zeitreise durch die eigene Biographie, durch literarische Notizen, durch Verweis auf kraftvolle Songtexte, durch Erinnerungen an große politische Redner auf.
Dass Zuversicht ein Wagnis sein kann, das spürt der in Gelsenkirchen geborene Brosda als Schalke-Fan ein Leben lang. Doch im Auf und Ab seines Lieblingsvereins hat er auch gelernt: „You`ll never walk alone“.
Diese kraftvolle Gewissheit ist eine Erfahrung, die er aus seiner Kindheit hinüber gerettet hat in sein Verständnis von Politik, sozialdemokratischer Politik. Aber er weiß, dass diese Kraft, diese Ausstrahlung zu großen Teilen auf der Strecke geblieben ist. Der Pulsschlag jener Zeit, in der Willy Brandt als Kanzler die Republik mit „Mehr Demokratie wagen“ aufrütteln und umkrempeln wollte, ist verloren gegangen. Die Erinnerungen daran lassen viele noch schwärmen. Aber die Schwärmereien über eine große und erfolgreiche Vergangenheit führen nicht in eine bessere Zukunft.
Brosdas Rat an die Politik, vor allem sozialdemokratische Politik: Wieder Schwärmen lernen, um Menschen mitzunehmen. Dem Vorsitzenden der Medienkommission der SPD sind die Erklärungen zu nüchtern, zu wenig animierend geworden. Ihm fehlen die großen Erzählungen in der linken Politik. Dieses Manko wurde Bosda schlagartig klar, als der britische Dramatiker Simon Stephen 2018 zur 175-Jahr-Feier des Hamburger Thalia-Theaters über die Kraft des Geschichtenerzählens referierte und zu dem verheerenden Schluss kam, dass man diese Kunst den Rechten und Populisten überlassen habe: „Vielleicht, weil wir es vernachlässigt haben, uns ausreichend um sie zu kümmern, sind die Geschichten den Bastarden in die Hände gefallen“, mahnte Stephen und sah darin die Ursache, dass der Brexit in Großbritannien erfolgreich sein konnte. Während die EU-Befürworter mit nackten Fakten überzeugen wollten, seien sie von den Gegnern als „Experten“ verhöhnt worden, auf die niemand mehr hörte.
Das war der Anstoß für den Hamburger Senator, nach Erzählungen aus Literatur, Film, Popmusik und Politik zu suchen, um sie den schwadronierenden Lügengeschichten der Trumps und anderer Populisten entgegen zu setzen.
Wer will, kann Brosdas Buch als dezente Kritik am allzu rationalen Kommunikationsverhalten der Sozialdemokraten verstehen. Wachrütteln will er sie auf jeden Fall. Und zwischen den Zeilen fühlt der Leser, dass Brosda die Kraft des Erzählens am ehesten bei Franz Müntefering und der Bundespräsidentschafts-Kandidatin Gesine Schwan gespürt hat. Für beide hat er gearbeitet. Für Müntefering als Redenschreiber. Mit Selbstironie merkt er an, dass der keinen einzigen Satz seiner Texte übernommen, sondern frei geredet habe. „Carsten“, habe der seinen gefrusteten Redenschreiber getröstet, „von einem weißen Blatt kann man nicht abweichen“.
Das Buch ist nicht nur klug, in Teilen ist es sehr persönlich. Er schreibt über seine Diabetes, über den schmerzhaften Tod naher Angehöriger. Und darüber, wie groß die Angst seiner Großeltern war, dass sie durch den Bildungs- und bescheidenen Vermögensaufstieg ihrer Kinder abgehängt würden.
„Mehr Zuversicht wagen“! Carsten Brosda hilft dabei. Die Lektüre seines Buchs ist für Politiker, die auf der Suche nach neuem Vertrauen ihrer Wähler sind, wichtiger und ertragreicher, als sich über den x-ten Spiegelstrich programmatischer Anleitungstexte Gedanken zu machen. Und für die Bürgerinnen und Bürger ist sie Mahnung, sich nicht auf die Geschichten populistischer „Bastarde“ einzulassen. Einfach mal lesen und Zuversicht zurückgewinnen!