Mit dem BSW ist in Deutschland erneut eine Partei erfolgreich, die militärische Sicherheitsinvestitionen und Waffenhilfe an Russlands Aggressionsopfer ablehnt. Sie vertritt damit eine Jahrzehnte lang gültigen pazifistischen Grundposition der deutschen Gesellschaft und Politik. Diese Haltung zog und zieht ihre Begründung aus der Einschätzung, selbst nicht bedroht zu sein – und selbst wenn man den großen Mächten im eurasischen Osten misstraute, meinte man doch: der amerikanische Schutzes ist uns sicher, weil wir Freunde und Verbündete sind und – etwas leiser hinzugefügt – , weil es amerikanischem Interesse entspricht, in Europa präsent und mächtig zu sein. Gerade der in Europa nicht seltene Antiamerikanismus sah den amerikanischen Schutz als Teil eines US-Imperialismus, den man natürlich verurteilte, aber doch genoss, wenn man die sowjetische und später russische Militarisierung nicht gänzlich ignorierte.
Selbst als Putins Agenten der Ukraine vor 10 Jahren die Krim raubten und Volkserhebungen in Donezk und Luhansk organisierten, blieben Deutschland und seine europäischen Partner beim Abbau ihrer militärischen Fähigkeiten, um mit dem gesparten Geld den privaten Konsum wachsen zu lassen (nicht etwa, um die öffentlichen Infrastrukturen zu sanieren und zu modernisieren). Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass Putins Geheimdienste, ja einfach nur aufmerksame Beobachter deutscher Medien, die zunehmende Wehrlosigkeit Westeuropas nicht wahrgenommen hatten, als sie die Behauptung in die Welt setzten, Russland sei von „Einkreisung“ und NATO-Aggression bedroht.
Im Westen schien dagegen die Einschätzung im Wesentlichen Konsens, dass die russische Aggression sich nur in sicherer Entfernung am uninteressanten Ostrand der Ukraine abspielen würde.
Der nicht mehr überhörbare Paukenschlag erfolgte dann am 24. Februar 2022, als Putins Truppen offiziell in die Ost-Ukraine einrückten und das russische Kriegsziel einer vollkommenen Übernahme der Ukraine nicht mehr ignoriert werden konnte.
Nun fragt man sich erstaunt, wie kann man nach dieser Lektion noch glauben, Putins Ziele seien durch Verhandlungen zu mäßigen? Wie kann man weiter ignorieren, dass Russland und China seit einiger Zeit Hand-in-Hand an der Destabilisierung der demokratischen Welt arbeiten. Wie kann man den längst begonnen Cyberkrieg übersehen. Wie kann man ausklammern, dass sie eine Front wahrer Monsterregime schmieden mit Iran, Nord-Korea und vielen Diktaturen in aller Welt. Kann man die Lust verstehen, mit der namhafte Persönlichkeiten der linken Mitte dem eigenen Land und seinen Verbündeten eine Mitschuld an der Aggression anzuhängen, als hätte man Putin zum Überfall gezwungen? Kann man der Meinung sein, gegen nuklear bewaffnete potenziellen Aggressoren dürfe es keine Gegenmaßnahmen bündnis- und rüstungspolitischer Art geben?
Nun, Sarah Wagenknecht kann all das und noch viel mehr. Sie sieht in Russland unbeirrt jenen zuverlässigen Partner, der uns Gas und andere Rohstoffe günstig zur Verfügung stellt, und den wir nicht durch eigene Bewaffnung und Bündnisstrategien reizen dürfen – und schon gar nicht durch Waffenhilfe für die überfallene Ukraine. Was immer Russland an Raketen und mitunter an Truppenkonzentrationen (wie vor dem Ukraine-Einmarsch) an seine Westgrenze und bis nach Königsberg verschiebt, Sarah vertraut auf Putins Friedfertigkeit. Ihre Logik: wer sich wehrt, eskaliert! Wer Frieden will, wehrt sich nicht.
Gerade ist ihr der frühere Präsident Medwedew zur Seite gesprungen mit Aussagen der Art: niemand glaube, Russland würde keine taktischen Atomwaffen einsetzen, denn es gehe in diesem Krieg um Russlands Existenz. Der Westen habe sich schon in der Einschätzung naiv getäuscht, Russland werde keinen Einmarsch in die Ukraine wagen; er werde sich auch in der nuklearen Frage täuschen.
Nun ist es auf unserer Seite eine traurige Beobachtung, dass unsere Bündnisstrategie auf der Zuverlässigkeit der USA und der übrigen NATO-Partner beruht und das, obwohl auch solche Partner wie Ungarn, die Slowakei und die Türkei dazu gehören, deren langjährige Herrscher sich längst als unsolidarisch erwiesen haben. Militärisch mögen die kleineren Staaten nicht entscheidend sein, obwohl ihre Stimme bei Einstimmigkeit gebraucht wird, aber wer glaubt wirklich, dass türkische Truppen gegen Russland antreten, wenn Putin das Ost-Ukrainespiel mittels Agenten und Teilen der russischen Minderheiten in den Baltenstaaten wiederholt?
Man darf vermuten, dass Sarah Wagenknecht auch in einem solchen Fall für Verhandlungen sein wird, die aus russischer Sicht ja nur Sinn machen, wenn man die Beute behalten darf. Letztlich stimmt sie mit Putins Vorstellung einer neuen Weltfriedensordnung überein, dass der Wille des Stärkeren gelten muss und der Schwächere, der Kleinere nur das Recht hat, um und in Verhandlungen betteln zu dürfen.
Wenn man die strategische Sicherheitslage der europäischen Demokratien analysiert, kommt man selbst als militärischer Laie nicht an der Erkenntnis vorbei, dass nur amerikanische Präsenz in Deutschland und Waffen, die Russland treffen können, glaubwürdigen Schutz bieten – ich füge hinzu, selbst wenn Trump wieder Präsident werden sollte. Warum? Weil gerade Trumps Ego eine Aufgabe Europas nicht zulassen wird, schon gar nicht, wenn sie mit einem demütigendem Rückzug verbunden wäre.
Ich komme also zu dem Schluss,
- dass Sarah Wagenknecht im Kern Putin freie Hand in der Umgestaltung Europas geben möchte, weil sie Widerstand für falsch und billige Rohstoffe für wichtiger hält
- dass Olav Scholz und Präsident Biden richtig handeln, wenn sie die notwendigen Waffen auch in Deutschland stationieren. In dieser Position bin ich schon vor über 45 Jahren Helmut Schmidt und seinem Nachfolger gefolgt.
Das Szenarium ähnelt eben sehr dem des erfolgreich überwundenen Kalten Kriegs – nicht zufällig, sondern weil Putin diesen neu begonnen hat und mit einem heißen Krieg unterstreicht, dass es ihm um eine andere Weltordnung geht, in der einige mächtige Staatsführer das Schicksal der Völker bestimmen. Als Treffpunkt dieser Führer sieht er wahrscheinlich Jalta als geeignet an mit einem Russen, einem Amerikaner und einem Chinesen im Präsidium.
Meine zitternde Hoffnung ist, dass auch der jetzige Konflikt endet wie 1989 mit einem Erwachen von russischer Größe und Vernunft unter neuer Führung.