Allein im vergangenen Jahr sind fast 800.000 Menschen neu bei den Krankenkassen versichert worden. Dabei handelte es sich vor allem um Arbeitsmigranten aus EU-Staaten und anerkannte Flüchtlinge sowie ehemalige Privatversicherte. Insgesamt stieg die Zahl der Kassenmitglieder in 2016 auf 55,5 Millionen.
Positiv zu vermerken ist dabei, dass seit 3 Jahren schon der Altersdurchschnitt der bei den Krankenkassen Versicherten nicht mehr steigt. Die Neuzugänge verursachen deutlich geringere Ausgaben als die Bestandsversicherten gleichen Alters. Für einen 30-jährigen Mann bei den neuen Versicherten mussten die Kassen im Durchschnitt etwas mehr als 1 Euro pro Tag aufwenden, für einen länger Versicherten gleichen Alters immerhin fast 3 Euro, darauf wies jüngst die Chefin des Krankenkassen-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, hin.
In dieser positiven Rechnung sind jedoch die Hartz IV-Empfänger und arbeitslose Flüchtlinge nicht enthalten. Das führt zu Belastungen der Krankenkassen, denn aus den staatlichen Kassen fließen ihnen monatlich pro Flüchtling nicht einmal 100 Euro zu – zu wenig, so die Klage der Krankenkassen, obwohl sie für Mitte diesen Jahres insgesamt einen Jahresüberschuss von 1,3 Mrd. Euro meldeten.
Migration und Gesundheit: Ein wichtiges Thema!
Die Zahl der Versicherten entwickelt sich bei den verschiedenen Krankenkassen recht differenziert. Den signifikantesten Zuwachs haben die Ortskrankenkassen. Inzwischen zählen jedoch alle viele Menschen mit Migrationshintergrund zu ihren Mitgliedern – von der AOK über die Barmer bis hin zur Betriebskrankenkasse VIACTIV. Die Kassen haben sich dieser Gruppe mehr oder weniger gezielt gewidmet und sich auf die zum Teil unterschiedlichen Anforderungen eingestellt. Jüngst wurde der Berliner Gesundheitspreis 2017 zum Thema „Migration und Gesundheit – Integration gestalten“ verliehen. Dabei ging es um Projekte, die sich für die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen oder ihnen eine berufliche Perspektive im deutschen Gesundheitsbereich eröffnen.
Versorgung und Beschäftigung von Migranten
Bei den ausgezeichneten Projekten handelt es sich um den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Menschen mit Migrationshintergrund und um die Beschäftigung im Gesundheitswesen. Oft genug tun sich Migranten schwer, passende Hilfsangebote von Ärzten, Kliniken usw. zu finden. Angst, Unsicherheit, Verständigungsprobleme und ein unklarer Versicherungsstatus sind dabei erschwerende Faktoren. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sprach kürzlich von „gelebter Mitmenschlichkeit“, wenn denjenigen mit Migrationshintergrund von Deutschen als Lotsen der Weg gewiesen wird. Zum anderen können Migranten zu wertvollen Kräften für das Gesundheitssystem werden. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist die Erlernung der deutschen Sprache: Das gilt für Ärztinnen und Ärzte aus Syrien gleichermaßen wie für Zuwanderer aus allen Ländern, die wir für die Bereiche Medizin, Pflege, Labor usw. dringend brauchen.
Großes Engagement von VIACTIV
Die Größte Betriebskasse in NRW, die VIACTIV, hat bereits Bespielhafte Aktivitäten entwickelt. Neben der AOK, die örtlichen und regionalen Bezug hat, ist die VIACTIV Betriebskrankenkasse mit 60 Vertretungen bundesweit tätig. VIACTIV ist hervorgegangen aus Fusionen der Betriebskrankenkassen namhafter Betriebe: u.a. Krupp, Mannesmann, Opel, Dräger, Evonik, LWL, Werften in Rostock und Wismar. Auf NRW bezogen ist sie die größte Betriebskrankenkasse und die drittgrößte bundesweit. Die VIACTIV Krankenkasse engagiert sich im besonderen Maße für Versicherte mit Migrationshintergrund.
Um mehr auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen, wurde bereits im Jahr 2012 gemeinsam mit den Gesundheitsministerium von NRW eine Studie zur Kultursensibilität der Krankenhäuser in Auftrag gegeben. Rund 3000 Krankenhausfälle bei 1700 Patienten mit türkischem Migrationshintergrund verzeichnete damals die VIACTIV. In rund 300 Interviews, die zu 70 Prozent in türkischer Sprache durchgeführt wurden, ermittelte die Untersuchung die Zufriedenheit der Patienten und deren Bedürfnisse. Dazu gehören vor allem eine den Ernährungsgewohnheiten entsprechende Verpflegung und die Möglichkeit zur Religionsausübung. Manfred Richter, Leiter Politik bei VIACTIV und verantwortlich für das Projekt, ist der Meinung, dass „Kultursensibilität ein Thema der Versorgungsqualität in der stationären Behandlung ist. Wenn bei der Krankenhausbehandlung die Verunsicherung überwiegt, Organisation und Abläufe des Krankenhauses dem Patienten fremd sind, wegen sprachlicher Barrieren die Kommunikation nicht funktioniert, religiösen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen wird, dann ist das schlecht für den Genesungsverlauf.“ Ein weiteres Projekt von VIACTIV ist „Rauchfrei im Ramadan“. Hiermit wird das Ziel verfolgt, dass Gesundheitsfördernde Verhalten über die Ramadanzeit hinaus weiterzuführen.
Für neue Präventionsangebote!
Die VIACITV Bespiele sollten Schule machen. Dafür ist es wichtig, dass der Streit zwischen den Krankenkassen und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) beigelegt wird. Die BzGA soll nach dem Willen des Gesetzgebers u.a. neue Konzepte der Gesundheitsfürsorge für Alte und Migranten entwickeln. Bislang gibt es kaum Erfolge. Von den 32 Mio. Euro, die die Bundeszentrale 2016 erhielt, sind gerade einmal 1,7 Mio. Euro ausgegeben worden; in diesem Jahr dürften rund 46 Mio. Euro ungenutzt bleiben. Die Krankenkassen zeigen sich darüber zornig; Bundesgesundheitsminister Gröhe steht der Bundeszentrale bei und fordert von den Kassen bessere „qualitätsgesicherte Präventionsangebote für die Versicherten, so wie der Gesetzgeber das vorgegeben hat“.
Die für die Migrationspolitik in NRW zuständige Staatssekretärin, Serap Güler, will im Gespräch mit den Kassen schon bald über neue Konzepte für die Gesundheitsvorsorge von Menschen mit Migrationshintergrund sprechen. Gerade in dem bevölkerungsreichsten Land mit den meisten Migranten soll mehr als bisher im Gesundheitswesen bewegt werden, insbesondere für die erste Generation der „Gastarbeiter“. In Deutschland lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr 614 000 Ausländer, die mindestens 65 Jahre alt waren. Nach Angaben des Bremer Pflegeforschers Stefan Görres sind ausländische Senioren „die prozentual am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe in Deutschland“. Laut Görres werden bis 2030 etwa 2,8 Millionen über 60 Jahre alte Migranten erwartet. „Der Umgang mit Pflege, mit Medikamenten und mit Schmerz ist in den verschiedenen Kulturräumen sehr unterschiedlich“, erläuterte der Forscher. Dafür will NRW Staatssekretärin Güler vor allem mit den Kassen und den kommunalen Integrationszentren zusammenarbeiten – bei Gesundheit und Pflege.
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