Drei vertraute Publizisten und (Ex-)Politiker haben ein schmales Bändchen vorgelegt, in dem sie
aufzeigen, dass es intelligentere Konsequenzen aus dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt,
als ein beschleunigtes Wettrüsten.
Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde hat eine lange Geschichte als einer der ersten
prominenten deutschen Umweltpolitiker hinter sich; Peter Brandt ist Geschichtsprofessor em. an der
Fernuniversität Hagen und streitet engagiert für die Übertragung der entspannungspolitischen
Erfahrungen auf die heutigen politischen Bedingungen; Reiner Braun wird sich hoffentlich nicht
missverstanden fühlen, wenn er ungebrochen aktiver Veteran der Friedensbewegung genannt wird.
Der doppelt begründete Friedensappell ist überzeugend, schließlich muss, wem Frieden als
moralisches Ziel von Politik nicht selbst genügt, einräumen, dass es einer in multidimensionalen
Feindschaften, Gegnerschaften und Wettstreitereien gefangenen Welt nicht gelingen kann, die eine
existenzielle Herausforderung zu bestehen. Die immer noch denkbare, nötige und eilbedürftige
Eindämmung von Folgen und Ausmaß des Klimawandels bedarf der Teilnahme aller Staaten und
also großer Gemeinsamkeit.
Der Rezensent gehört selbst zu denjenigen, die für die nächste Zeit keine Chance auf
Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sehen – auf wessen Vermittlungsmühen
hin auch immer. Es wird von der militärischen Lage abhängen, ob und wann eine oder beide Seiten
ernsthaftes Verhandlungsinteresse zeigen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es die
vornehmste Aufgabe von Politik ist, Kriege, die man nicht zu verhindern wusste, wenigstens schnell
zu beenden und dass es keine vernünftige Alternative zu einem Konzept international gemeinsamer
Sicherheit gibt.
Ohne Verhandlungen, ohne Vertrauensbildung, ohne die Akzeptanz anderer Interessen als den
eigenen und ohne die Mühen die diversen Interessen auszuhandeln und in eine akzeptable Balance
zu bringen, kann es gemeinsame Sicherheit nicht geben.
Unter der nahezu einhelligen moralisierenden und kriegs(-waffen)begeisterten medialen Begleitung
des – gerade heute, am 17.10.22. noch mehr Brutalität entfaltenden – russischen Überfalls auf die
Ukraine, wünscht sich der Rezensent, dass unsere Meinungsmacher sich auch über die politische
Vorgeschichte dieses Krieges informiert zeigen würden. Müller, Brandt, Braun machen es eiligen
Lesern leicht, indem die komplizierte Vorgeschichte auf nur 60 Seiten verständlich und
lesefreundlich komprimiert wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Konflikt nur gelöst
werden kann, wenn seine Entstehung bekannt ist.
Etwas redundant widmet sich ein weiteres Kapitel dem Scheitern der nach dem Ende der
europäischen Teilung 1990 verabschiedeten Charta von Paris für ein neues Europa, weil hier schon
beschriebene Konfliktlinien noch einmal aufgegriffen werden müssen.
Da dritte Kapitel zeigt mit großer Eindringlichkeit, dass die Menschheit sich gleich auf doppelte
Weise dem Risiko der Selbstvernichtung aussetzt. Einmal geht es natürlich um das Wettrüsten und
die offenbar sinkende Scheu vor dem Einsatz von Atomwaffen. Das andere die Existenz der
Menschheit bedrohende Risiko ist ohne Zweifel der Klimawandel – anders gesagt – die Zerstörung
der Grundlagen für menschliches Leben.
Dass für vernünftige politische Alternativen die Konzepte teils seit Jahrzehnten vorliegen, verhilft
zwar einerseits zu Hoffnung auf Besserung, ist anderseits jedoch erschütternd. Die Konzepte
wurden offenbar allesamt weniger beschlossen als vielmehr verabschiedet. Eine nachhaltige
Umsetzung erfolgte jedenfalls nicht.
Mit Recht erinnern die Autoren an den Weltklimagipfel in Rio (und die Nachfolgekonferenzen) an
den Palme-Bericht von 1982, den Nord-Süd-Bericht von 1980, den Brundtland-Bericht „Unsere
gemeinsame Zukunft von 1987 – und für den Rezensenten neu – verweisen sie auf einen von
Wissenschaftlern aktualisierten „Palme-Bericht II“ von diesem Jahr, 2022. Alle Konzepte betonen
als Ziel beziehungsweise als Bedingung für das Gelingen von Frieden und Klimaschutz die
Gemeinsamkeit. Ohne Illusionen, denn Gemeinsamkeit ergibt sich nicht von selbst, sondern muss
mühsam ausgehandelt werden.
Zunächst skeptisch betrachtet, aber dann ganz interessant gefunden wurde die Idee, einigen
Kapiteln Meinungen anderer Publizisten und Wissenschaftler anzufügen. Die Liste der Zitierten
reicht von einem ehemaligen Mitarbeiter Egon Bahrs bis zu einem aktuellen Mitorganisator von
„Fridays för Future“.
Die inklusive Anmerkungen knapp 171 Seiten gibt es für 20 € im Buchhandel.