Als es vorbei war mit Jamaika, zeigten viele auf Lindner, den FDP-Chef, die „Süddeutsche Zeitung“ nannte ihn auf ihrer Seite 3-Geschichte „Spielverderber“. Aber hatte der oft vorlaute Liberale wirklich die Alleinschuld am Scheitern dieser Vierer-Runde? Welche Rolle hat eigentlich die Kanzlerin gespielt? Hat nicht Angela Merkel die Karre an die Wand gefahren, wie es ein Fernsehen-Kommentator behauptete? War ihre Art der Führung der Sondierungsrunden nicht „chaotisch“, wie es der FDP-Minister aus Rheinland-Pfalz, Volker Wissing, beschrieb. Wissing hatte an den Sondierungen teilgenommen. Und dann soll es wieder mal die SPD gewesen sein, die an allem schuld war. Hat Wolfgang Kubicki gesagt, aber wer ist schon Kubicki. Ich kenne ihn noch als Freund von Jürgen Möllemann.
Die so genannten Berliner Leitmedien waren natürlich mehr als geschockt, als das von ihnen favorisierte und viel zu früh hochgejubelte Bündnis aus CDU, CSU, der FDP und den Grünen am Ende war, bevor es überhaupt zustande gekommen war. Das klang ja auch so neu, erstmals eine Koalition mit Grünen, der FDP und der CSU, unter Leitung von Angela Merkel, der Kanzlerin, die die erwähnten Leitmedien sowieso schon immer schonend behandeln. Etwas völlig Neues für die deutsche Gesellschaft, nachdem Schwarz-Grün beim letzten Mal entgegen mancher Hoffnungen aus dem Medien-Lager verhindert worden war. Von wem auch immer! Stattdessen kam die GroKo, wieder einmal und wieder einmal ließ sich die SPD nicht lange bitten. Trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit Merkel.
Und plötzlich rufen viele nach der SPD, die müsse aus ihrer Schmollecke heraus, müsse Verantwortung übernehmen und dürfe sich nicht länger verweigern. Ausgerechnet die SPD. Als hätte sie sich je verweigert, der staatspolitischen Verantwortung zu stellen. SPD-Chef Martin Schulz musste vor der Kamera der ADR in Berlin erleben, wie man ihm das Wort abschnitt und ihn nicht ausreden ließ. Er war so frei, dagegen zu halten und darauf hinzuweisen, dass man mit Angela Merkel ein minutenlanges Interview geführt und die Kanzlerin hatte lang und breit ausreden lassen. Aber Schulz und die SPD sind nun mal Verlierer in Berlin, denen darf man vor die Schienbeine treten, während vor der Kanzlerin fast ein Hofknicks gemacht wird.
Diese SPD soll nun als Notnagel herhalten, weil es mit Jamaika nicht geklappt hat. Jetzt soll wieder eine GroKo her? Die SPD hat nach der letzten Bundestagswahl vom Wähler eine derartige Watschn bekommen- als Quittung für ihre Arbeit in der Großen Koalition mit der Union unter Merkel? Zu Recht hatte sie eine weitere Koalition mit Merkel abgelehnt und war konsequent den Weg in die Opposition angetreten. Was ist daran falsch? Die gleichen Medien und Politiker, die heute nach der SPD rufen und sie schon wieder heftig kritisieren, weil sie nicht regieren will, sondern ihrer vom Wähler zugewiesenen Rolle als stärkste Oppositionspartei nachkommen will, hätte die SPD in den berühmten Senkel gestellt, wenn sie trotz des Wahl-Desasters erneut in eine Große Koalition eingetreten wäre. Man hätte ihr Pöstchen-Jägerei vorgeworfen mit all den Vorteilen. Warum diese Heuchelei!
Seehofers Nachfolge ist ungeklärt
In der Tat muss die Rolle von Merkel mal genauer unter die Lupe genommen werden, man frage doch mal in Tagen andere Teilnehmer der Sondierungs-Gespräche. Wie ist das nun mit der neuen Vertrautheit zwischen CDU und den Grünen, haben die Grünen die Seiten gewechselt? So wird es berichtet. Merkel, so die Kritik aus der FDP, habe eindeutig auf die Grünen gesetzt und die Liberalen vernachlässigt. Kretschmann und Merkel, diese Harmonie ist bekannt, der einzige Grünen-Ministerpräsident hat ja vor Jahren schon mal öffentlich bekannt, dass er für Merkel bete.
Nach dem Scheitern rückten CDU und CSU demonstrativ zusammen, als wäre nie was gewesen. Als hätte Merkel nie eine verkorkste Flüchtlingspolitik hingelegt, als hätte Horst Seehofer die Politik seiner Kanzlerin, der CDU-Vorsitzenden, nie als eine Politik des Unrechts gescholten. Dabei hat Seehofer in Berlin nichts erreicht, Jamaika ist Geschichte. Und jetzt, da er wieder zu Hause ist in Bayern, liegen all die Probleme, die mit seiner Person zu tun haben, ungelöst am Boden. Söder, Hermann, Ilse Aigner, Dobrindt, wer wird was, wenn der Alte geht. Wenn er geht! Nicht umsonst nennen ihn seine Kritiker Drehofer, weil er seine Meinung schon des öfteren geändert hatte.
Wer wird Ministerpräsident in Bayern, wer CSU-Parteichef? Mit wem will die CSU ihre Vorherrschaft im Freistaat sichern? Nach der letzten Bundestagswahl sind da erhebliche Zweifel gekommen, nachdem die Christsozialen gerade mal etwas mehr als 38 Prozent der Stimmen bekommen hatten. Wenn das bei der Landtagswahl im nächsten Jahr ähnlich ausgeht, kann sich Merkel auf was gefasst machen. Dann ist es vorbei mit dem vorgetäuschten Frieden von Berlin. Und im übrigen hängt Merkels Stimmenergebnis bei einer möglichen Neuwahl auch sehr stark von einem sehr guten CSU-Anteil in Bayern ab.
Merkel hat an Einfluss und Macht verloren
Dass die Schwarzen sich hinter Merkel versammelt haben, darauf muss man nichts geben. Zumal es riskant ist, wenn die Leute hinter einem und nicht vor einem stehen. Merkel hat an Einfluss erheblich eingebüsst, um mal ihre Führungsschwäche moderat zu beschreiben. Ihre Haltung des Ungefähren wirkt nicht mehr, Moderieren reicht als politische Linie nicht mehr, die Leute wollen Klarheit über die Zukunft des Landes, die ja auch die Zukunft jedes einzelnen Bundesbürgers ist. Schon die Tatsache, dass die Sondierung mit über 50 Teilnehmern begonnen wurde, war im Grunde ein schlechter Witz und ein erster Hinweis auf die drohende Unübersichtlichkeit. Ferner ein deutlicher Fingerzeig auf Merkels unklare Haltung und Leitung der Diskussionen. Dass sie erneut kandidieren will als Spitzenkandidatin im Falle einer Neuwahl, hängt damit zusammen, dass Merkel nie ernsthafte Konkurrenten in ihrer eigenen Partei hat neben ihr hochkommen lassen. So ergibt sich das von ihr geliebte Bild: Es gibt keine Alternative. Wobei jeder Zeitgenosse weiß, dass es immer Alternativen gibt, zu Personen wie zu Sachen.
Das Festhalten am Amt erinnert manchen aus der CDU an Kohls letzte Jahre als Kanzler, an die letzte Runde, die er damals gegen die junge Garde in der SPD zu führen hatte, gegen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Da stand er auf verlorenem Posten. Auch Kohl wollte nicht wahrhaben, dass die Zeit für einen Rückzug und einen Nachfolger gekommen sei, er hielt sich für unersetzlich. Man frage Wolfgang Schäuble. So verpassen die eigentlich Großen der Zeit den richtigen Zeitpunkt, um abzutreten und Platz zu machen für Jüngere. Das gab es immer schon so in allen Parteien.
Adenauer, Brandt, Rau, Kohl, Stoiber, Merkel
Konrad Adenauer musste sich Anfang der 60er Jahre schriftlich verpflichten, in der Hälfte der Legislaturperiode zu gehen und den von ihm wenig geschätzten Ludwig Erhard vorbeiziehen zu lassen. Die hoch verehrte SPD-Legende Willy Brandt, erfolgreicher Kanzler und Friedensnobelpreisträger, war zu lange Parteichef und scheiterte am Ende an einer neuen Pressechefin, Margarita Mathiopoulos. Johannes Rau war 20 Jahre Ministerpräsident von NRW und überhörte die Mahnungen und Warnungen, es sei Zeit zu gehen. Oder nehmen wir Edmund Stoiber, erfolgreicher Ministerpräsident von Bayern, abgelöst in Wildbad Kreuth und zwar unfreiwillig. Wenn man so will, hat eine CSU-Landrätin aus Fürth seinen vorzeitigen Abgang mit ausgelöst, Gabriele Pauli, die später die CSU verließ, nachdem man eine Kampagne gegen sie angezettelt hatte. Kurt Beck wäre zu erwähnen, der Ex-Regierungschef von Rheinland-Pfalz, kriegte gerade noch die Kurve, ehe er aus der selben geflogen wäre. Horst Seehofer rufen Parteifreunde seit Monaten zu, Horst, es ist Zeit zu gehen. Und wenn er nicht geht, werden sie ihn stürzen. Und Angela Merkel? Seit 2005 ist sie Kanzlerin. Vielleicht will sie, das haben so manche Große so an sich, noch Kohl an Dienstjahren im Berliner Kanzleramt überholen. Dann müsste sie noch bis 2021 oder 2022 regieren. Kohl schaffte 16 Jahre.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0