Es war wie ein Fluch. Die Koalitionspartner von Angela Merkel konnten in den Regierungsbündnissen mit ihr nichts gewinnen. Die Erfolge der Regierungsarbeit kassierte sie. Die Partner gingen leer aus. In ihrer ersten Großen Koalition von 2005 bis 2009 schredderte Merkel die SPD und ließ deren Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier keine Chance. In ihrer zweiten Koalition von 2009 bis 2013 mit der FDP wurden die Liberalen so geschwächt, dass sie den Einzug ins Parlament nicht mehr schafften und in massive Existenznöte gerieten. Vielleicht war dieses Schicksal der unterschwellige Grund dafür, dass FDP-Chef Christian Lindner 2017 die Jamaika-Koalitionsverhandlungen platzen ließ, um die wieder gewonnene Stärke nicht in einem Bündnis mit Merkel aufs Spiel zu setzen.
Und jetzt, Ironie der Geschichte, hat der Fluch, der früher die Koalitionspartner traf, die CDU/CSU selbst erreicht. Mit einem beispiellosen Absturz auf das Rekordtief von 24.1 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl 2021 ist auch die Union geschreddert. Zu lange setzte Armin Laschet darauf, er könne den Merkel-Satz – „Sie kennen mich“ – einfach auf sich übertragen. Naivität und Überheblichkeit eines Kandidaten aus Aachen, den in der Republik jenseits von NRW kaum jemand kannte.
Verheerender allerdings das mangelnde Gespür, mit der die langjährige CDU-Chefin ihre Partei in dieses Desaster lotste. Zweimal warb sie für neue Vorsitzende ihrer Partei, die nur eine knappe Mehrheit ihrer Mitglieder wollten. Der erste Versuch mit Angelika Kramp-Karrenbauer endete 2019 krachend. Glücklicher ist ihre zurückhaltendere Unterstützung für deren Nachfolger Armin Laschet nicht ausgegangen. Merkel, so spürten viele Christdemokraten, war es wichtiger, ihren alten Gegenspieler Friedrich Merz zu verhindern, als dem Gespür für die neue Lust auf mehr Konservativismus in der Partei nachzugeben. Sie schlug noch einmal die Schlacht, die sie 2002 gegen Merz gewann und knapp zwei Jahrzehnte später nicht verlieren wollte.
Die Kanzlerin glaubte an das Erfolgsrezept, je mehr man an Inhalten bei anderen Parteien abholen und als eigenes Label verwenden könne, desto breiter sei die Komfortzone. Besonders mit der Sozialdemokratisierung der CDU schien sie lange auf der richtigen Spur. Bis immer mehr Christdemokraten den konservativen Markenkern vermissten und irritierte Anhänger sich rechts von der Union bei der AFD besser aufgehoben fühlten. Mit Entscheidungen wie der abrupten Abschaffung der Wehrpflicht, mit der Kehrtwende in Sachen Atomkraft nach Fukushima oder dem „Wir schaffen das“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen 2015 erreichte Merkel zwar eine große Akzeptanz in der Gesellschaft – aber eben nicht unbedingt in den eigenen Reihen.
Diese Entfremdung zwischen der CDU-Vorsitzenden und der Partei wurde lange verdrängt, weil sich die Christdemokraten wegen der Abstürze der SPD in der Gewissheit wiegten, als einzige große Volkspartei überleben zu können. Aber ohne Kompass hat auch eine Volkspartei auf Dauer keine Überlebenschance. Am Ende war das stärkste verbindende Element zwischen Kanzlerin und Partei, dass Merkel der Union die Macht sicherte. Merkel ist weg und der Anspruch auf die Macht perdu. Die CDU muss sich neu erfinden. Mit Armin Laschet wird das nicht gelingen. Für viele in der Partei ist er Teil der vergangenen Merkel-Ära und deshalb kaum in der Lage, die Zukunft jenseits des Kanzleramts zu gestalten.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0