Von der missionarischen Überheblichkeit des Westens zum gemeinsamen „Krieg“ gegen den IS – besser wäre ein „Krieg“ gegen die Ungleichheit.
Heute hat das Bundeskabinett eine starke militärische Beteiligung an der gewaltsamen Bekämpfung des IS in Syrien beschlossen. Einer breiten Zustimmung des Bundestages ist man gewiss. Diese Entscheidung ist Teil eines Wandels, bei dem aus ehemaligen Gegnern Verbündete werden. Womöglich war aber die noch nachhallende gesinnungsethisch dominierte und wegwerfende Kritik an diktatorischen und autoritären Regimen in unserer Nachbarschaft weitaus weniger klug – auch in einem moralischen Sinne – als sie wohlbehaglich für die Kritiker gewesen sein mag.
Schon lange frage ich mich – etwa beim (Süddeutsche)Zeitung-Lesen oder beim Klaus-Kleber-Fernsehen – was „uns“ zu der Entscheidung berechtigt, wer anderswo Macht haben dürfe. Ich bin zwar heilfroh, in einer offenen, demokratischen Gesellschaft frei leben zu können und würde das auch dringend weiter empfehlen, wenn es aber missionarisch wird, ist Vorsicht geboten.
Beispiele? Bitte, gleich zwei aus jüngster Zeit: niemand kann leugnen, dass Assad ein Verbrecher im Amt ist und deshalb wird ihm kaum jemand von „uns“ ein langes, machtvolles und luxuriöses Leben wünschen. Aber was berechtigt „uns“, zu entscheiden, wie lange der in seinem Amt bleibt? Und: falls „wir“ eine Berechtigung hätten, was müsste eine verantwortliche Politik noch alles bedenken, außer dem moralisch hochwertigen und mitfühlenden Entsetzen über Nagelbomben?
Oder war es – vom Ergebnis her betrachtet – vernünftig, Gaddhafi zu bombardieren, Afghanistan zu „befreien“ und zu Beginn dieser Kette den Irak unter verschiedenen Vorwänden zu überfallen und jeglichen Rest von Balance im leidgeprüften Nahen Osten zu zerstören?
Die Antworten mag ein jeder sich selber geben..
Niemand kann ernsthaft behaupten, dass Putin der gute Junge von nebenan ist. Was aber kann und darf daraus folgen, dass wir sein politisches Handeln oft – und richtigerweise – verwerflich finden? Gelegentlich sind wir so aufgebracht gegen ihn, dass wir nicht einmal mehr merken, wenn er mal etwas richtig macht (wie etwa bei der Einigung im Atomstreit mit dem Iran). Oder Erdogan, ein rücksichtsloser Machtpolitiker, der noch eine Weile bleiben wird, ehe die Bevölkerung ihn trotz und wegen der Unfreiheit der Medien und jeglicher Opposition nicht mehr erträgt.
Nun also brauchen wir sie alle und manche sind nun empört darüber, dass „wir“ nun mit Putin, Erdogan und vermutlich sogar Assad Kompromisse machen, um unsere(!) Probleme lösen zu können.
Die Mission, der eingebildete Besitz der Wahrheit hat noch nie zu vernünftigen, menschenfreundlichen, der Freiheit dienlichen Ergebnissen geführt. Mission fängt schon an, wenn wir die Welt einfach in „gut“ und „böse“ einteilen. Am Ende muss der Böse unter allen Umständen einsehen, dass er falsch liegt und wird das auch tun, wenn der „Gute“ die Macht dazu hat. Ob der Gute aber noch der Gute ist, nachdem er glühende Eisen, Streckbetten zur Anwendung gebracht und viele Tote zu verantworten hat? So hat sich auch die Christenheit – namentlich die „heilige“ Inquisition – eine Menge Kollateralschäden auf das eigene Schuldkonto geladen.
Berechtigte Empörung über falsche Politik
„Wir“ hätten gleichwohl eine Möglichkeit, der berechtigten Empörung über falsche, menschenrechtswidrige, autoritäre, verbrecherische Politik etwas entgegen zu setzen: es besser, freiheitsliebender, demokratischer, klüger, inkludierender, integrierender zu machen und auf den Erfolg des Vorbilds zusetzen. Derzeit ist EU-Deutschland Sehnsuchtsort, weil es Wohlstand, Sicherheit und vermutlich auch Religionsfreiheit verspricht und der letzte Ort in Eurasien ist, an dem man das glaubt finden zu können. Dass es überall sonst auf dem Doppelkontinent schlechter bestellt ist, liegt nicht allein am Westen, aber es liegt auch an „uns“. Hat der Westen nicht in missionarischem Furor und Profitgier die jüngsten Destabilisierungen erst herbeigeführt, auf die wirtschaftliche Not, der Zerfall verlässlicher Strukturen bis hin zu marodierender Gewalt, Bürgerkrieg und Terror von Nahost bis Mali logisch gefolgt sind?
Man kann die Destabilisierung im arabischen Raum auch weiter fassen und bis auf die Kolonialisierung einschließlich der Art ihrer Beendigung zurück verfolgen. Aktuell hat es jedenfalls mit dem „kleinen“ Bush als Anführer seiner Koalition der Willigen gegen Irak seinen dramatischen Anfang genommen.
Es gibt schlechtere Alternativen
Vom Irak und von Syrien aus operiert nun heute der Daesh (der sich selber IS nennt), der – ähnlich wie einst der später „groß“ genannte Kaiser Karl bei den Sachsen mit Feuer und Schwert das Christentum – eine „den Westen“ mit Bomben, Selbstmordattentaten und Kalaschnikows (statt mit Feuer und Schwert) missionieren und mit den Segnungen der Unfreiheit beglücken will. Nach Paris am 13.11.2015 soll diese Truppe nun mit Gewalt gestoppt werden. Und das wird Merkels erster Krieg (eine Formulierung von Nico Fried, Leiter des Hauptstadt-Büros der Süddeutschen Zeitung). Es gibt wahrscheinlich nur eine – noch viel schlechtere – Alternative dazu, den Daesh mit Gewalt zu stoppen und die ist, ihn gewähren zu lassen.
An die Stelle des gesinnungsethischen Missionierungswillens gegen Putin, gegen Assad, gegen Erdogan tritt nun also die Einsicht, dass man mit den Nachbarn leben muss, die man hat und dass es auch mit ganz unsympathischen Nachbarn gemeinsame Interessen gibt. Dies Nachbarn werden dadurch nicht sympathischer, sie verdienen auch nicht weniger Kritik an ihren Menschenrechtsverletzungen. Aber wenn man mit ihnen zusammen etwas Gutes tun kann, was man ohne sie nicht könnte, dann muss es verantwortliche Politik auch wagen. Das aber wird vielerorts als Realpolitik – nicht bezeichnet, sondern geschmäht. Als ob Realpolitik im Kern und unabweisbar unmoralisch sei, was in den Augen gewisser Leute auch ganz allgemein für Interessen und für Kompromisse gilt.
Stimmt aber nicht. Die Demokratie, die wichtigste Voraussetzung für unsere individuelle Freiheit, würde ohne Kompromisse nicht funktionieren. Freiheitliche Politik aber muss dafür Sorgen, dass die Demokratie funktioniert – aus moralischen Gründen! Schließlich: was ist unmoralischer als Krieg? Allenfalls das wahllose Morden von Passanten. Was ist unmoralisch daran, das eigene Leben schützen zu wollen, die eigene Sicherheit zu verbessern? Moral gepaart mit missionarischer Gewissheit, Macht und Gewalt, hat stets unmoralische Folgen; Moral ohne die Macht, beispielsweise die Folgen scheinbar moralischen Tuns zu beherrschen, aber mit missionarischem Eifer, richtet ebenfalls oft großen Schaden an.
Niemand soll sich aber einbilden, mit der – eventuellen – Zerstörung des IS seien der Terror beendet und Freiheit und Demokratie gesichert! Er ist ein Sammelbecken, ein Nutznießer, wenn man so will: ein Ausbeuter der Enttäuschung und des Überdrusses junger Leute, die sich in der Zivilgesellschaft ohne Perspektive sehen. Hätten sie das intellektuelle Rüstzeug, würden sie vielleicht sagen, sie bekämpfen jetzt die Freiheit, weil die zunehmend ohne die dazu gehörige Verantwortung ausgelebt werde. Immerhin war es der französische Wirtschaftsminister, der mit Blick auf diese jungen Menschen meinte, die Republik haben jenen gegenüber ihr Gleichheitsversprechen gebrochen.
Von Einheimischen ausgeführte Morde
Sowohl die Morde Anfang des Jahres in der Redaktion von Charlie Hebdo als auch die Morde noch unbeteiligterer Menschen als es die Satirezeichner und -redakteure ohnehin schon waren wurden von Einheimischen ausgeführt, von jungen Menschen mit französischen und belgischen Staatsbürgerschaften, französischen Banlieuesozialisationen, französischen Schulkarrieren, solange sich an der einheimischen Ungleichheit nichts ändert, wird es weiter Nahrung geben für Terror, für marodierende Gewalt oder gleich für beides. Banlieue – das Wort enthält den Bann, es bedeutet im Französischen nicht nur Vorort sondern auch „Bannmeile“ – ist zum Synonym für die an den Rand Gedrängten geworden und hat die vormals idyllische Bedeutung von Vorort und Stadtrandsiedlung eingebüßt.
Es gibt eine sehr plausible Theorie, die einen Zusammenhang herstellt zwischen dem Ausmaß der Ungleichheit in einer Gesellschaft und dem Grad an Stabilität: je größer die Ungleichheit, desto geringer die Stabilität, je mehr Ungleichheit, desto mehr Anomien, Krankheiten, Kriminalität, Gewalt. Man kann das sogar messen: Je größer der Unterschied zwischen den 20% der Reichsten (in den Schlössern und Villen) und den 20% der Ärmsten (in den banlieues, den Marzahns) einer Gesellschaft ist, desto größer sind die Probleme, die diese Gesellschaft hat.
Ob es ein Zufall ist,dass die gewaltbereite, fundamentalistische Gegnerschaft gegen die westliche Lebensweise mit der Destabilisierung des Nahen Ostens und den Folgen der Entfesselung der Finanzmärkte zusammenfällt? Seither ist die Kluft zwischen arm und reich in den einzelnen Staaten – auch in Deutschland – größer geworden, global ist sie geradezu aufgerissen.
Deshalb muss der neue „Krieg“ von Hollande und Merkels erster die Ungleichheit zum eigentlichen Feind erklären!
Bildquelle: Wikimedia, Derivative work: Poxnar All four pictures in the montage are taken by the US Army/Navy. – September 17 2001.jpg US 10th , gemeinfrei