Angela Merkel hat ihre ersten Auftritte nach dem Abtritt absolviert. Mal war sie beim Bundespräsidenten, mal bei den Gewerkschaften, jetzt stellte sie sich erstmals öffentlich zum Gespräch im Berliner Ensemble. Das sind die Räume des früheren Brecht-Theaters. Alles nicht spektakulär. Merkel eben. Das war und ist ihr Stil, eher bescheiden, nicht zu laut, wer will kann daraus ablesen, dass sie die Tochter eines evangelischen Pfarrers ist. Das ist keine Kritik, sondern eher der Versuch einer Beschreibung dieser erfolgreichen Frau, die ihren politischen Abgang selbst bestimmt hat, nicht die Partei, nicht das Volk. Sie ging freiwillig.
Sie will sich nicht entschuldigen für ihre Politik, auch nicht für ihre Haltung gegenüber Russland, gegenüber Putin, den sie nicht mochte und dem sie vieles zugetraut hatte, weil sie ihm nicht über den Weg traute. Weil sie Putins Worte verinnerlicht hatte von der für ihn größten Katastrophe: der Auflösung der Sowjetunion. Und natürlich, wenn man immer alles besser weiß im Nachgang vor allem, konnte man aus Putins Verdruß herauslesen, dass er dies rückgängig machen möchte. Zurück zur Weltmacht Russland, mit der Ukraine und wer weiß, welche Träume Putin noch hegt. Träume, die er sich mit Gewalt, mit Krieg erfüllen will.
Die frühere deutsche Bundeskanzlerin muss sich auch nicht entschuldigen. Sie hat eine Politik versucht mit Diplomatie, zum Nutzen Deutschlands, darf man hinzufügen, aber der Diktator im Kreml hat sich anders entschieden. Für den Krieg gegen die Ukraine. Das konnte sie nicht ahnen, andere auch nicht. Es ist passiert. Wir haben mit großem Erschrecken darauf reagiert, mit Empörung, was Putin ziemlich kalt gelassen haben dürfte. Krieg in Europa, das glaubten wir hinter uns zu haben, wir glaubten, wir hofften auf ein Einsehen des russischen Potentaten. Vergebens. Wir haben uns getäuscht, er hat uns getäuscht. Und er zerstört, was er doch gewinnen will. Dabei sät er durch seinen Krieg Hass im einstigen Brudervolk. Wie soll durch Tod und Zerstörung anderes wachsen?
Entspannungspolitik war richtig
Die Entspannungs-Politik von Willy Brandt, Friedensnobelpreisträger und SPD-Bundeskanzler, war nicht falsch, sie hat für Aussöhnung und Frieden zwischen den Völkern gesorgt nach diesem schrecklichen Krieg, den Hitler-Deutschland der Sowjetunion am 22. Juni 1941, vor fast 81 Jahren, erklärt hatte. Und damit auch der Ukraine. Es war ein Vernichtungskrieg der SS, der Wehrmacht, man wollte die Russen und die Ukrainer und all die anderen Völker der UdSSR vernichten, nur ein Bruchteil von ihnen sollte überleben und als Sklaven für die Nazis arbeiten. Tausende von Dörfern wurden damals dem Erdboden gleichgemacht. Wer immer sich mit Russland und den Menschen beschäftigt, darf das nicht vergessen. Zwischen 25 und 27 Millionen geschätzte Tote kostete dieser Krieg in den Reihen der Russen, der Ukrainer und der anderen. Es war die Rote Armee, die die Wehrmacht schließlich zurückschlug, die die Niederlage von Hitler, Himmler, Goebbels und Co besiegelte, die für die Befreiung der Deutschen von der braunen Diktatur sorgte. Dies alles muss man wissen, wenn man mit Russen redet, mit Ukrainern.
Wandel durch Handel, Wandel durch Annäherung. Diese sich ähnelnden Formeln haben die Politik Deutschlands mit der Sowjetunion und später mit Russland geprägt. Die deutsche Wirtschaft hat davon profitiert, im übrigen wir alle, weil die Geschäfte mit Russland erfolgreich waren, die Russen, so habe ich das von führenden Managern von Eon-Ruhrgas des öfteren gehört, waren zuverlässige Geschäftspartner. Punkt für Punkt erfüllten sie die Verträge. Es gab keinen Grund für Misstrauen. Damals. Und wer die Zeit mit Gorbatschow erlebt hat, dann mit Jelzin, den Übergang zu Putin, dem einstigen KGB-Mann des Kremls mit Sitz in Dresden, dessen Rede im Reichstag, wer die Worte vom europäischen Haus vernommen hat, in dem Russland ein Zimmer wollte, der sah die gemeinsame Zukunft von Deutschland, von Europa mit Russland eben in fröhlichen Farben. Noch einmal: Wir haben uns getäuscht in Putin. aber hätten wir, hätte Merkel den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verhindern können? Wie denn? Heute liefert Europa Waffen an die bedrängte Nation, auch schwere Waffen, damit sie sich verteidigen kann gegen die Übermacht aus Moskau.
Bundeswehr vernachlässigt
Die Zeiten damals, sie waren so. Und alle waren dafür, wir alle genossen die Friedens-Dividende. Die Wehrpflicht wurde außer Kraft gesetzt, als Merkel Kanzlerin war. Man muss die Frage wohl mit Ja beantworten, ob in ihrer Kanzlerzeit die Bundeswehr vernachlässigt wurde. Dass so gut wie nichts mehr funktioniert in der Bundeswehr, gemeint Panzer, Hubschrauber, Waffen aller Art. Niemand rechnete mit Krieg, wir waren verwöhnt und deshalb vielleicht leichtsinnig. Alle Verteidigungsminister stammten aus den Reihen der CSU und der CDU. Ich sage das in Richtung Merz, der schnell mit dem Finger zur SPD gezeigt hat, als wären die Sozis verantwortlich für den Schlamassel. Wenn überhaupt, Herr Merz, dann schauen Sie bitte auf die Union.
Nein, Angela Merkel muss sich nicht entschuldigen. 16 Jahre war sie Kanzlerin, die als kleine Abgeordnete damals kurz nach der Wende nach Bonn kam. Unscheinbar war Angela Merkel, die dann Kohls Mädchen wurde, Ministerin, die ihren Platz im politischen Bonn suchte und fand, die aufstieg zur CDU-Generalsekretärin. Man erlebte sie im neuen Berlin als selbstbewusste Christdemokratin, die bei Interview-Terminen gelegentlich sehr offensiv auftrat, ja auf ihre journalistischen Gesprächspartner losging. Ich habe sie so erlebt. Da ist man sprachlos. Später zeigte sie dem Altkanzler Helmut Kohl die Grenzen auf und erklärte via Aufmacher in der FAZ die Ära von Kohl für beendet. Das war eine Sensation, ein dickes Ding, was sich die Merkel da erlaubt hatte. Sie überlebte es, Kohl geriet ins Abseits und war, als sie Kanzlerin wurde, auf Merkels Wort angewiesen.
16 Jahre Kanzlerschaft
16 Jahre Kanzlerschaft, das heißt viele Wahlsiege für die Union im Bund und in einigen Ländern, das heißt auch manchen Stillstand, manchen Abgang eines aufstrebenden Politikers. Man frage Friedrich Merz, der damals das Weite suchte, als die CDU-Parteichefin Merkel zugleich den Fraktionsvorsitz beanspruchte. Und ihn bekam- kampflos, weil Merz kniff. Dass derselbe Merz jetzt einer der Erben von Merkel ist, zumindest was die Ämter in der Partei und der Fraktion betrifft, hat die Ex-Kanzlerin auf ihre Art kommentiert. Ist halt so. Punkt.16 Jahre Merkel-da darf man fragen, warum die Sache mit dem Klimaschutz so lange vernachlässigt wurde, die Verkehrswende. Warum Europa nicht weiter entwickelt worden ist? Aber das stimmt ja auch: Deutschland steht ziemlich gut da, in Europa, in der Welt.
Kein Wort der Kritik an ihrem Amtsnachfolger Olaf Scholz kam ihr beim Auftritt im Berliner Ensemble über die Lippen. Aber man konnte schon heraushören, dass sie so unzufrieden mit den Nachfolgern der Ampel-Regierung nicht ist. Ob sie mal mit dem SPD-Kanzler telefoniert? Wenn ja, wird sie es nicht sagen. Und Scholz müsste wohl zum Hörer oder Handy greifen. Sie ist zurück in Berlin, aber nicht zurück in der Politik, diese Zeit ist passé. Sie wird sich von der Außenlinie nicht einmischen. Gut so. Sie wird, wie sie es beschrieben hat, in Ruhe Bücher lesen können, wandern, ohne dass sie erreichbar sein muss für irgendwen und irgendwas. Man sollte sie dabei nicht stören.
Eine Frage hätte ich aber noch von ihr beantwortet: Wenn Sie sicher waren, dass Putin die EU zerstören will, warum haben Sie dann die Gasabhängigkeit Deutschlands von Russland nicht reduziert oder gar beendet?
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