Ich weiß nicht, was zwischen Union und SPD bereits tatsächlich vereinbart worden ist. Aber die Bruchstücke, die – von wem auch immer geleakt – bisher an die Öffentlichkeit gedrungen sind, lassen Schlimmes befürchten.
Es ist höchste Zeit, die Führung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands daran zu erinnern, dass nicht die SPD die Wahl gewonnen hat, sondern die CDU/CSU. Wenn die Partei jetzt überreizt und in den Koalitionsverhandlungen stur auf ihren Positionen, zum Beispiel in der Migrationspolitik, beharrt, wird die rechtsradikale AfD noch vor 2029 ins Kanzleramt einziehen. Dass ausgerechnet ich, ein linker Sozialdemokrat, der nie das Kreuz bei der Christenunion gemacht hat, einmal solche Sätze würde schreiben müssen, hätte ich nie für möglich gehalten. Aber so ist es nun einmal. Die Lage ist besorgniserregend ernst.
Das Wahlergebnis hat die SPD nur deshalb vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit bewahrt, weil die Genossen nach dem Ausscheiden der FDP und des BSW zur Bildung einer AfD-freien Regierung unbedingt gebraucht werden. Dass es gelungen ist, die Schuldenbreme zu lockern und Milliarden für längst überfällige Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur locker zu machen, ist aber keineswegs ihnen zu verdanken, sondern vor allem dem klugen und beharrlichen Verhandlungsgeschick der beiden Frauen an der Spitze der Grünen-Fraktion. Trotzdem tut die SPD inzwischen so, als habe sie diesen Erfolg erkämpft und könne nun maßgeblich die Richtlinien der Politik bestimmen.
Und dies, obwohl die Partei tatsächlich das schlechteste aller Ergebnisse in ihrer bundesrepublikanischen Geschichte eingefahren hat. Wenn man liest, was über die Koalitionsverhandlungen nach außen dringt, kann man den Eindruck gewinnen, als habe die SPD mit ihren sechzehnkommavier Prozentpunkten mit der Union gleichgezogen. Je länger es dauert, desto größer werden das Unverständnis und der Unmut darüber, dass sie sich nicht längst geeinigt haben.
AfD holt Union in Umfragen ein
Schon hat die AfD zum ersten Mal in den Umfragen die Union eingeholt. Gleichzeitig aber ist auch die SPD noch weiter nach unten gerutscht. Aktuellen Erhebungen zufolge liegt sie bundesweit gerade noch bei 15 Prozent. In Sachsen kratzt sie inzwischen bereits an der Fünf-Prozent-Hürde, in Thüringen (sieben Prozent) und in Sachsen-Anhalt (acht Prozent) sieht es nicht sehr viel besser aus. In Mecklenburg-Vorpommern, wo sie zuletzt stolze 39,6 Prozent holte, verlor sie seit der Bundestagswahl in der Wählergunst mehr als 18 Prozent und würde aktuell nur noch auf 21,4 Prozent kommen. Da hilft auch die immer wieder gebetsmühlenhaft wiederholte Beteuerung nichts, Umfragewerte seien eben nur Umfragewerte und keine Ergebnisse, zumal auch die Ergebnisse bei der letzten Bundestagswahl für die sogenannten „Alt-Parteien“ insgesamt sogar schlechter ausgefallen sind als die Vorhersagen.
Friedrich Merz hat den Mund sehr voll genommen, als er versprach, im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler werde er die illegale Einreise von Geflüchteten radikal und per Richtlinienerlass unterbinden. Das war genauso unklug, falsch und überflüssig wie der Fünf-Punkte-Katalog von Forderungen, dem er mit Hilfe der AfD kurzfristig eine Mehrheit im Bundestag verschaffte.
Merz braucht den Erfolg
Aber nun braucht er tatsächlich einen Verhandlungserfolg in dieser Frage. Einen weiteren Wortbruch kann er sich nicht leisten und darf die SPD ihm auch nicht zumuten. Die Formulierung, dass Geflüchtete nur „in Absprache“ mit den Nachbarländern an den Grenzen zurückgewiesen werden dürfen, ist ein leerer Formelkompromiss, der – wenn er es so tatsächlich in den Koalitionsvertrag schaffen sollte – nichts bringt und nichts taugt. Er ist auslegungsfähig und wird nur zu Zank und Streit in der schwarz-roten Koalition führen. Deshalb muss die SPD an diesem Punkt nachgeben, sonst ist die geplante schwarz-rote Koalition schneller am Ende, als die Ampel es war.
Es heißt, es sei vor allem Saskia Esken, die beharrlich darauf dränge, dass die SPD in der Migrationsfrage hart bleibt. Es wäre verheerend, wenn das stimmt und sie tatsächlich dort die Preise diktiert. In der Migrationsfrage denkt die Mehrheit der SPD-Mitglieder ohnehin anders als die Funktionäre im Willy-Brandt-Haus. Auch in der SPD sollte der alte kölsche Grundsatz gelten: „Mer muss och jünne künne!“
Vielleicht gelingt es Lars Klingbeil und den anderen SPD-Unterhändlern ja sogar, mit kluger Nachgiebigkeit in der Migrationsfrage etwas mehr Steuergerechtigkeit auszuhandeln und dafür zu sorgen, dass Milliardäre und Erben in Deutschland zur Kasse gebeten werden.
Bildquelle: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)